Platte der Woche KW 45/2025
Im Sommer letzten Jahres spielte die New Yorker Songwriterin Hannah Pruzinsky unter ihrem Moniker H. Pruz in einem kleinen Club in Queens das wohl leiseste Konzert des Jahrhunderts. Jedenfalls fühlten sich die Zuschauer, die Hannah und ihren Musikern beim Streicheln ihrer Instrumente zuschauten, fast schon als Störenfriede. Damals hatte die Musikerin, Redakteurin und Herausgeberin, visuelle Künstlerin und Grafikerin bereits eine EP namens „again, there“ und eine LP namens „No Glory“ unter eigenem Namen herausgebracht, auf der sie sich als Whisperfolk-Vertreterin empfahl, die über ihre Musik „Erinnerungen kompostiere“ – wie sie das auf ihrer Bandcamp-Seite nannte. Das ist übrigens eine sehr schöne Metapher, denn immerhin ist Musik die beste Art, Erinnerungen festzuhalten – und demzufolge auch zu verarbeiten (bzw. dann auch zu kompostieren.)
Bei der besagten Show kündigte Hannah aber bereits an, dass sie gerade an einem ambitionierteren Projekt arbeite, das nun in Form der LP „Red Sky At Morning“ vorliegt – und sehr viel mehr bietet, als die bis dahin eher klassischen Indie-Folksongs, mit denen sie sich in der New Yorker Indie Szene bereits einen Namen gemacht hatte.
„Ich habe aber auch lebhaftere Songs im Angebot“, erklärte sie damals – und verwies dabei auf ihre Beteiligung an dem Duo Act Sister, das sie mit ihrer Partnerin Ceci Sturman als Indie-Pop-Projekt betreibt und dessen zweites Album „Bird“ im Frühjahr erschien – sowie ihre Kollaborationen in der lokalen Szene, die es ihr ermöglichten, für ihr nun vorliegendes Album „Red Sky At Morning“ eine ganze Riege von befreundeten Musikern zu rekrutieren. Und tatsächlich hatte Hannah damals nichts Falsches versprochen – denn während sie auf dem Album nun gelegentlich noch die Fahne des introvertierten Low Fi Whisperfolk noch hochhält, spielt sie stilistisch auf der Klaviatur des Indie-Pop, der Psychedelia und sogar des Lowfi-Rocks als gäbe es da kein Morgen mit rotem Himmel. Ohne bestimmte Künstlerinnen direkt zu referenzieren, erinnern ihre musikalischen Bemühungen an die Ästhetiken, deren sich etwa ihre Leftfield-Kolleginnen Aldous Harding, Tamara Lindeman, Adrienne Lenker oder Tess Parks bedienen – und das sind ja nun wirklich sehr unterschiedliche Künstlerinnen, was dann für Hannahs Erfahrung, Vielseitigkeit und musikalische Empathie spricht.
Kurz gesagt, setzt Hannah Pruzinsky mit ihren Solo-Arbeiten als H. Pruz den zusammen mit Ceci Sturman (mit der sie acht Jahre lang zusammen lebte, bevor man sich im letzten Jahr eigene Wohnungen suchte) eingeschlagenen musikalischen Weg fort, diversifiziert aber das musikalische Angebot erheblich. Das reicht dann vom klassischen, hippiesken Whisperfolk über improvisierte, lautmalerische Ambient-Instrumentals oder polternde Indie-Rock-Drones und pulsierenden Indie-Pop bis hin zur klassischen Psychedelia.
Dabei setzt Hannah die spezifischen Fähigkeiten ihrer musikalischen Gäste jeweils songorientiert förderlich in Szene. Beispielsweise überrascht in dem Opener „Come“ das jazzig mäanderndes Saxophon von Al Carlson, während bei den meisten Tracks ein zwitschernder Synthesizer im Hintergrund eine ähnliche Aufgabe übernimmt. In den improvisierten Instrumentals hingegen sind es ein Wurlitzer-Piano, ein Moog Synthesizer oder im Falle des „Siren Song“ Hannahs non-verbaler Sirenengesang, die sich atmosphärisch prägend niederschlagen. Am überraschendsten sind dann vielleicht die verzerrten elektrischen und Resonator-Gitarren in dem Psych-Drone „If You Cannot Make It Drop“, mit denen Hannah & Co. einen verstörenden Wall Of Sound erzeugen, der dann zum Glück von dem nachfolgenden, mit versöhnlichen Klavier- und Synthie-Sounds unterlegten Folk-Track „Force“ abgelöst wird. Ähnlich aufgebaut ist der abschließende Track „Sailor’s Warning“, in dem der besungene Seemann den roten Himmel des anbrechenden Tages sich ankündigende Veränderungen interpretiert – woraus dann auch der Titel des Albums resultiert.
Zweifelsohne erschuf Hannah Pruzinsky mit dem Album „Red Sky At Morning“ einen potentiellen Anwärter für die Indie-Scheibe des Jahres – einfach deswegen, weil sie so viele verschiedene musikalische Strömung auf dem Album schlüssig zusammenführt, ohne dabei mit direkten Referenzen zu arbeiten – und sich das Ganze dann mit ihrer poetisch/romantischen Ader auch inhaltlich zu eigen macht.
„Red Sky At Morning“ von H. Pruz erscheint auf Mtn. Laurel Recordings.



