Purer Jazz, zugegeben. Aber erstens solcher der Extragüteklasse. Und zweitens hat wohl kein Jazzer die aktuelle Populärmusik – mit der er selbst teils heftig flirtete – so beeinflusst, wie Sir Miles Davis. „Live In Europe 1969“ setzt die 2011 zu großem Kritikerlob veröffentlichten Live-Aufnahmen von 1967 fort. Wir begegnen hier einer besonders attraktiven Besetzung von Miles‘ gefeiertem Quintett, dem gleichen Line-up, welches das unvergleichliche „In A Silent Way“ eingespeilt hatte: Wayne Shorter (sax), der hier stilprägende Chick Corea (e-pno), Dave Holland (dbl bss) und Jack DeJohnette (drms). Ihnen wird hier ein auch vom Material her mächtiges Denkmal gesetzt – das Box-Set umfasst drei CDs mit je über einstündiger Laufzeit sowie eine DVD.
Die Live-Aufnahmen sind entweder unveröffentlicht oder waren bislang nur als Bootlegs erhältlich. CDs 1 und 2 dokumentieren zwei Auftritte beim Festival Mondial du Jazz d’Antibes mit nur drei Überschneidungen – u.a. der Duke Ellington-Tribut „Directions“. Allein schon welche Improvisations-Funken diese Truppe aus Thelonious Monks „Round Midnight“ zu schlagen vermag, ist die Beschäftigung mit der Box wert. Das Konzert auf CD 3 wurde beim Newport Jazz Festival Europe in Stockholm mitgeschnitten und birgt solche Leckerbissen wie „Bitches Brew“. Die DVD zeigt einen Mitschnitt aus der Berliner Philharmonie, ebenfalls aus dem Jahr 1969. Der 46-minütige Film ist eine TV-Produktion mit entsprechend hoher Bild- und Tonqualität (erheblich besser als unser Clip-Beispiel, s.u.).
Das Remastering der überraschend frisch und dabei voll klingenden Aufnahmen hat der mehrfach Grammy-gekrönte Toningenieur Mark Wilder übernommen. Die wunderbar ausgestattete Box bietet seltenes Bildmaterial und Hintergrundinformationen seitens Josef Woodard, Jazz-Spezialist der Los Angeles Times inklusive Auszügen seiner Gespräche mit noch lebenden Bandkollegen. Empfehlenswert.
„Live In Europe 1969 – The Bootleg Series Vol. 2“ von Miles Davis Quintet erscheint auf Columbia/Legacy.
