Deacon Blue feiern das 40-jährige Band-Jubiläum. Frontmann Ricky Ross und Co-Sängerin Lorraine McIntosh sind seit 35 Jahren verheiratet. Im Frühjahr erschien das neue Album „The Great Western Road“, das sie mit Matt Butler aufgenommen haben, der bereits ihr Debüt „Raintown“ betreut hat und das zusammen mit dem Nachfolger „When The World Knows Your Name“ zu den großen Momenten ihres Œuvres gehört. Und dann stirbt im Juni völlig unerwartet ihr Pianist und Keyboarder James Miller Prime. Im Booklet und im Innencover der nun erschienenen „Tour Edition“ mit fünf Bonus-Tracks sehen wir Prime fröhlich im Kreise seiner Band und im Studio. Ross schildert im Begleittext noch einmal den Enthusiasmus, den Prime an den Tag legte, als er dem Stück „Late ‘88“ mit seiner Idee zu einem Streicherarrangement einen neuen Twist verpasste. Alles fließt, der Refrain hymnisch. Der Song wird die erste Single. Ein Rückblick mit dem typischen melancholischen Anstrich, der sie mit Prefab Sprout verbindet. „When we didn’t even care about what we didn’t know/Never thought about tomorrow“, singen Ross und McIntosh und doch strahlt überall der Optimismus hervor. 1988 war das Jahr des Durchbruchs: Sie singen „Real Gone Kid“ bei Top of the Pops, es wird ein Hit, und das dazugehörige Album geht in Großbritannien auf die Eins.
Mit dem Titelsong beginnt Deacon Blues aktuelles Album. „The Great Western Road“ ist eine Straße, die aus Glasgow herausführt in die Highlands bis Loch Lomond. Dort haben Ross und McIntosh geheiratet. Und sie ist eine Metapher für das Leben mit all seinen Kurven, Abzweigungen und Entscheidungen, wie der Weg weitergehen soll. Erst nur Klavier, ein sich vortastender, nachsinnender Gesang, dann setzen Schlagzeug, Gitarre, Bass und Orgel ein und die Zuversicht macht sich breit, dass der richtige Weg schon gefunden wird, auch wenn man ihn im Alter vielleicht etwas bedächtiger geht. Andererseits: Wer Deacon Blue im letzten Jahr auf Tour erleben durfte, sah eine Band, die mit ihrer Energie die Zuschauer von den Rängen des Amphitheaters im toskanischen Peccioli vor die Bühne lockte. Fans schwenken eine Schottland-Fahne, alles tanzt und singt begeistert mit, während hinter den Hügeln die Sonne untergeht. Wer hätte gedacht, dass die Band das großartige Konzert von Divine Comedy am Vorabend übertreffen könnte. Einen Eindruck vermittelt die CD/DVD-Box „Live At The Glasgow Barrowlands“.
Ein Live-Favorit könnte „People Come First“ mit seiner kreiselnden U2-artigen Gitarre und dem hitträchtigen Refrain werden. Der Songtitel spielt auf eine Ausstellung der amerikanischen, neorealistischen Malerin Alice Neel an, die in der Tradition der Neuen Sachlichkeit steht. Ebenfalls Hitpotential offenbart „Turn Up Your Radio!“ mit seinem Motown-informierten Celtic Soul und den jauchzenden Streichern. „Up Hope“ lockt die gute Laune klatschend hervor – und passt mit seinem aufgekratzten Impetus nicht recht in den Songzyklus. Das auf einem funkigen Wah-Wah-Backbeat basierende „Mid Century Modern“ mit seinen „Uhu uhu wah uuh“-Hintergrundgesang und den wunderbar phrasierten Lead-Vocals gehört zu den Highlights der Platte. „How We Remember It“ greift noch einmal das Motiv des Lebenswegs auf und sinniert über Erinnerungen und das Vergehen der Zeit. „Wait On Me“ beschreibt zu Wurlitzer-Piano, Besen-Schlagzeug und Akustikgitarre eine durchwachte Nacht. Und unter dem Sternenhimmel überlegt das lyrische Ich, wie eine Beziehung zu retten wäre. „Let’s pretend this night is ours“, singt Ross zur barmenden Orgel in „Underneath The Stars“, doch das Neonschild muss als Mond herhalten und tötet alle Romantik.
„The Great Western Road“ hält das Gleichgewicht zwischen lebenskluger Melancholie und motivierendem Optimismus. Und dafür finden Deacon Blue kongeniale musikalische Ideen. Dass sie nun eine erweiterte Edition herausgebracht haben, mag den Käufer von physischen Tonträgern ärgern, muss er als Fan und Komplettist nun erneut investieren. Streamer können sich hingegen unbeschwert über den Mehrwert freuen. Zu „Connie And Sam“ sieht man das Publikum schon die Arme schwenken. Die beiden als Demos ausgewiesenen Stücke sind ausformulierte Songs und bei Weitem nichts von der Resterampe. In „Much Too Close To Love“ verschmelzen McIntoshs Stimme mit Ross‘ Falsett. Ein zauberhafter Schlusspunkt für die „Tour Edition“.
„The Great Western Road (Tour Edition)“ von Deacon Blue erscheint auf Cooking Vinyl.