Share This Article
Zirkuszauber
Ein schönes Beispiel dafür, wie sehr sich das Musikbiz gewandelt hat, bot die ausverkaufte Show des Londoner Bandprojektes Luvcat im Kölner artheater am Ostersonntag. Früher war das so, dass die Plattenlabels ihre A&R-Manager in die Clubs schickten, um dort neue interessante Acts zu entdecken und zu verpflichten, die dann langsam aufgebaut und promotet werden mussten. So etwas kann man sich heute sparen. Ein viraler TikTok-Post reicht neuerdings, um Acts aus dem Nichts zum Next-Big-Thing-Wonder zu machen. So ähnlich ist das auch mit dem Bandprojekt Luvcat, mit dem die ursprünglich aus Liverpool stammende Songwriterin Sophie Morgan sich nicht nur das neue Alter-Ego Luvcat (und eine entsprechend theatralische Backstory) zulegte, sondern ihre bis dahin eher als folkige Akustik-Künstlerin angelegte musikalische Laufbahn auf ein neues Level hievte – ohne Plattenlabel, aber mit dem Erfolg der Debüt-Single „Matador“ im Rücken.
Als Support hatten Luvcat die Band Big Society aus Manchester mitgebracht – deren Mitglieder in Personalunion auch Teil der Luvcat-Band sind. Das seit 2020 aktive Indie-Artrock-Trio um den singenden Drummer Will Jaquet überraschte dann erst mal mit einem ungewöhnlichen Setting – bei der Bassist Harry Gumery und Gitarrist Thom Fripp jeweils am äußeren Bühnenrand im Halbschatten agierten, während Will Jaquet hinter dem bereits aufgebauten Luvcat-Drumkit Platz genommen hatte. Die Jungs spielten dann einige Highlights ihrer bisherigen EPs, die ältere Single „17“ sowie die aktuelle „Foolish“. Kompositorisch leidet das Material von Big Society ein wenig unter den technischen Ambitionen der Musiker – für die technische Expertise offensichtlich wichtiger ist als poppiges Appeal. Nichtsdestotrotz muss den drei Musikern attestiert werden, dass gerade die technischen Fähigkeiten (insbesondere jene des technokratisch arbeitenden Gitarristen Thom) dem Ganzen ein ungemein tightes und exaktes Zusammenspiel ermöglicht, das sich performerisch auszeichnet; auch wenn die romantische Note ihrer Songs dabei zuweilen ein wenig ins Hintertreffen gerät. Ein besonderes Highlight leisteten sich Big Society dann mit einer recht gelungenen Coverversion von Carly Simons „You’re So Vain“ – die von dem überwiegend weiblichen, jungen Publikum begeistert mitgesungen wurde – was dafür spricht, dass sich Big Society (wie dann auch Luvcat) an gebildete Musikfreunde zu wenden scheinen.
Die Sache mit Luvcat ist dabei die, nachdem Sophie Morgan der Legende nach von dem Verve-Bassisten Simon Joyner bei einer Hochzeitsfeier als Sängerin entdeckt und unter seine Fittiche genommen wurde, hatte sich ihre Solo-Karriere als folkige Songwriterin wohl nicht in der geeigneten Weise entwickelt – weswegen sie dann beschloss, ein musikalisch neues Kapitel aufzuschlagen. Dazu erschuf sie das Alter Ego Luvcat – eine Cabarét-mäßig überhöhte Version ihrer selbst, mit einer schillernden Backstory, die unter anderem einen prägenden Aufenthalt in Paris und eine Laufbahn als Assistentin eines Zauberers in einem Zirkus beinhaltete mit dem sie als Teenagerin durchgebrannt sein soll. Eine Prise Sägemehl und Zirkusluft haftet dann auch der Musik von Luvcat an – nicht nur, was die pittoreske Kostümierung von Sophie betrifft, sondern auch was die theatralische Dramaturgie der Performance betrifft.
Als Vorbilder und Inspirationsquellen listet Sophie Morgan Acts wie Leonard Cohen, Nick Cave, Tom Waits, The Cure (denen sie schließlich ja auch ihren Moniker verdankt) und Lou Reed. Diese kamen nicht nur allesamt in der Playlist vor, die vor der Show gespielt wurde, sondern haben wohl auch einen prägenden Einfluss in Sophies musikalischem Wirken hinterlassen. Die Songs, die sie dann für/als Luvcat schrieb, haben wenig mit ihren Roots als klassische Singer/Songwriterin zu tun, sondern fahren alles auf, was sich unter dem Kontext „Old School Brit Pop“ zusammenfassen ließe. Insbesondere wären das Glam-Rock, Drama-, Chamber- und Dream-Pop, eine Prise Pub-Rock und klassischer britischer 70’s Power-Pop mit Kitchen-Sink- und eben Dancehall/Vaudeville Flair.
