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Lebenslang, vermutlich.
Sätze wie „Wir lieben Left Of The Dial!“, „Wir wollen hier nie wieder weg!“, „Das ist unser erster Auftritt außerhalb unserer Heimat…“, „Das ist das beste Festival!“ und viele verschiedene Versionen hört man fast durchweg von den Bands, wenn man sich auf dem Showcase-Festival Left Of The Dial drei Tage lang in Rotterdam bewegt. Auch vermutlich deswegen steht der Zusatz „For Life“ auf dem Festival-Bändchen. Aber warum auch nicht – hier passt einfach alles.
Naja, fast alles, denn dieses Jahr war das Wetter tatsächlich furchtbar, Regen von allen Seiten und ein kleines Sturmtief namens Benjamin sorgten für etwas zusätzliche Spannung, aber mal davon abgesehen ist Left Of The Dial das Festival für alle, die etwas mit Indie-Rock-Pop und Post-Punk anfangen können. Hier tummeln sich vorwiegend aufstrebende Bands aus dem UK, aber natürlich aus anderen Ländern.
2018 startete es als Zwei-Tage-Festival von den Betreibern des Rotown, es hat die Pandemie überstanden und ist nun auf inzwischen drei Tage erweitert worden. Es findet in verschiedenen Spielstätten (normale Clubs, Kirchen, Karaoke-Bars, etc.) verteilt über die Innenstadt Rotterdams statt und der Name stammt von einem Song der Replacements – als Referenz an die amerikanischen Radio-Stationen, wenn man ganz nach links auf dem Frequenzband gehen musste, um Alternative Music zu finden. Und es gibt nach wie vor keinen Headliner – alle Bands spielen 40 Minuten, also eher Showcase-Charakter. Es ist alles hervorragend mit viel Liebe zum Detail organisiert.
Es gibt einen zentralen „Merch Minimart“, ein Popup-Store, der alles Mögliche an Band-Merchandise anbietet, und als besonderen Service für vor allem die vom Brexit gebeutelten englischen Bands den Print-on-demand-Shirt-Service, d.h. die Bands können ihre digitalen Design-Vorlagen, Logos, etc. dem Festival vorab zukommen lassen und die Shirts können dann von den Leuten vor Ort nach Belieben bedruckt werden. Und das alles ohne zusätzliche Gebühr. Toll!
Rund 150 Acts standen diesmal auf dem Programm – netterweise spielen fast alle Bands mehrfach an den verschiedenen Tagen auf dem Festival, so ist die Chance, dass man eine Band verpasst, die man unbedingt sehen wollte, doch sehr gering. Und es gibt ja auch noch ein Parallel-Festival namens The Official Unofficial – zeitlich alles vor dem Hauptprogramm des Left Of The Dial angesetzt und zudem kostenlos treten hier auch teilweise noch Bands vom LOTD auf. Dazu gibt es auch noch Bands On A Boat, Bands On A Bus und und und. Viel zu tun sehen und hören – deswegen gibt es hier natürlich nur einen kleinen, kurzen Auszug dessen, was man dieses Jahr hätte sehen können.
In der Nähe der Kubushäuser im Club namens The Cube (natürlich) gaben The New Cut aus Bristol ihr Debüt außerhalb Englands – was natürlich auch Sänger/Gitarrist Henry zum Anlass nahm, stolz darauf hinzuweisen und anzufügen: „Wer weiß, vielleicht könnt ihr in zehn Jahren sagen, ihr seid dabei gewesen…und die Band war damals schon scheiße…“ Humor haben sie, gute Musik aus der Post-Punk-Ecke ebenso.
Auf dem Schiff V11 war man dann gespannt, wie Nicholas Romanov aka The Sick Man Of Europe die „Düsternis, Intensität und Kälte“ live rüberbringt, die seine Songs sonst auszeichnet. Musikalisch: Mit kompletter Band-Besetzung (Gitarre, Bass, Schlagzeug). Darbietung: Okay. Wenn man als SängerIn ein paar Momente im Publikum verbringt, sei es moshender oder singender Weise, ist das ja recht unterhaltsam. Romanov aber treibt es auf die Spitze und war nur für einen Song auf der Bühne zu sehen, ansonsten irgendwo im Publikum. Das war tatsächlich etwas nervig bzw. ablenkend. Und für die restlichen Band-Mitglieder vermutlich auch eher unschön, die ganze Zeit über nur Rücken/Hinterköpfe vor der Bühne zu sehen.
Im recht kleinen und schmalen Club Centraal ging es dann heiß her mit Yaang aus Manchester – auf der einen Seite finden sich viele Rock-Elemente in der Musik wieder, auf der anderen lassen sie auch immer wieder elektronische Spielereien mit einfließen, das Schlagzeug kommt komplett aus dem Drum-Computer – soll heißen: Hier wird gerockt mit hohem Tanz-Anteil. Wie so vieles, was so aus Manchester kommt. Macht auf jeden Fall Spaß.
„rabbits dressed as humans dressed as musicians“ – steht da so auf dem Instagram-Profil von Rabbitfoot aus England. So ähnlich wirr ist dann auch die Musik. Aber auch sehr intensiv – die Bühnen-Darbietung von Sängerin River ist schon einmalig, sie durchlebt alle Textzeilen mehr oder weniger mit dem ganzen Körper. Musikalisch gibt es einen wilden Mix aus Pop, Rock, Electro und alles andere, was man sich so vorstellen kann. Hört sich schwierig an, ist aber durchaus eine tolle Erfahrung.
