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Wochenlang
Für die 11. Ausgabe des Berliner Pop-Kultur Festivals hatten sich die Macher des Music Board Berlin entschlossen, die Veranstaltung über die ganze Woche vom 25.-30.08.2025 auszudehnen, dabei das Wort/Talk-Programm vom Musikangebot zu trennen und neben der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg (in der das Festival bislang an drei Tagen stattfand) auch das Kulturzentrum Silent Green im Wedding und den Festsaal Kreuzberg als Spielorte einzubeziehen. Dabei entstanden dann auch gleich neue Formate und letztlich auch eine Entzerrung des bis dahin eng getakteten Angebotes.
An den ersten beiden Tagen gab es tagsüber im Silent Green das Wort-Programm – bestehend aus Panel-Talks, Diskussionsrunden, Lesungen, Präsentationen und diversen Meetings (für das Fachpublikum) – während es abends in verschiedenen Kneipen im Wedding das neue Projekt Sonic Crossings zu bestaunen gab – bei dem im Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut der Blick auf eine bestimmte Region gerichtet wird – in dem Fall Armenien, Aserbaidschan und Georgien. Daneben gab es dann noch Nachwuchsförderung – am Montag in einer Spielstätte namens Callie’s mit den Folkwang Nachwuchs-Sessions und am Dienstag spielten lokale Acts in diversen Kneipen auf.
Der Witz war dann der, dass die offizielle Eröffnung des Musikprogramms des Festivals erst am Mittwoch in der Kuppelhalle des Silent Green stattfand. Hier stimmten dann die Festival-Leitung und das Programm-Team auf das musikalische Programm ein und wiesen auf ein paar Highlights hin – während die Berliner Künstlerin Balbina ein wirklich kluges Grußwort zum Thema Verantwortung und Demokratie im Musikbusiness (und der Welt im Allgemeinen) an das versammelte Fachpublikum richtete. Im Anschluss daran begann das Live-Musikprogramm (inklusive erster Commissioned Works und DJ-Sets) des Festivals in verschiedenen Spielstätten des Silent Green Komplexes.
Am Donnerstag gab es dann eine Art Pause – denn im Festsaal Kreuzberg ergab sich mit dem neu geschaffenen „Labelmarkt“ für Musikfans und Fachbesucher die Möglichkeit, sich direkt mit den wichtigsten Berliner Indie-Labels auszutauschen. Die Veranstaltung war frei zugänglich und wurde mit einem Showcaseprogramm junger Berliner Künstlern gekrönt.
Am Freitag und Samstag fand dann schließlich das „normale“ Live-Programm seine Fortsetzung – dieses Mal allerdings wie gewohnt in den Spielstätten der Berliner Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg und ergänzt um das – frei zugängliche – Programm der Çaystube und der Pop-Kultur Nachwuchs-Förderung am Freitag sowie der Residenz-Programme am Samstag – wie üblich im Biergarten des Frannz-Club – alles übrigens barrierefrei zugänglich (sofern die nicht immer optimal informierten Security-Leute das zuließen).
Logischerweise waren wir dann vor Ort, um das Musikprogramm in Ohrenschein zu nehmen. Los ging es also am Montag im Callie’s (einer alten Werkshalle in einem Hinterhof des Wedding), wo sich unter dem Motto „8×15“ acht Acts, die noch am Anfang ihrer Laufbahn als potentielle Rockstars stehen, mit Showcases von (ungefähr) einer Viertelstunde unter dem Mantel des Instituts für Pop-Musik der Folkwang Universität in Bochum präsentierten. Um den reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, waren alle benötigten Instrumente der Beteiligten an der Längsseite des Raumes aufgebaut worden und wurden dann von rechts nach links nacheinander bespielt – während sich das Publikum dann von links nach rechts auf der anderen Seite der Halle aufbaute. Nicht optimal, aber eigentlich recht originell. Das galt dann auch für das kunterbunt gemischte Programm.
