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All Over The Place
Auch in diesem Jahr wäre es physikalisch unmöglich gewesen, alle 24 Acts zu begutachten, die an einem einzigen Festivaltag in den mittlerweile sechs Spielstätten des Oosterpoort im niederländischen Groningen auf dem Take Root Festival ihre Sicht auf das, was man gemeinhin „Americana“ nennt, zum Ausdruck brachten. Immerhin gibt es seit den letzten drei Jahren die Institution der Pre-Festival-Show im Vera Club am Vorabend des eigentlichen Festivals, in der dann ein oder zwei Acts, die auch auf dem Festival zu Gast sind, ihr Programm bereits vorab präsentieren können.
In diesem Jahr war es der schratige Songwriter Gill Landry, der seine von skurrilem schwarzen Humor durchzogenen Mörder- und Redneck-Balladen präsentierte. Der auch unter dem Nickname Frank Lemon agierende ehemalige Old Crow Medicine Banjo-Spieler und Steel-Gitarrist und Gründer der Band The Kitchen Syncopators (mit der er sieben LPs veröffentlichte), braucht für seine Solo-Gigs nicht viel, um glücklich zu sein: Seine halbakustische Gitarre, ein paar Mundharmonikas, seine Stimme und eine Mundtrompete. „Wisst ihr, was eine Mundtrompete ist?“, fragte er ins Publikum, um dann mit seinen Lippen Blasmusik-Sounds zu erzeugen und das Publikum aufforderte, es ihm nachzutun – was dann allerdings klang, als hätte das Publikum kollektiv angefangen zu gurgeln. Das war aber unterhaltsamer und weniger verzweifelt, als das Publikum etwa zum Mitsingen oder Klatschen zu animieren.
Am Festivaltag gab es dann Entscheidungen zu treffen – denn die Shows waren zu Beginn jeweils in Blöcke von drei Acts unterteilt, die zeitgleich in den verschiedenen Räumen des Oosterpoort auftraten. Die erste Schicht bestand zum Beispiel aus den Songwriterinnen Courtney Marie Andrews und Alela Diane sowie der britischen Americana-Band Brown Horse, die dann eben parallel ab 16 Uhr aufspielten.
Courtney Marie Andrews hatte gerade ihr kommendes Album „Valentine“ fertiggestellt – aber nicht im Gepäck, da dieses erst im kommenden Jahr veröffentlicht werden wird. Dennoch spielten sie und ihr neuer Partner Jerry Bernhardt (mit dem sie das Album bis auf die Drums im Alleingang eingespielt hat) in ihrem einfühlsamen, akustischen Duo-Set im Kleinen Saal einige neue Songs des Albums wie zum Beispiel „Pendulum Swing“ oder „Cons & Clowns“ – die übrigens mindestens so attraktive Melodien bzw. Harmoniefolgen aufzuweisen haben, wie ihr bisheriges Meisterstück „Table For One“, das sie zum Ende ihres Sets spielte. Im kommenden Jahr kehrt Courtney dann – mit dem neuen Album und mit Band – für eine Europa-Tour zurück.
Auch Alela Diane, die zusammen mit dem aus der Songwriterin/Banjospielerin Paige Anderson und der Geigerin Emily Rose bestehenden Folk-Duo Two Runner angereist war, hatte neue Songs im Gepäck – gleichwohl ihr kommendes Album auch erst unbestimmt für nächstes Jahr angekündigt wurde. Wie schon mit ihrem letzten Studioalbum „Looking Glass“ wandte sich Alela Diane auch mit diesem Set im wie üblich brechend vollen Binnenzaal ihren akustischen Folk-Roots zu, über die sie mit ihrem Durchbruchsalbum „The Pirate’s Gospel“ vor 20 Jahren zur New-Folk-Ikone aufgestiegen waren. Die musikalischen Querverbindungen wurden auch durch die Songauswahl deutlich, indem Alela neue Songs wie „Paloma“ mit älteren wie „The Rifle“ kombinierte. Es gab dann einige Pausen im Set, weil Paige Anderson ihr Vintage Banjo vom Anfang letzten Jahrhunderts immer wieder stimmen musste – was Alela mit Stage-Banter aber nonchalant überspielte.