Aus Brighton stammen Van Zon und machen so etwas wie experimentellen Post-Rock mit Folk-Sprengseln, inkl. Geige und kaputter Schuhsohle des Gitarristen, der dann mit nur einem Schuh weitermachen musste. Und das alles auch noch auf einem Boot, denn dieser Auftritt fand unter dem Motto „Band On A Boat“ statt, bei dem zwei der LOTD-Bands jeweils einen kurzes 20-30-Minuten-Set spielen, Hafen-Rundfahrt inklusive.
Die zweite Band auf dem Boot-Trip war dann Mên An Tol aus London, die sowas wie Indie-Rock-Pop mit Storytelling im Repertoire hat. Als besonderes Merkmal ist vor allem der Einsatz der Mandoline hervorzuheben – allerdings größtenteils nicht gespielt wie eine normale Mandoline, sondern sie geht fast als Gitarre mit allerlei Effekten durch, auch sogar Feedback. Interessant. Und schöne Melodien. Sollte man weiter verfolgen.
Freunde von großflächigen Wall Of Sounds konnten dann bei Lemondaze aus England im Worm auf ihre Kosten kommen. So großflächig, dass die beiden Gitarristinnen/Sängerinnen jeweils ein kleines Notizbuch mit Konfigurations-Infos/Settings neben ihren Effekt-Boards liegen hatten – natürlich recht gefährlich, wenn dann ein Setlist-Sammler das Buch versehentlich mitnehmen würde… Aber mal davon gesehen, war das schon eine eindrucksvolle Darbietung – man denke an eine eher härtere Seite des Shoegaze/Dream-Pop, dennoch mit schönen Gesangs-Melodien.
Aus Manchester stammen Martial Arts, die Band. Mit Kampfkunst haben die Jungs vermutlich nicht so wirklich viel zu tun, ihre Musik ist recht energischer Indie-Rock mit Post-Punk – auch wenn die Hälfte der Band laut eigener Aussage bei diesem Auftritt im Theater Rotterdam nicht auf der Höhe gewesen sei, ein DJ-Abend zuvor hätte Spuren hinterlassen. Macht nichts, hat trotzdem ordentlich gerockt und alle Töne waren an der vorgesehen Stelle.
Eher episch angehaucht ging es dann im De Doelen weiter Saint Clair aus London – Sänger/Gitarrist Toby Bardsley besticht nicht nur durch Coolness, sondern auch durch eine erstklassige gesangliche Leistung zu den Songs, die irgendwo zwischen Shoegaze und Indie-Rock liegen.
Aus dem irischen Cork stammen die fünf Leute von Pebbledash und laden ein zu einem gemeinsamen Trip durch Dream-Pop mit Soundscapes, effektbeladenen Gitarren und schönen Gesangsmelodien. Im Set ist auch das eindrucksvolle „Carraig Aonair“, das auf einem gälischen Traditional beruht und Sängerin Asha zu Höchstform auflaufen lässt. Gänsehaut pur.
Passend platziert in der Arminius Kirche wurde es dann recht mysteriös – Tanzana aus Glasgow treten in seltsamen Gewändern auf, ebenso obskur geschminkt, und haben mit Sängerin Freya Talbot eine kleine Überraschung parat, denn eine solche eindringliche Stimme hätte man nicht unbedingt erwartet. Musikalisch auch irgendwo zwischen Shoegaze und Indie-Rock angesiedelt, sticht dann vor allem der Gesang hervor. Eindrucksvoll und überraschend!
Der Name deutet es schon an – bei Truthpaste geht es spaßig her. Vor allem textlich, aber auch musikalisch anspruchsvoll lässt es die Band aus England angehen, schließlich haben wir es hier mit Multi-Instrumentalisten zu tun, die einfach großen Spaß an der Sache haben und das auch überzeugend rüberbringen. „Experimental live performances that will make you feel weirdly at home“ sagt die Band selbst dazu – besser kann man es nicht ausdrücken.
Aus Frankreich angereist ist naya mö, Gitarristin/Sängerin Naya, die sich auf der Bühne von einem Schlagzeuger begleiten lässt – schon anhand dieses Set-Ups ist fast schon klar, in welche musikalische Richtung es hier geht: Indie-/Alternative-Rock. Und genau das wurde auch mit großem Einsatz und vielen Gitarren-Effekten zelebriert.
Post-Punk mit Storytelling aus Irland. Kommt einem ja irgendwie bekannt vor. In dieser Ecke mischen auch Croîthe mit, deren guter Ruf als erstklassige Live-Band wohl auch schon die Runde in Rotterdam gemacht hat, denn es drängelten sich schon viele Leute in die vordersten Reihen des Saals im De Doelen.
Aus dem englischen Bath/Bristol kommen Night Swimming und konnten im Uniek Club mit ihrem Dream-Pop-/Shoegaze-Sound vollkommen überzeugen. Nicht wie sonst üblich in diesem Genre, ist der Gesang von Meg Jones nicht zurückhaltend, sondern schon deutlich im Vordergrund stehend – was ja auch kein schlechter Weg ist, sich von anderen Bands etwas abzugrenzen. Sehr schön!
Ebenfalls im Uniek wurde es dann richtig laut und krachig mit thistle. aus Northampton – die Selist sieht auf dem Papier eigentlich viel zu lang für die geplanten 40 Minuten aus, aber das Trio gibt alles, ihre Noise-/Alternative-Rock-Songs sind alle eher kurz und knackig gestaltet und schütteln erstmal alle Anwesenden angenehm durch.
See you next year, LOTD! And the next, and the next, and the next…





















































