Diese Veröffentlichung ist eine kleine Ehrenrettung für das Genre „Konzert-DVD“. Die meisten haben ja leider schon mitbekommen, dass das neue, grundsätzlich enorm billig zu produzierende Medium nach dem unschönen Motto: „Von welcher Band, die vor 17 Jahren auch bei uns mal kurz unter Vertrag war, haben wir noch kein verwackeltes Amateurvideo mit Ofenrohrsound als aktuellen Output ausgegeben und auf den Markt geworfen?“ neben wahren Perlen auch schon ganze Schrottplätze über uns gebracht hat. Der Fall von „Blinding Darkness“ ist wirklich etwas anders gelagert – hier wurde ein in dieser Form wahrscheinlich nicht wieder vorkommender Abend für die konserviert, die nicht dort sein konnten. Denn die Szene ist DER Prog-Tempel der Niederlande, die gemütliche Boerderij im entsetzlichen Zoetermeer bei Den Haag, wir schreiben den 21.09.02, und die schottischen Progrocker Pallas nehmen ihre erste DVD auf. In den Zusatzsektionen der DVD, den Interviews und Documentary, erfahren wir vorab mehr über Konzept und Vorbereitung dieses Auftritts. Um den speziellen Anlass zu würdigen, hatten Pallas ihren Ex-Sänger Euan Lowson eingeladen. Etwas überraschenderweise sagte Euan zu, nach seinem Rauswurf vor über 16 Jahren für einige der alten Songs noch einmal die Bühne mit seiner alten Band zu teilen.
Losgehen tut aber noch alles ganz unverdächtig, mit dem etatmäßigen Sänger Alan Reed und dem erfolgreichsten (Album-Titel-)Stück der Band, „The Cross And The Crucible“ und dessen Mischung aus gregorianischen Chorälen und Dream Theater-Breaks. Dies wird gefolgt vom rockig-straffen „For The Greater Glory“, den sanften Beschwörungen von „Beat The Drum“ u.v.m. Die Band ist in exzellenter Spiellaune, gemahnt wie immer ein wenig an die viel zu früh von uns gegangenen Twelfth Night. Bassistenbär Graeme Murray mit seiner Riesenstatur und dem großen Rickenbacker-Bass hingegen erinnert wohl nicht ganz zufällig an Chris „Fish“ Squire von jener anderen nicht ganz unbedeuten britischen Prog-Combo. Unangenehm auffallen tut hier eigentlich nur der dünne Vocals-Anteil im Gesamtmix. Manch ein Sänger sollte ja eigentlich Werbung für die Oktavierer, Equalizer und Halleffekte laufen, die seinen Vortrag erst zu dem machen, was dann alle im Radio wiedererkennen. Alan Reed aber, der ohnehin keine besonders staatstragende Gesangsstimme sein eigen nennt, hätte man zumindest etwas mehr nach vorne mischen sollen. Sein Gesang kommt zu dünn rüber, und die Ansagen sind ohne Nachregeln von Hand sogar komplett unverständlich. Nach „Atlantis“ kommen die Zugaben und damit der große Moment – Euan wird auf die Bühne gerufen und übernimmt nach Austausch einiger Artigkeiten den Platz am Mikro. Das folgende „Cut And Run“ erweckt vor allem angenehme Nostalgie, während das sich anschließende „The Ripper“ ein altes Skandalthema aufgreift. Man sollte doch eigentlich nicht meinen, dass ein deutlich in den 50ern situierter, dicklicher Mann in weißem Overall, der ein über zehn Minuten währendes Progrock-Stück hinweg mit einem Schlachtermesser herumfuchtelt, um hernach Kunstblut-besudelt zusammenbrechen, heute noch zu fesseln vermag. Also in einer Welt, die 30 Jahre Alice Cooper ebenso ertragen hat wie die Bühnenshow von Marilyn Manson oder die von George Bush. Ist aber so: Der nicht zu unrecht für seine Theatralik berühmte Euan lebt „The Ripper“ aus bis ins Letzte und fasziniert dabei – tolle, einmalige Reunion auf Zeit, zur Nachahmung empfohlen.
PS: Die Limited Edition der DVD enthält zusätzlich die auch einzeln erhältliche Doppel-Live-CD desselben Auftritts, allerdings inclusive des auf der DVD fehlenden Encores „Arrive Alive“.
„Blinding Darkness“ von Pallas erscheint auf InsideOut/SPV.