Als musikalisches Reisetagebuch bezeichnet Lia L. Shoshann ihr zweites Album „Josefin Sans“. An anderer Stelle ist von einem Crossover-Werk zu lesen. Das stimmt alles – irgendwie. Denn wie das bei genau beobachtenden Songwritern (wie Lia offensichtlich eine ist) so üblich ist, steckt hinter solchen Äußerungen oft mehr, als man vermuten würde. Gewieften SongwriterInnen etwa genügt es nicht, Orte zu beschreiben, um etwa eine – wie auch immer geartete – Reise zu beschreiben. Stattdessen geht es um Emotionen, Seinszustände, Nostalgia, Erinnerungen und Interpretationen, die dann in einem (meist poetisch ausgelobten) Gesamtkosmos mit der Musik verschmolzen werden. Lia reist also weniger von Ort zu Ort als vielmehr durch Raum und Zeit. Eine Reise kann ja auch eine zur Selbsterkenntnis, eine Bildungs- oder eine Heldenreise sein – und so etwa ist das metaphernreich ausgeschmückte (übrigens bilingual auf Englisch und Deutsch) ausgeführte Werk denn auch zu sehen. Wobei es Lia wohl nicht darum geht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern im Weg das Ziel zu sehen.
Musikalisch ist die Sache mit dem Crossover vielleicht nicht ganz so spirituell und/oder philosophisch zu sehen – aber passieren tut da schon eine ganze Menge. Grundsätzlich bewegt sich Lia L. Shoshann in einem Folkpop-Setting – aber nur deswegen, weil hier überwiegend auf akustischer Basis aufgesetzt wird. Stilistisch bleibt es aber nicht beim klassischen Bedsitter und/oder Lagerfeuer-Folk. Dafür entstehen dann interessante musikalische Abenteuer – eben weil sich Lia nicht an Genres und Stilen festklammern möchte. Nur mal so zum Beispiel: Der Track „Angi“ etwa ist eigentlich ein Rocksong mit Reggae-Grooves im Akustik-Setting. Das „Lied der Gleise“ kommt als Blues-Song im Noir-Gewand daher und überrascht mit einem jazzigen Trompeten-Backing. In dem Track „Blink 182“ referenziert Lia die gleichnamige Rockband – allerdings auf akustischer Basis, mit einer psychedelischen E-Gitarre, die im Hintergrund ihr Unwesen treibt und Power-Chords, die mit einer verzerrten akustischen erzeugt werden. Das nachfolgende „Lost“ ist dann eine Art Rock-Steady Shuffle, der von munteren, poppigen Bläsersätzen begleitet – und so zum heimlichen Hit des Albums wird. Und mit dem zweiten von drei deutschen Songs „Das Echo“ gelingt es Lia & Co. (einfach mit einem originellen Bass- und Perkussion-Arrangement) sogar so etwas wie eine eigene stilistische Genussmittelklasse zu finden. Wem das alles nicht besonders überraschend erscheint, der ist vermutlich – wie wohl Lia L. Shoshann selbst auch – ein Fan von Dota Kehr.
Der Titel des Albums „Josefin Sans“ bezieht sich nicht etwa auf eine Person, sondern auf die Schriftart „Josefin Sans“, die für Lia eine besondere persönliche Bedeutung hat, die sich „sich wie eine Handschrift durch die Themen dieses Albums zieht“. Diese braucht man aber nicht zu kennen, um das Album wertschätzen zu können.
„Josefin Sans“ von Lia L. Shoshann erscheint auf Calygram.