Dabei beweist Sophie Morgan als Komponistin ein sicheres Gespür für griffige Hooklines, intelligente Harmonieführungen und effektive Refrains. Dargeboten wird das Ganze mit einer Prise Augenzwinkern und Selbstironie und einer ausgefeilten theatralischen Dramaturgie, bei der nun wirklich kein Auge trocken bleibt. Gäbe es die große, cinematische Pop-Star-Geste noch nicht, hätte sie Sophie Morgan – pardon Luvcat – mit Sicherheit erfunden. Ohne Zweifel darf hier mehr auch gerne noch mehr sein – und Musik deutlich größer als das Leben. Das wurde auch deutlich, als während des Songs „Love & Money“ die zu diesem Zeitpunkt leicht hysterischen Fans Papierherzen mit selbst geschriebenen Widmungen in die Höhe hielten und die Band frenetisch hochleben ließ bevor die Show dann mit „Dinner @ Brassierie Zédel“ in einem einzigen Singalong endete.
Da das Projekt Luvcat ja erst 2023 mit der Debütsingle „Matador“ Fahrt aufgenommen hat und die Band seither einen kometenhaften Aufstieg in Sachen Next Big Thing hingelegt hat, bei dem wenig Zeit zum Proben und Song-Schreiben blieb, gibt es bislang nur vereinzelten Single-Tracks, auf die das Ensemble auf der Bühne zurückgreifen kann. Neben „Matador“ und den Singles „Dinner @ Brasserie Zédel“, „He’s My Man“ und zuletzt „Love & Money“ kamen daher einige unveröffentlichte Tracks wie „Lipstick“, „Alien“, „Bad Books“ oder „Spider“ zum Tragen, aber auch der noch namenlose Song „Ballad“, für den Sophie immer noch nach einem Titel sucht. Den älteren Song „Blushing“, den Sophie im Teenager-Alter geschrieben hatte, hatte sie mit den für das Luvcat-Projekt reaktiviert und runerneuert. Auch die musikalischen Referenzen fanden sich im Programm wieder. Die mit Archie Faulks geschriebene Mörderballade „He’s My Man“ geriet zu einem Noir-Pop-Trip in die 60s – ähnlich wie der Mischief-Song „Bad Books“, in den Sophie als Alley Cat im nächtlichen Soho den Refrain des Original-Cure-Songs „Lovecats“ einflocht, der von den Fans natürlich begeistert gefeiert wurde – und dann gab es da noch das gelungene (und in diesem Kontext dann doch überraschende) Radiohead-Cover „Let Down“ zu bestaunen. Zwar schnallte sich Sophie kurz eine Gitarre um – die sie dann allerdings doch nicht spielte – setzte sich dafür aber bei dem unveröffentlichten Song „Spider“ selbst ans Klavier – während sie sich ansonsten darauf konzentrierte, die Fans – mal mit, mal ohne Mikro-Ständer – mehr oder minder direkt anzuspielen.
Auf YouTube gibt es den Mitschnitt eines ausverkauften Luvcat-Konzertes aus der Manchester Academy vom 21.02.25, wo das komplette Programm, das die Band nun auf der Headliner Tour präsentierte, bereits (mit einer Abweichung) dargeboten wurde. Im Vergleich zu diesem Auftritt wirkte die Kölner Show deutlich tighter und druckvoller – was aber vielleicht auch daran gelegen haben mochte, dass sich die Fans im ausverkauften artheater allesamt im vorderen Drittel des Clubs vor der Bühne stapelten und die Band immer wieder mit ihrer ansteckenden Begeisterung motivierten – und sicherlich auch daran, dass die einstudierte Live-Routine der Band inzwischen zu einem gut geölten Selbstläufer geworden ist.
Das Überzeugende an diesem Konzept ist der Umstand, dass Luvcat – die Band – ohne etwas wirklich Neues in die Welt zu setzen, auf der musikalischen Seite eigentlich immer genau das Richtige aus dem reichhaltigen Kosmos organischer britischer Pop-Musik heraussucht und kombiniert. Wie auch ihre Kolleginnen von The Last Dinner Party (mit denen Luvcat als Support Act auf Tour waren), die mit einem ganz ähnlichen Konzept und vergleichbarem konzeptionellen Ansatz unterwegs sind, waren Luvcat wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort und haben dabei die junge Generation für ihre zeitlose Version klassischer Brit-Pop-Emulationen gewinnen können.