Dass heute bei der Ankündigung eines neuen Tortoise-Albums nur noch wenige in euphorische Aufregung verfallen, liegt nur teilweise daran, dass die Band, die Mitte der 90er Geburtshelfer für Post-Rock war und deren umtriebige Mitglieder auch maßgeblich an zahlreichen anderen Thrill-Jockey-Projekten (The Sea And Cake, Pullman, …) beteiligt sind, mittlerweile schon seit fast 14 Jahren immer wieder neu die Schnittmenge aus Rock, Jazz, Dub und elektronischer Musik umkreist. Über die Jahre hinweg hat die Band einen Wandel vollzogen, der sie schrittweise immer schwerer verdaulich machte. Die schleichende Veränderung lässt sich interessanterweise am Artwork der einzelnen Veröffentlichungen ablesen. Während sich die Covergestaltung Stück für Stück von der karg-bedruckten Kartonhülle hin zum nun vergleichsweise opulenten Artwork mit Bildern des New Yorker Künstlers Oliver Wasow veränderte – die anfänglich sehr minimalistisch an der Hülle angebrachten Zeichen und Bilder also immer gegenständlicher und deutbarer wurden – so verhält es sich mit dem assoziativen Bilderreichtum innerhalb der Musik dazu genau reziprok. Aus dem „Film in deinem Kopf“ der früheren Alben, den inneren Kamerafahrten über moderne C.-D.-Friedrich-Landschaften, wurde im Laufe der Jahre eine immer abstraktere Soundfläche. Die klaren, einfachen, oft spröden Kompositionen der Anfangszeit mit überraschenden Wendungen wichen einer immer stärker zunehmenden Dichte an musikhistorischen und Eigenzitaten, einem Fluss aus sich überlagernden Patterns. Aus Polke wurde Pollock.
Im aktuellen Cover ist eine kurze Geschichte über ein Mädchen abgedruckt, das, umringt von Obstbäumen, unter dem Vorsatz „I know what I do not want“ trotz großen Hungers alle Erdbeeren in ihrer Hand aussortiert, um am Ende dann keine einzige zu essen. Die Geschichte erscheint wie eine Metapher für die Arbeits- und Herangehensweise der Band. Versierte, in Jazz geschulte Musiker, ein eigenes Studio als Kompositions- und Versuchsinstrument und mit dem großartigen Schlagzeuger John McEntire auch einen erfahrenen Produzenten (Stereolab u.a.) in den eigenen Reihen führen zu einer schier unübersichtlichen Anzahl an geschichteten Tonspuren, an Möglichkeiten und Ideen. „It’s All Around You“ zeigt die Schwierigkeit der musikalischen Selbstdefiniton unter der Voraussetzung totaler künstlerischer Freiheit, das Dilemma einer wirklich großen Band.
„It’s All Around You“ von Tortoise erscheint auf Thrill Jockey/Rough Trade.