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Wenn es um zeitgemäße – aber nicht hippe, clever – aber nicht verkopft arrangierte, zeitlose – aber nicht altbackene, eingängige – aber nicht aufdringliche, deutschsprachige, organische Popmusik geht, kommt man an Alli Neumann nicht so schnell vorbei. Das gilt natürlich auch für ihr nun vorliegendes, drittes Album namens „Roquestar“.
Wenn die Musikerin und Schauspielerin das Werk nun aber „Roquestar“ nennt, bedeutet das nicht, dass sie das Metier gewechselt hat. Obwohl es auf dem Album nun durchaus einige Songs gibt, die in Grunge-Rock oder Power-Pop-Kreisen eine gute Figur machen würden, ist es Alli wichtig, dass sie sich keineswegs als Rockstar sieht – und weist auf die Schreibweise des Namens hin, denn diese verweist auf den Begriff „Barock“ (der im Englischen nun mal „Baroque“ geschrieben wird). Bevor wir Alli nun mit unseren zehn Fragen konfrontieren, möchten wir wissen, ob sie sich dann wenigstens als „Barockstar“ sieht – und zwar im Sinne einer Renaissance-Woman – ein Begriff, der (auch im Englischen) für Personen verwendet wird, die sich durch vielseitige künstlerische Fähigkeiten auszeichnen und die vielseitig, belesen und kultiviert sind?
„Auch wenn es super-modern angerichtet ist, sind barocke Instrumente wie Cembalo und Fagott auf dem Album“, berichtet Alli, „und da ich ‚Rockstar‘ einfach nur so zu schreiben langweilig fand und sowieso im Hinterkopf hatte, bestimmte Instrumente in den Vordergrund zu rücken, habe ich es ‚Roquestar‘ genannt.“ Dazu muss man noch wissen, dass Alli selbst Fagott spielt und das sogar studieren wollte, aber an der Akademie nicht genommen wurde. „Ja, normalerweise sind Fagott und Cembalo ja auch eher unterrepräsentiert“, fügt Alli hinzu, „das Fagott ist Teil eines Orchesters, aber viele Leute fragen, was das denn sei, wenn man sagt, dass man Fagott spielt. Deswegen ist dieses Instrument ein Misfit des Orchesters. Es sind immer die uncoolen Leute, die Fagott spielen. Ich finde, das passt auch sehr gut zu dem Bild von einem ‚Roquestar‘. Ein Rockstar wird ja oft für seine Fehler, sein Scheitern und seine Imperfektionen geliebt – und auch dafür, anders zu sein. Und somit das Fagott, das als Instrument oft belächelt wird, in den Vordergrund zu stellen, fand ich schön.“
Um aber noch mal auf das „Roquestar“-Image zurückzukommen: Was genau hat es damit auf sich? „Jeder hat ja heute ein Social-Media-Profil, jeder hat das Gefühl, eine Brand zu sein, nach außen etwas zu vermitteln, einen Avatar zu bedienen – und das ist einfach irre Stress. Wir müssen nicht nur selber mit uns im Spiegel klar kommen, sondern sind auch noch jedem Tag dem ausgesetzt, wie die Welt uns wahrnimmt. Um diesen Kampf und die Sehnsucht nach Anerkennung, nach Liebe und welchen Preis ich dafür zahlen muss – darum geht es auf dem Album. Das ist ja ein Thema, über das ich als Künstlerin auch ganz viel nachdenken muss: Was mache ich, wenn es anderen nicht gefällt, aber mir und wie weit gehe und verbiege ich mich, damit ich anderen Leuten gefalle?“
Ging es dann auch darum, die Ideale des Barock- oder Chamber-Pops musikalisch anzustreben? „Das ist schön, dass du das sagst, denn das ist mein Stichwort“, freut sich Alli, „Chamber-Pop habe ich richtig viel gehört bei der Entstehung meines Albums. Kate Bush hat in den 80er Jahren viele schöne Chamber-Pop-Alben gemacht. Da kam ich gerade aus dieser Soundwelt und fand es schön. Orchestrale Sounds zu mischen und dabei zu einer ganz neuen Herangehensweise zu finden – also nicht Rockmusik mit klassischen Streichern zu mischen wie bei ‚Bittersweet Symphony‘ – sondern eben ein Fagott in einem Popsong zu belassen.“
Das fasst ganz schön die Vielschichtigkeit und Komplexität zusammen, mit der Alli sowie ihre ProduzentInnen Novaa und Leon Kraak auf „Roquestar“ die Arrangements des Albums aufgebohrt haben – auch wenn es keineswegs beim Fagott bleibt, sondern – auf einer übrigens organischen Basis – bis hin zum Grunge-Rock alles möglich scheint. „Na ja – ich habe früher lange genug am Computer gesessen“, erklärt Alli den zeitlosen Old-School-Ansatz, mit dem das Material im Studio von Musikern und nicht von Algorithmen gespielt wird.
