Platte der Woche KW 25/2024
Dass zwischen „Tookah“, dem vierten internationalen Solo-Album der isländischen Songwriterin Emiliana Torrini und dem nun vorliegenden fünften Album „Miss Flower“ satte zehn Jahre ins Land gegangen sind, ist gar nicht so wichtig. Denn einerseits hatte Emiliana Gründe für die lange Auszeit („Babies“, wie sie sagt), andererseits machte sie ja auch zwei Alben mit dem belgischen Ensemble The Colorist Orchestra und überhaupt ist Kontinuität ja nun auch nicht das, was Emiliana Torrini als Künstlerin auszeichnet. Das neue Album zum Beispiel ist ein ziemlich einzigartiges Experiment, bei dem Emilia ihr ganzes bisheriges künstlerisches Konzept auf den Kopf stellte. Die neuen Songs basieren nämlich auf einer Sammlung von Briefen, die Emiliana und ihre beste Freundin Zoe bei der Wohnungsauflösung der gerade verstorbener Mutter Zoes – Geraldine Flower a.k.a. „Miss Flower“ – fanden. Diese Liebesbriefe einer ganzen Schar von Verehrern fand Emiliana so charmant, dass sie ihre Freundin davon überzeugen konnte, aus diesem Material eine Sammlung von Songs über die Charaktere aus diesen Briefen erschaffen zu dürfen, um so das Leben von Geraldine Flower nacherzählen und würdigen zu können. Erstmalig erzählte Emiliana hier also nicht ihre eigene (wie sie meint nicht besonders interessante) Geschichte, sondern die von „Miss Flower“.
Musikalisch brachte das insofern Neuland mit sich, als dass sich Emiliana und ihr Songwriter-Kollege Simon Byrt (dem Ehemann ihrer Freundin Zoe) an bereits existierenden Texten entlang hangeln mussten und den Flow der Musik (meist mit elektronischen Mitteln) um diese herum aufbauen mussten. Emiliana beschreibt diesen Prozess als einen Mix aus Improvisationen, Experimenten nach „Clown-Regeln“ (etwas nehmen und damit etwas lustiges machen) und nicht zuletzt dem Diktum der Musik selbst. So wollten beispielsweise laut Emiliana Tracks wie der Opener „Black Water“ oder der Titeltrack von sich aus nicht gesungen, sondern rezitiert und vorgelesen werden und das Instrumental „A Dream Through The Floorboards“ verbat sich sogar einen eigenen Text. Wie extrem dieses Material von dem abweicht, was Emiliana Torrini macht, wenn sie Songs konventionell komponiert, macht der Track „Black Lion Lane“ deutlich. Weil Emiliana in der Sammlung keine Briefe von Geraldine Flower selbst finden konnte, schrieb sie dieses Stück dann sowohl für und über Geraldine auf ihre übliche Art – als Hommage an die Swinging-Sixties in London – einer Zeit aus der viele der Briefe stammten. Das ist dann ein Stück in der Tradition ihres Durchbruch Hits „Jungle Drum“, der deutlich macht, wie besonders das Projekt „Miss Flower“ für Emiliana Torrini eigentlich ist, denn der Rest des Materials ist deutlich experimenteller angelegt.
„Miss Flower“ von Emiliana Torrini erscheint auf Grönland/Rough Trade.