Die britische Americana-Rockband Brown Horse (die ihre Musik selber „Slacker Twang“ nennt) spielte derweil ein druckvolles Set im Foyer – wobei die Band und insbesondere der Frontman Patrick Turner geradezu überwältigt schienen vom gewaltigen Zuspruch im dicht gedrängten, langgezogenen Foyer. Das könnte für die Band auch tatsächlich überraschend gewesen sein, denn ihr ging der Ruf voraus, in Live-Situationen oft mit technischen Problemen und schlechtem Sound zu kämpfen zu haben. Der Gig beim Take Root ging aber ohne solche Probleme über die Bühne. Dass die Band neben grungigen und psychedelischen Gitarrensounds gleichberechtigt auch Akkordeon und Pedal-Steel-Gitarre zum Einsatz brachte, sorgte für einen coolen Soundmix, der das klassische Roots-Rock-Genre hinter sich ließ. Vermutlich liegt das auch daran, dass die MusikerInnen eben nicht aus dem amerikanischen Heartland, sondern aus dem beschaulichen, englischen Norwich stammen – und sich somit stilistische Freiheiten rausnehmen können, auf die US-Musiker so schnell nicht gekommen wären.
Auf dem Weg zur nächsten Konzertstaffel war dann noch etwas Zeit, bei der Country-Rockerin Brandy Clark im großen Saal vorbeizuschauen, die mit ihrer Hippie-Band allerdings ein zwar hochprofessionell durchstrukturiertes, aber musikalisch eher überraschungsfreies Set präsentierte, das musikalisch dann doch ziemlich ins mainstreamige abdriftete. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Clark eigentlich als Songwriterin für andere in der Nashville-Szene ihr Auskommen hat und demzufolge nie die Notwendigkeit hatte, sich ein schillerndes Image als Live-Performerin zuzulegen. Es war aber so, dass die holländischen Fans die routiniert dargebotene Show gut annahmen – nicht zuletzt deswegen, weil sich direkt vor der Bühne einige Hardcore-Fans versammelt hatten, die ihr Idol regelrecht feierten – was sich positiv auf die Stimmung in der Halle auswirkte.
Als nächstes traten dann die US-Country-Rock-Legende James McMurty, die Roots-Rockerin Lilly Hiatt und The Weather Station „gegeneinander“ an.
James McMurty setzt die schriftstellerische Tradition seines Vaters Larry McMurty („The Last Picture Show“) bekanntlich auf der musikalischen Ebene fort, indem er in seinen Country-lastigen Kompositionen öfter auf Outlaws und Außenseiter eingeht. McMurty, der heutzutage in Austin, Texas – der Hauptstadt des Roots-Rock-Sounds – zu Hause ist, hatte tatsächlich sein gerade erschienenes 14. Album „The Black Dog And The Wandering Boy“ im Gepäck und erweiterte das Klangbild seiner Show im Kleinen Saal – wie auf dem Album auch – mit deutlichen Blues-Akzenten, einer Prise Psychedelia, Rock-Elementen und einer Prise Cosmic American Flair. Die früher dominierenden Country- und Folk-Aspekte seiner Musik kamen dann nur noch partiell zum Vorschein.
Bei der Take Root-Veteranin Lilly Hiatt (die bereits 2019 beim Take Root gastierte) gibt es heutzutage gar keine Country-Elemente mehr. Die Tochter der Songwriter-Legende John Hiatt setzte bei ihrem Set im Foyer ganz auf klassischen Schweinerock-Sound – inklusive diverser Gitarren-Soli und Duelle – die dann eben nicht mit Country-Vibes, sondern eher mal mit Glam-Rock-Grooves oder Blues-Licks daherkamen – wie der Opener „Hidden Day“ vom neuen Album, oder „The Night David Bowie Died“ von ihrem Album Trinity-Lane.