Kommen wir also zu unseren zehn Fragen…
1. Was ist deine Definition von „guter Musik“?
Meine Definition von guter Musik ist die, dass sie – in dem Moment, in dem sich jemand davon berührt fühlt – ihre Berechtigung hat. Ich hasse diese Hierarchie in der Musik, die wir vor allen Dingen in Deutschland haben, dass Musik etwas Elitäres und Gutes sein muss. Musik muss einfach nur um der Musik Willen existieren. Das ist meine Meinung. Wenn wir so denken, dann könnte man Musik auf sehr viel therapeutischer nutzen und auch gemeinschaftlicher. Wir dürfen Musik auch nicht immer so bewerten.
2. Was war der wichtigste Einfluss bei den Aufnahmen zur neuen Veröffentlichung?
Das waren auf jeden Fall Paul Simon, Fiona Apple und Can – sowie Alli Neumann – ich und mein Leben.
3. Warum sollte jeder deine neue Veröffentlichung kaufen?
Jeder sollte diese Scheibe kaufen, weil ich hoffe, dass sie den Menschen ein bisschen mehr Liebe für sich selbst mit auf den Weg gibt. Denn ich glaube sich selbst zu lieben ist der Schlüssel dafür, dass man auch andere Menschen lieben kann. Menschen zu lieben ist erst mal ein besseres Gefühl als Hass – und hoffentlich kommen wir dann alle zusammen.
4. Was hast du dir von deiner ersten Gage als Musiker/-in gekauft?
Da habe ich erst mal ganz viele Versicherungen nachzahlen müssen, weil ich lange Zeit meine Beiträge nicht bezahlt habe. Ich glaube, das kennen viele aus ihrer Anfangsphase in der Musikzeit. Und habe ich relativ schnell zurückgelegt für einen Hauskredit für meine Eltern. Es war immer mein Wunsch, dass wir einen festen Wohnsitz haben, weil wir aus einer finanziell nicht so stabilen Situation kommen. Mein Vater als Rentner und frei schaffender Künstler und meine Mutter als Putzfrau hatten immer Angst, die nächste Miete zu bezahlen. Das Erste, was ich gemacht habe, war, Geld anzulegen, damit wir in Deutschland irgendwann auch einen Sitz haben könnten und nicht daran denken müssten, dass es gar nichts gäbe, wohin man zurückkehren könnte, wenn mal etwas ist. Da bin ich sehr spießig. Traurig, nicht?
5. Gab es einen bestimmten Auslöser dafür, dass du Musiker/-in werden wolltest?
Ja, es gab zwei Auslösermomente. Der eine war, dass ich Gwen Stefani von No Doubt gesehen habe. Ich fand Erwachsene damals total langweilig und als ich dann gesehen habe, wie Gwen Stefani da so rumgeschrien hat und so verrückt angezogen war und sich das Gesicht angemalt hatte, da hatte ich das Gefühl, dass sie gar nicht erwachsen werden musste und sich einem Rang unterordnen musste. Ich wollte das auch nicht. Und da haben Mama und Papa gesagt: ‚Dann musst du halt Musikerin werden‘. Und ich so: ‚Okay?‘ – und dann habe ich das gemacht.
Die andere Sache war die, dass die polnische Sängerin Maryla Roudoviczs für mich immer super wichtig war. Die hat 50 Jahre die Musikzene wie auch die politische Landschaft gestaltet. Sie ist als Frau in der Öffentlichkeit gealtert und wurde als Frau immer respektiert. Das war so ein bisschen wie Udo Lindenberg hier – nur eben als Frau. Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich gecheckt, dass es so etwas hier gar nicht gab. Hier gab es Lindenberg, Westernhagen oder Grönemeyer – aber keine Frauen. Wo waren die Frauen? Da dachte ich mir: Das muss es geben. Frauen, die sich in der deutschen Musikindustrie durchsetzen und lange durchhalten. Das ist natürlich ein Thema, das von den Frauen kommt, aber auch von unserer Gesellschaft. Wir müssen unsere Werte – aber auch unsere Hörgewohnheiten hinterfragen.