Hinter dem Projektnamen Schäfer verbirgt sich der ausgebildete Drummer Lukas Schäfer, der mit seinem Solo-Projekt jedoch lieber an Knöpfen dreht, um mit großer Ernsthaftigkeit seinen modularen Synths flächige Ambient Soundscapes zu entlocken. Auch seine Kollegin LOEA dreht gerne an Knöpfen und arbeitet mit Ambient-Soundscapes, betätigt sich dabei allerdings zusätzlich als Sängerin und trägt ihre poetisch verbrämten Selbstfindungssongs mit allerlei Vocal-Effekten vor. Unter dem Namen Leandria taten sich – zumindest für diesen Abend – der Elektronik-Spezialist Leander und seine Partnerin Maria Tamila zusammen, die sich an zwei Soundstations auf dem Boden gegenüber sitzend über offensichtlich für sie selbst überraschende Soundpatterns erstaunlich heimelige Harmoniegesänge vortrugen, die fast so etwas wie erkennbare Songformate annahmen. Mare Amadou ist eine quirlige kleine Songwriterin, die mit entsprechend gepolter Mädchenstimme meist muntere Pop-Songs auf der Gitarre und Soundbox vortrug und es tatsächlich schaffte, das Publikum zum Tanzen anzuregen. Das versuchte dann auch Johanna Zeul, die mit funky Gitarrenpop-Songs im Stil von Ani DiFranco antrat – jedoch hatte sie das Pech, dass gleich beim ersten Track eine Saite riss, woraufhin sie dann in der Stimmpause eine Werbekampagne für Viva Con Agua initiierte. In der zeitgleich stattfindenden Sonic Crossings Listening Session gab es an diesem Abend noch ein Wortprogramm, bei dem die Musiker aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien ihre Philosophie anhand ausgewählter Musikstücke erklärten.
Alles, was bis zum Mittwoch dann gelaufen war, war aber bloß das Vorgeplänkel für das offizielle (kostenpflichtige) Musikprogramm, das dieses Jahr – wie gesagt – in den Gebäuden des Kulturzentrums Silent Green stattfand. Interessanterweise war das Programm – inklusive zweiter Commissioned Works – dabei so getimt, dass man als Zuschauer tatsächlich alle Live-Acts, die an diesem Abend spielten, auch in Augenschein nehmen konnte. Los ging es kurz nach der offiziellen Eröffnungsansprache in der Betonhalle – einer faszinierenden, unterirdischen Spielstätte in einer ehemaligen Tiefgarage, in die die Zuschauer über eine – wie in einem dystopischen Science-Fiction-Film ausgeleuchtete – Rampe gelangten. Über ein vorgelagertes Atrium mit Bar und Garderobe gelangte man dann in die eigentliche Spielstätte, wo bereits ein DJ-Set der Berliner DJane ABIBA („R’n’B, HipHop, Afrobeats & Dancehall with electronic music elements – mixed with genres such as Baile Funk and GQOM“ heißt es auf ihrer Soundcloud-Page)) im Gange war, das dann die Wartezeit auf den ersten Live-Act verkürzen sollte. Anfangs entwickelte sich das noch etwas zögerlich, aber da ABIBA zwischen den Live-Acts mehrfach auflegte, kam dann beim zweiten und dritten Set tatsächlich Bewegung in die Menge.
Bewegung in die Menge brachte auch Güner Künier mit ihren beiden Mitstreiterinnen – allerdings auf eine andere Weise. Irgendwie hat es Güner Künier geschafft, ihre türkische Identität mit westlichen Musikstilen wie Postpunk, Dark-Wave-, Synth-Punk. Club-Elektronika und Kaputnik-Blues zu verquicken und in Einklang zu bringen. Vielleicht, weil sie bewusst auf folkloristische Elemente verzichtet, aber zuweilen eben dennoch auf türkisch singt, wirkt das Ganze nämlich ziemlich natürlich. Obwohl in der Betonhalle auch Keyboards auf der Bühne standen, ging das Ganze dann aber überwiegend in einem treibenden, Noir-Postpunk-Gewitter unter.
Anschließend gab es im sogenannten Transmediale Studio eine Etage höher das erste Commissioned Work unter dem Titel „The Cave As An Instrument“ zu bestaunen. Die österreichische Konzept-Künstlerin Teresa Rotschopf hatte dazu den mit Kunstnebel gut gefüllten Raum tatsächlich in eine Höhle – und ein Instrument – verwandelt. Und zwar, indem sie insgesamt fünf „Klanginseln“ (kleine Podeste, auf denen Musiker mit ihren Instrumenten verteilt waren) in den Ecken und der Mitte des Raumes verteilt hatte, wobei sie selbst dann das Geschehen von der zentralen Insel steuerte, während Bläser, Keyboard, Xylophon und Drums für ein wirklich immersives Klangerlebnis sorgten, da die Sounds die Zuhörer gleichsam umfassten. Musikalisch ging es um eine ambientmäßige Repräsentation des aktuellen Albums „Currents & Orders“, das tatsächlich in einer Tropfsteinhöhle produziert worden war. Das war dann ein Commissioned Work, wie es im Buch stand.
Mit ihrer letzten LP „Abyss“ hatte sich die Pop-Kultur Veteranin Anika – zumindest musikalisch – aus den Schattenwelten herausgewagt, in denen sie sich als Performerin bis dato stets herumgetrieben hatte, und mit einem druckvollen Grunge-Rock-Album überrascht. Zwar geht es auch auf diesem Album um Toxisches und Neurotisches aller Art – das dann aber mit neuem, kämpferischem Selbstbewusstsein im Empowerment-Modus präsentiert wird. Tatsächlich galt das dann auch für die Live-Performance. Nicht, dass sich Anika hier aktiv aus den Schatten herausbewegte (da war schon das dramatische Beleuchtungskonzept vor), aber so gelöst und kommunikativ hatte man die optisch frisch gestreamlinte Indie-Queen noch nicht erlebt. Nur ob ihr diese neue musikalische Frontline-Attitüde wirklich Spaß macht – oder ob sie sich dazu überwinden und durchringen muss – war ihrem eher stoischen Gesichtsausdruck nicht wirklich zu entnehmen.