Etwas deplatziert wirkte im Folgenden dann Tamara Lindeman mit ihrem Projekt The Weather Station im Binnenzaal. Zum einen, weil ihre jazzigen Artpop-Songs so gar nichts mit klassischer Americana zu tun haben (was aber dem interessierten Publikum relativ schnuppe war), und zum anderen, weil die hochschwangere Musikerin eher mit dem kosmischen Universum als mit ihren Musikern oder gar dem Publikum zu kommunizieren schien und mit esoterischer Konzentration und Ernsthaftigkeit zu Werke ging, sich zuweilen mit dem Rücken zum Publikum zum Meditieren auf den Boden setzte oder in den Kosmos gestikulierte, während sie die Intentionen hinter ihren Songs auf philosophische Weise zum Besten gab. Das war dann kein schlechtes Konzert – sogar ein recht interessantes und musikalisch anregendes – kam aber aufgrund des Themas des Festivals dann doch ein wenig überraschend.
Die nächste „Schicht“ bestand dann nur aus zwei Acts, die zeitgleich auftraten: Die Wahlkanadierin Frazey Ford spielte im Rahmen ihrer eh ausverkauften Holland-Tour ein Set im kleinen Saal, während der schwedische Songwriter Kristian Matsson a.k.a. The Tallest Man On Earth seine Show im großen Saal präsentierte. Das machte sich insofern bemerkbar, als dass der Andrang – insbesondere im kleinen Saal – mangels Alternativen dann fast schon absurd groß war.
Schon lange vor Beginn der Show von Frazey Ford war der kleine Saal bis auf den letzten Platz gefüllt – und immer noch drängten mehr Menschen in die Spielstätte. Das adressierte die Künstlerin selbst auch, die um Zurückhaltung in den ersten Reihen des Auditoriums bat. Zur Zeit des Festivals war Frazey Ford auf einer ausverkauften Holland-Tour unterwegs. Der Grund dafür blieb ein bisschen im Dunkeln, denn weder hat Frazey Ford ein neues Album im Köcher – noch präsentierte sie grundsätzlich Neues. Freilich schien das auch nicht nötig, die Fans in ihren Bann zu ziehen – alleine mit der Qualität ihres Songmaterials, dem exquisiten Zusammenspiel ihrer ausgezeichneten Band (die immer alles so klingen ließ, als entstünden die Stücke gerade erst vor den Ohren des Zuhörers) und natürlich mit dem nach wie vor faszinierenden Vibrato, das ihrem souligen Vortrag sowieso immer schon eine spirituelle Note angedeihen lässt.
Mit der Spiritualität war es dann allerdings schnell vorbei, als es darum ging, sich einen Weg durch das dicht gedrängte Publikum im kleinen Saal zu bahnen, um noch einen Platz vor der Bühne des kanadischen Ensembles Horsebath im Foyer zu ergattern – das mit etlichen Vorschusslorbeeren angereist ist – und dem Gerücht, dass Sierra Ferrell einen Gastauftritt beim Set des Quintetts haben sollte (was sich aber nicht bewahrheitete). Mit ihrem Retro-60s-Psychedelia-Gitarrenpop-Sound liefen sie bei den Traditionalisten im Publikum natürlich offene Türen ein. Wie ihre berühmten Vorreiter von The Band (nicht zufällig ebenfalls eine ursprünglich kanadische Truppe) wechselten sich die drei Lead-Sänger (Daniel Connolly, Keast & Dagen Mutter), munter ab und übernahmen dabei dann auch jeweils den Gitarrenpart – mal mehr oder weniger psychedelisch und zuweilen gar mit Country-, Honky-Tonk- und Tex-Mex-Elementen bis hin zur Polka flirtend. Das war dann alles schön und gut – aber auf die Dauer dann doch etwas viel des Guten. Den Fans schien das aber zu gefallen, denn hier gab es dann auch für die älteren Semester mal etwas zum Abhotten.