6. Hast du immer noch Träume – oder lebst du den Traum bereits?
Oh je – ich habe noch immer ganz viele Träume. Ich lebe auch meinen Traum – aber das Witzige ist, dass wenn man in einer Situation ist, die man sich erträumt hat, dann fühlt sie sich ganz anders an, als wie man sie sich ausgemalt hat. Ganz viele Dinge sind aber eingetroffen, wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich darf ganz viele unfassbar intelligente Menschen kennenlernen, ich habe eine Stimme, die gehört wird, ich darf auf einer etablierten Theaterbühne polnisch sprechen. Damals haben wir uns beim Einkaufen nicht mal getraut, Deutsch zu sprechen, weil wir einen Akzent hatten. Ich habe Geld für Anwälte. Wenn mir jemand blöd kommt, dann bin ich dem nicht ausgeliefert. Es ist der absolute Ober-Traum. Aber dafür habe ich auch ganz viele Verpflichtungen und öffentlichen Druck und habe viele zivile Freiheiten nicht, weil man gewisse Sicherheitsstandards hat. Dann träume ich davon, mich auf der Straße ganz normal bewegen zu können und nicht die ganze Zeit verurteilt zu werden. Oder davon, Zeit zu haben, die selbstbestimmt ist und nicht durchgetaktet. Mit dem Job kommt ja auch Verantwortung – weil ja auch andere Leute da mit drinhängen – und deswegen träume ich davon, auch mal keine Verantwortung zu haben. Sorry – ich kann nicht kurz antworten.
7. Was war deine größte Niederlage?
Ich würde sagen, das waren Zeiten, in denen ich mich nicht mehr als Musikerin sah, sondern das Gefühl hatte, dass ich mich immer nur reproduziere. Ich wusste, dass das ein Problem ist und dass das ganz schnell geht – aber am Ende steht man trotzdem da und hat viel Stress und wenig Zeit, und dann habe ich Sachen gemacht, mit denen ich gar nicht zufrieden war, weil man sich selber unter Druck gesetzt hat. Ich würde sagen, dass das selber nicht immer zu merken und sich das dann schönzureden eine Niederlage für mich war. Traurig – aber ehrlich.
8. Was macht dich derzeit als Musiker/-in am glücklichsten?
Einfach Musik zu machen und auf der Bühne zu stehen – denn man muss ja auch so viele Sachen machen, die nicht mit dem Musik-Machen zu tun haben. Ich bin ja auch angetreten, weil ich mal ein Lied singen wollte. Und auf einmal hast du mit so viel Papierkram und eMails zu tun, dass einfach Musik zu machen das Größte ist.
9. Welches ist das schlechteste Lied, das je geschrieben wurde?
Keine Ahnung – ich versuche ja nicht immer, alles zu bewerten und zu evaluieren, und vor allen Dingen habe ich das Gefühl, dass ich nicht in der Position bin, sowas zu sagen. Ich sage jetzt mal nur, um irgendjemand zu dissen: Alle Rammstein-Lieder.
Ich mag jede Art von Musik. Mir ist das egal, ob Jazz oder Klassik oder Heavy Metal. Nicht lange – ich muss nicht viel Metal hören, aber ich muss auch mal Metal hören.
10. Wer – tot oder lebendig – sollte auf deiner Gästeliste stehen?
Auf meiner Gästeliste sollte vielleicht mal Friedrich Merz stehen. Ich hab‘ ihm soooo viel zu erzählen. Und ich glaub‘ meine Fans auch. Er kann gerne vorbeikommen und sich anschauen, wie eine offene Gesellschaft so aussieht und was für ein wunderbarer Wert es ist, wenn wir eine Gesellschaft inklusiv denken und alle Menschen zum Teil dieser Gesellschaft machen – was für ein bereichernder Moment das wäre und was für eine tolle Gesellschaft das sein könnte. Das wäre ganz schön. Ich bin nämlich ganz stolz darauf, was für tolle Leute zu meinen Shows kommen und meine Musik gut finden. Also: Friedrich Merz ist herzlich eingeladen!
„Roquestar“ von Alli Neumann erscheint auf Jaga/Warner.