Platte der Woche KW 26/2024
Stellen wir mal eine steile These auf: Noch nie hat sich vertontes Heimweh so schön, tröstlich, friedfertig, einschmeichelnd und emotional angehört, wie auf dem zweiten Album der Wahlberliner Künstlerin Joanna Gemma Auguri. Und dabei bedeutet der LP-Titel doch so viel mehr als Heimweh. „Hiraeth“ ist nämlich ein walisisches Wort für das es in der vollen Bedeutung keine direkte Übersetzung gibt – und was vielleicht gerade deswegen von Musikern immer mal wieder gerne als Referenz herangezogen wird. „Hiraeth“ hat dabei schon die Bedeutung von Heimweh – aber nicht im klassischen Sinne, sondern in einer metaphysischen Kapazität mit Bezug auf die Trauer der Verlorenen und Verstorbenen und einer Art von nostalgischer Note, die in dem Bewusstsein verankert ist, dass es keine Rückkehr zum besungenen Heim geben kann.
Es mag sich jetzt vielleicht seltsam anhören: Aber dieser kontextuelle Mehrwert lässt sich aus der Musik Johannas heraushören. Johanna gelingt es mit bemerkenswert überschaubaren Mitteln, ihre Seele vor dem Hörer auszuschütten. Die mit Akkordeon und Zither geschrieben Songs werden zwar mit Chören, Cello, Harmonium, Bläsern, ein wenig Perkussion und einem akustischer Bass und viel Hall angereichert – wobei allerdings niemals alle Instrumente zugleich zum Einsatz kommen und alles stets sehr sparsam, aber mit unendlich viel Atmosphäre und Raum eingesetzt wird. Das reicht aus, Johannas larmoyantem Gesang jedes Quäntchen Sehnsucht nach einer Welt, die noch im Gleichgewicht ist (wie sie es einmal war) abzuverlangen – und das überträgt sich dermaßen intensiv auf den Hörer, dass dieser gleich mitleidet. „Hiraeth“ ist – mit den Mitteln des kontemplativen Drones und der harmonischen Komplexität etwa von Radiohead – so etwas wie der idealisierte Soundtrack für einen zünftige Totenwache.
„Hiraeth“ von Joanna Gemma Auguri erscheint auf Duchess Box/Bertus.