Die Sturmflutwellen, die Neal Morses Auszug aus dem unheiligen Land der von ihm und seinem Bruder gegründeten Progrock-Band Spock’s Beard im sonst eher betulichen Prog-Lager geschlagen hat, wollen wir an dieser Stelle wahrlich nicht wiederholen. Der Hinweis sei aber erlaubt, dass Mr. Morse, von dem zunächst Aussagen kursierten, er würde sich fortan nur noch seinem Leben als erweckter Christ sowie seiner Familie widmen, auch schon zu Zeiten, wo er noch der kreative Hauptmotor von Spock’s Beard und Transatlantic war, sich noch kreativen Ausfluss in zwei (allerdings dünnblütigen) Soloalben verschafft hatte. Erstaunlich halt nur, dass er genau das jetzt wieder bzw. immer noch tut. Für die Prog-Szene ist dies aber auch hoch erfreulich. Denn „Testimony“ ist auf Anhieb ein schmackhafterer Bissen als das letzte mit ihm entstandene Bärte-Opus „Snow“ und scheint musikalisch vieles von dem wieder aufzunehmen, was „The Kindness Of Strangers“ für unsereinen zum spannendsten Spock’s-Album bislang gemacht hat.
Die Gästelisten-Sensationen bleiben hier aus – Multiinstrumentalist Morse hat fast alles selbst eingespielt – allerdings hat Transatlantic-Kumpel und Dream Theater-Besenmann Mike Portnoy die Drums übernommen und es soll einen Gastauftritt von Kerry Livgren (gleichfalls seit Jahrzehnten bekennder Christ und Edelgitarrist bei u.a. Kansas) auf dem bei Radiant erschienenen, bei InsideOut in Lizenz befindlichen Album geben. Ansonsten hören wir Opulenz allenthalben, Mellotronsounds, kunstvolle Streicherarrangements, eine nach Kansas klingende Violine auf z. B. dem gottvollen „Interlude“oder „Break Of Day“, Satzgesang, der – wie bei „The Promise“ – teilweise an „Hair“ oder „J.C. Superstar“ erinnert, eine Mr. Morse würdige Stilvielfalt und große Melodien. Dies alles erstreckt sich über zwei Silberseiten und auf 123 Minuten, man muss sich für dieses Zeugnisablegung also wirklich etwas Zeit nehmen, was sich aber zutiefst lohnt. Ebenso übrigens wie die mit den biographischen Texten des Albums.
Vergleichend gesprochen ist „Testimony“ ein noch stärkere Leistung als das ebenfalls gelungene „…Euphoria“, also das aktuelle Bärte-Album ohne den vom Heiligen Geist zu Höherem abberufenen Morse. Positiv gesprochen haben Fans der Band jetzt zwei kreativ sprudelnde Quellen, die den Spock’s-Sound hervorzubringen verstehen. Jauchzet & frohlocket, Brüdern und Schwestern…
„Testimony“ von Neal Morse erscheint auf InsideOut/SPV.