Vor mehr als 20 Jahren hat der früh verstorbene Stand-up-Comedian Mitch Hedberg einmal gesagt: „Wenn du Comedian in Hollywood bist, dann will jeder, dass du andere Dinge jenseits von Comedy machst. Sie sagen: ‚Na gut, du bist ein Stand-up-Comedian, kannst du schauspielern? Kannst du schreiben? Schreib uns ein Drehbuch!‘ Sie wollen, dass ich Dinge tue, die mit Comedy zu tun haben, aber keine Comedy sind.“ Etwas ganz Ähnliches kann man seit einigen Jahren auch in der Musikindustrie beobachten, in der krasse künstlerische Neuorientierungen heute nicht mehr nur zum guten Ton gehören, sondern praktisch zur Pflicht geworden sind – mit dem Unterschied, dass es in der Musik bisweilen nicht nur Management oder Label, sondern die Künstlerinnen und Künstler selbst sind, die diese Veränderungen initiieren.
Das führt uns zum neuen Album von Julien Baker und Mackenzie Scott alias Torres. Auf „Send A Payer My Way“ zeigen die zwei Amerikanerinnen keinerlei Interesse daran, das weiterzuverfolgen, was sie zuvor als Solistinnen ausgezeichnet, ja einzigartig gemacht hat, und stürzen sich lieber kopfüber in das Abenteuer Oldschool-Country. Für beide Künstlerinnen ist es nicht der erste U-Turn. Torres hatte bereits vor Jahren, wenngleich trotz des tollen Albums „Three Futures“ kommerziell nicht sonderlich erfolgreich, mit dem Pop geflirtet, während Julien Baker in den vergangenen Jahren mit Boygenius an der Seite von Phoebe Bridgers und Lucy Dacus im Mainstream angekommen ist – ausverkaufte Riesenarenen und kreischende Fans eingeschlossen.
Auf „Send A Prayer My Way“ setzen die zwei nun eine schon 2016 auf einer gemeinsamen Tournee ausgebrütete Schnapsidee in die Tat um und widmen sich ihrer Liebe zu einem erdigen, grundehrlichen Alt- und Outlaw-Country-Sound, wenn sie sich auf halbem Wege zwischen Nashville und Bakersfield all die jahrzehntealten Tugenden des Genres zu eigen machen, um ihre Gedanken und Gefühle zu Themen wie Empowerment, Sozialkritik und Resilienz in zehn Songs fließen zu lassen, die klassischer kaum klingen könnten. Positiv ausgedrückt bedeutet das: Anders als die Seelenverwandte Katie Crutchfield von Waxahatchee, der es bei ihrer Hinwendung zum Country gelungen ist, ihre eigene Identität, ihre eigenen Idiosynkrasien nicht zu verlieren, gehen Baker und Scott ganz in ihrer neuen musikalischen Herausforderung auf, genretypische Songtitel wie „The Only Marble I’ve Got Left”, „Bottom Of The Bottle“ oder „Sugar In The Tank“ genauso inklusive wie Cowboyhüte und Nudie-Suits.
Doch so tief Baker und Scott auch in die Country-Tradition eintauchen, so gekonnt diese Storytelling-Songs auch sind, so viel Freude am eigenen Tun in diesen Liedern stecken mag: Am Ende überwiegt das Gefühl, dass dieses Album vor allem eine augenzwinkernde Fingerübung zweier jenseits strikter Genregrenzen höchsttalentierter Songwriterinnen ist, die hier ihrem Südstaaten-Background – Baker ist in Tennessee aufgewachsen, Scott in Georgia – Tribut zollen und sich ganz nebenbei auch noch für ein neues Publikum in Position bringen. Das Album als das große künstlerische Statement zu sehen, als das es an anderer Stelle bereits dargestellt worden ist, fällt deshalb ein wenig schwer. Die im Presseinfo auftauchenden Adjektive (trotzig, subversiv, entschlossen, trostspendend, aufrichtig) scheinen deshalb am Ende genauso zu hoch gegriffen wie die in der US-Presse bereits angebrachten Vergleiche mit einst bahnbrechenden Platten wie Lucinda Williams‘ „Happy Woman Blues“ oder Loretta Lynns „The Pill“. Denn während Baker und Scott in der Vergangenheit mit ihren Platten durchaus wegweisend für eine ganze Generation junger Künstlerinnen waren, machen sie auf „Send A Prayer My Way“ nicht mehr, als sich an die Fersen der Wegbereiterinnen der 70er- und 80er-Jahre zu heften und deren Erbe, wenngleich oft brillant, zu verwalten.
„Send A Prayer My Way“ von Julien Baker & Torres erscheint auf Matador/Beggars Group/Indigo.