Etwas einfacher machte es den Fans dann der Country-Mann Jesse Daniel, der im großen Saal offenbar so eine Art Homecoming-Show spielte – denn offensichtlich war das nicht sein erster Besuch in den Niederlanden. Der „Son of San Lorenzo“ (so der Titel seiner aktuellen Scheibe, die er als Hommage an seine Heimatstadt verstanden wissen will) sieht auch auf der Bühne aus, als sei er ohne Umweg aus den 70er Jahren nach Groningen gekommen – Stetson-Hut, Karohemd, Lederweste, Schnurrbart und Koteletten inklusive. „My Time Is Gonna Come“ heißt dann auch noch einer seiner Titel. Natürlich schlug sich das auch musikalisch nieder, denn Daniel bewegt sich mit seinem Country-Rock elegant an der Schnittstelle zwischen Cosmic American Musik und klassischem Nashville 70s-Schmelz. Interessant war dabei, dass dieser Mix ausgerechnet bei jüngeren Leuten im Publikum besonders gut ankam. Nun ja: Für die war das ja irgendwie auch neu.
Mittlerweile hatte sich das Gefüge etwas gelockert und die verschiedenen Shows fanden nun versetzt statt. Dennoch war es aufgrund des gewaltigen Andrangs nicht möglich, zu Chuck Prophet und seinen Cumbia Shoes in den Binnenzaal vorzudringen. Als Alternative bot sich da die Show der aus Colorado stammenden Songwriterin Emily Scott Robinson im bestuhlten Attic-Club an. Der war dann zwar auch ziemlich überlaufen – aber wenn man dort erst mal einen Sitzplatz ergattert hat, dann ist man auf der sicheren Seite.
Emiliy Scott Robinson hielt hier tapfer die Fahnen der akustischen Singer/Songwriter hoch, die auf dem Take Root eher unterrepräsentiert sind. Dabei empfahl sie sich als sympathische, empathische Performerin, die keine Mühe hatte, die Zuschauer auf ihre emotionalen Berg- und Talfahrten mitzunehmen – vor allen Dingen, indem sie diese Emotionalität hemmungslos auf der Bühne auslebt – bis hin zu echten Tränen. Dabei erläuterte sie auch die Stories hinter ihren Songs. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass „Old Gods“ – der Opener ihres immer noch aktuellen Albums „American Sirens“ – den Hexen aus Shakespeares Macbeth gewidmet ist oder dass „Hometown Hero“ keineswegs das Loblied auf einen US-Patrioten ist, sondern das Porträt eines Army-Veteranen, der sich das Leben nahm, als er nach zwei Auslands-Einsätzen nicht mehr zurechtkam. Das war stimmig, anrührend und musikalisch ansprechend.
Early James – der eigentlich Fredrick James Mullis Jr. heißt – ist ein Retro-Blues-Rocker alter Schule und hat in der Szene für Aufsehen gesorgt, seit er bei Dan Auerbachs Easy Eye Sound Studio beschäftigt ist. James hat nun tatsächlich ein neues Album namens „Medium Raw“ im Gepäck. Auf der Bühne im Foyer gab es da allerdings keine Beschränkungen dieser Art – da war die Sache dann schon ziemlich rau – und vor allen Dingen laut (das kennt man ja aus dem Black Keys-Dunstkreis). James stürzte sich mit der Intensität eines Künstlers ins Geschehen, der sozusagen an beiden Enden brennt (und das mit Songtiteln wie „I Could Just Die Right Now“ manifestiert) und pflügte mit Urgewalt und psychedelischer Note durch sein Programm, das von einer ziemlich coolen Rhythmusgruppe soulig/bluesig unterlegt wurde.
Aufgrund dessen, dass dann auch alle noch laufenden Shows um Punkt Mitternacht beendet sein mussten, war das dann auch ein würdiger Abschluss für einen geschäftigen Tag mit viel Hin und Her – an dem es dann allerdings auch mehr zu sehen und zu entdecken gab, als bei manchen anderen mehrtägigen Festivals.
Das nächste Take Root Festival findet am 07.11.2026 statt.



















