In der Kuppelhalle des ehemaligen Krematoriums des Silent Green Komplexes gab es dann das Commissioned Work „Kein Beileid“ des ghanaisch/deutschen Musikers Fayim. Zusammen mit einer organischen Berliner Allstar-Band resümierte Fayim in einem mit roten Vorhängen ausgekleideten Bühnensetting multilingual über die verschiedenen Stufen von Schmerz und Trauer. Musikalisch gab es einen Mix aus organischem Soulpop und sanft/jazzigen R’N’B-Grooves, wobei Fayim eigene Texte und Coverversionen zu einem emotionalen gesanglichen Statement verdichtete.
Wie schon angedeutet, hatte ABIBA die Umbaupausen zwischen den Live-Shows in der Betonhalle bespielt – und mittlerweile war auch Bewegung in die wartenden Fans gekommen, während die Bühnentechniker noch das aufwendige Set-Up für den Auftritt von Inèz Schäfer und Demian Kappenstein a.k.a. ÄTNA und das begleitende kammermusikalische Ensemble Reflektor einrichteten. Schon oft hatten ÄTNA durch phantastische, einfallsreiche und aufwendige Live-Shows überzeugt. Dass es dieses Mal um etwas anderes ging, wurde schon durch das erwähnte Setup deutlich. Zwar saßen sich die beiden Protagonisten wie gewohnt auf Podesten in der Bühnenmitte gegenüber – aber irgendwelche Show-Elemente waren nicht zu entdecken. Stattdessen standen die Musiker des Ensemble Reflektor auf einer erhöhten Ebene im Hintergrund. Für diese Show hatten ÄTNA dann die Stücke versammelt, die am ehesten als klassische Balladen durchgehen könnten. Es brauchte dann aber eine ganze Weile, bis die richtige Balance zwischen den perkussiven und elektronischen musikalischen Elementen ÄTNAs und den eher flächigen Streicherarrangements gefunden wurde. Erst als Inèz sich von ihrem Podest löste und sich als Big-Band-Croonererin mit bemerkenswerter stimmlicher Urgewalt löste, die Klangfülle der Streicher effektiv nutzen konnte und auch ein Mal lebhaftere Partien zum Einsatz kamen, platzte der Knoten und die Show geriet zu einem weiteren Highlight in der bemerkenswerten Laufbahn als Live-Performer des Dresdener/Berliner Duos. Es war zwar nicht als solches ausgeschrieben, aber die Show hätte auch als Commissioned Work eine gute Figur gemacht.
Bei dem Labelmarkt am Donnerstag präsentierten sich Berliner Indie-Labels mit eigenen Ständen im Festsaal Kreuzberg, an denen dann zum einen aktuelle Projekte präsentiert werden konnten und die Möglichkeit bestand, mit Promotern und Musikern ins Gespräch zu kommen sowie teilweise auch Tonträger und Merch käuflich zu erwerben. Eigentlich hätte im Biergarten auch ein Open-Air-Showcase-Programm mit jungen lokalen Acts stattfinden sollen – der musste aber aufgrund einer an diesem Tag durchziehenden Gewitterfront nach innen verlegt werden.
Juli Gilde hatte Anfang des Jahres ihr Debüt-Album „It’s Hard To Be A Blizzard“ veröffentlicht, auf dem sie die melancholischen Balladen, die ihre frühen EPs ausgezeichnet hatten, mit einigen Up-Tempo-Nummern ergänzt hatte und präsentierte mit ihrer Band nun auch diese im Festsaal Kreuzberg. Juli Gilde hat mit ihren deutschsprachigen Selbstfindungs-Songs zweifelsohne den Nerv ihrer Generation getroffen und überrascht als Performerin immer wieder mit einer fast schon unbekümmert zu nennenden Empowerment-Note. Nur das Publikum zum Mitsingen von für das Mitsingen nicht eben geeigneten Partien zu animieren, müsste nicht unbedingt sein. Das Publikum zum Mitsingen zu bewegen versuchte der Leipziger Musiker Bela Fast a.k.a. Fastmusic nicht mal im Ansatz. Tatsächlich singt er selber nicht mal besonders oft und präsentiert die sanftmütigen psychedelischen Gitarrenvignetten und Soundscapes seines Albums „I Want To Love, And I Love“ auch gerne mal als Instrumentals.