Man stelle sich vor, die Band Blondie aus ihren Anfangstagen sei in einen Jungbrunnen gestiegen und hätte sich 2025 mit Taylor Swift zu einer Session verabredet. Vielleicht würden ihnen dann so hübsche Pop-Rock-Songs gelingen wie der kanadischen Band The Beaches auf ihrem Album „No Hard Feelings“. Kurzes Intro, Strophe, mehrstimmiger Refrain. Meist ein bisschen aufgedreht, manchmal wie eine Cabrio-Fahrt, bei der sich die vier Frauen euphorisiert den Wind durch die Haare wehen lassen, oder wie die Spritztour auf Gerhard Richters Schnappschuss-Gemälde „Motorboot“. Viel Ohoh und Ahah und Uhuh, dazu eine gewisse punkige Direktheit.
Fokussierte sich das Vorgängeralbum „Blame My Ex“ mit dem Hit „Blame Brett“ vor allem auf ein Verflossenen-Bashing, so vermitteln die neuen Songs eine Art „Fänger im Roggen“-Stimmung für die Generation Z: Ein Sich-Finden in der Gesellschaft und ein kollektiver Rückblick der Musikerinnen auf ein Erwachsenwerden zwischen Bühne, Partys und schwierigen Freundschaften. „Can I call you in the morning?“, fragt sich die Protagonistin im gleichnamigen Auftaktsong, denn eigentlich hasst sie nicht nur den Ex, sondern auch alle seine Boyfriends und Girlfriends. „Whatever you’re thinking, Jordan, just don’t, don’t say it, d-d-don’t say it“, stammelt die Leadsängerin und Bassistin Jordan Miller und versucht sich selbst zu disziplinieren. Die Texte drehen sich um vertrödelte Jugendjahre mit reichlich Alkohol und verkorksten Beziehungen („Fine, Let’s Get Married“). Im Liebeskummer-Lied „Touch Myself“ führt die Selbstberührung unter der Dusche gar zu seelischem Schmerz. Mit der Erkenntnis „You fucked me, girl, just to try it“ beklagt Miller in „I Wore You Better“ eine desillusionierende Beziehungserfahrung. Deshalb wird die schmutzige Wäsche („Dirty Laundry“) im doppelten Sinne irgendwann nicht mehr gewaschen.
Jordan Miller, ihre Schwester Kylie (Gitarre), die Gitarristin und gelegentliche Keyboarderin Leandra Earl (Gitarre, Keyboards) und Eliza Enman-McDaniel (Schlagzeug) kennen sich seit der Schulzeit, haben Banderfahrungen unter dem Moniker Done With Dolls gesammelt. Heute eröffnen The Beaches Shows der Rolling Stones und werden von Elton John geadelt. Das ist in etwa so wie früher in Weimar, wenn Goethe einen jungen Nachwuchsdichter empfing und pries. Kein Wunder, sind den Kanadierinnen doch elf kompakte Drei-Minuten-Songs ohne ein Gramm Fett gelungen sind, die durchweg Spaß machen.
Der Synthie-Pop von „Lesbian Of The Year“ klingt mit seiner schmeichelnden Keyboard-Melodie hingegen fast besinnlich und thematisiert Leandra Earls erleichterndes Outing. „Jocelyn“ ist überbordender Power-Pop, doch das lyrische Ich beklagt ein falsches Bild, das sich besagte Freundin von ihm gemacht hat. „Last Girls At The Party“ spielten The Beaches Anfang August bei „Inas Nacht“ im Hamburger „Schellfischposten“. Gastgeberin Müller, die ja ein Händchen für Acts hat, die in Deutschland noch nicht so bekannt sind, kündigt das Stück als den „Girl-Song des Jahrhunderts“ an. Es ist auch der aufgekratzte Rausschmeißer auf „No Hard Feelings“. „Everyone’s gone home, the lights are turning low“, krakeelen die Mädels unisono, aber für sie ist die Party noch lange nicht zu Ende. Und wir können ja wieder auf Start skippen und unsere eigene Party von vorn beginnen lassen.
„No Hard Feelings“ von The Beaches erscheint bei AWAL/Membran.




