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Iron Mike auf Zeitreise
Mike Rutherford gehörte zu den Übriggebliebenen, als 1978 das Genesis-Album „…And Then There Were Three…“ erschien. Zusammen mit Phil Collins und Tony Banks. Es war auch das Album, das den Übergang zu griffigeren Popsongs einleitete. Parallel entwickelten alle drei Solo-Karrieren. Banks eher unter dem Radar, Collins stieg zum Megastar der 80er auf und Rutherford gründete Mike + The Mechanics, ein konsequenter Weg in Richtung Single-Charts. Zur Startformation gehörten die Sänger Paul Carrack und Paul Young, ergänzt durch Studio- und Tourmusiker. Seit 15 Jahren bilden nun Andrew Roachford und Tim Howar das Vokalduo. In Hannover beglücken sie die durchaus euphorischen 2.300 Gäste der Swiss Life Hall mit ihrem etwas sperrig formulierten Tourmotto „Looking Back – Living The Years. All The Hits & A Drift Into Genesis“.
Gleich zu Beginn stellt Rutherford klar, dass er seine „fucking“ Hüfte gebrochen habe. So lehnt er sich halb sitzend zeitweilig an einen Keyboardständer an und benötigt für den Weg auf die Bühne und den Abgang eine Krücke. Aber „Iron Mike“ zieht die Tour mit seinen Mechanikern durch, zu denen der Gitarrist Anthony Drennan und der Keyboarder und Bassist Luke Juby sowie seit Kurzem Nic Collins am Schlagzeug gehören. Collins hatte noch bei der Abschiedstour seines Vaters Phil und den letzten Konzerten von Genesis an den Drums gesessen und bewiesen, dass er familiär einiges mitbekommen hat.
Vom Start weg wird die Hit-Jukebox angeworfen: „A Beggar On A Beach Of Gold“ und „Another Cup Of Coffee“ zu Beginn, später „All I Need Is A Miracle“ und „Over My Shoulder“. Songs, die immer noch gern im Radio gespielt werden. „Silent Running“ mit dem wohligen Keyboardteppich klingt noch am ehesten nach den späten Genesis; „The Living Years“ wird mit dramatischen Chorpassagen aus der Konserve aufgepeppt. Ein paar neuere Kompositionen werden eingestreut, aber von den Sitzen reißen lassen sich die Fans zum ersten Mal von dem Genesis-Song „Land Of Confusion“, den Rutherford heute auf Trumps Amerika bezieht. Sie stimmen in den Woah-Ho-Refrain ein, auch wenn Howard die fiese Intonation von Phil Collins abgeht, die jener bei „Mama“ so wunderbar diabolisch auf die Spitze trieb. Zwei weitere Genesis-Songs werden in ein Akustik-Medley eingebettet. Das zackige „Invisible Touch“ würde in dieser Version sogar im ZDF-Fernsehgarten zum Stimmungskiller werden und das schunkelig-sympathische „Follow You Follow Me“ wird durch den animierten Dadadada-Publikumsgesang zu einem billigen Karaoke-Schlager hinabgezogen. Immerhin: „I Can’t Dance“ – jetzt wieder mit E-Gitarren – überzeugt durch Howards zupackende Stimme und Rutherfords markantes Riff. Trotz malader Hüfte wagt der 74-Jährige ein paar Schritte, wie sie aus dem Genesis-Video bekannt sind, und lässt mit Drennan die Gitarrenhälse hin- und herwedeln.
Ein Höhepunkt ist kurioserweise Roachfords Darbietung seines Solo-Hits „Cuddly Toy“. Perfekter Soul-Pop, den Roachford zu einer Art Blues Brothers-Show ausweitet mit Call and Response-Passagen sowohl mit den Instrumenten seiner Mitstreiter als auch mit dem Publikum. So stellt man sich ein Live-Konzert vor. Roachford wie auch Tim „The Power“ Howar zeigen viel Präsenz. Vor allem Howar ist raumgreifend unterwegs, korrespondiert mit dem Publikum und hält Händchen mit einem weiblichen Fan am Bühnenrand, während Roachford häufiger hinter einem Keyboard sitzt. Ohne die Gesangsleistungen schmälern zu wollen: Paul Carracks wärmende Soulstimme darf man vermissen. Show-Schnickschnack gibt es nicht: Die beiden versetzt übereinander platzierten zweiteiligen Lamellenvorhänge werden in unterschiedlichen Farben angestrahlt, dazu ein paar Scheinwerfereffekte.
Das zweistündige Konzert beschließt „Word Of Mouth“ als Rahmen für ein Medley aus Tina Turners „Private Dancer“, Stevie Wonders „Superstition“ mit Roachfords messerscharfen Keyboard-Akkorden und Jimi Hendrix‘ „Purple Haze“, bei dem Drennan die Gitarre rocken lässt. Dazu gibt es Soli der Mechanics, besonders überzeugend Nic Collins am Schlagzeug. Rutherford selbst, der zwischen Bass, Akustik- und E-Gitarre wechselt, streut allenfalls kurze Soli ein, als habe er Angst, das Songformat aufzubrechen und das Publikum zu verschrecken. Ohnehin: Rutherford war noch nie jemand, der sich in den Vordergrund drängt. Oft begnügt er sich mit der Rhythmusgitarre, während Drennan sich als Saitenzauberer zeigen darf.
Wer Freude an den eingängigen Popsongs hat, fühlt sich an dem Abend prächtig unterhalten. Das Mitsingen, das Schwenken der Arme und die stehenden Ovationen beweisen, dass dies die überwiegende Mehrheit ist. Wer auf die stilbildende Genesis-Phase zwischen 1971 und 1977 steht, der muss zu Steve Hackett gehen, der die sechs Alben dieser Jahre als Gitarrist prägte und sich mit seiner großartigen Band um deren Vermächtnis kümmert – eigenständig arrangiert und durch famose Stücke seiner Soloalben ergänzt. Genesis hingegen wird man kaum mehr erleben: Collins ist krank, Gabriel fehlt die Motivation zu einer Reunion. So wähle jeder zwischen den Angeboten von Steve Hackett und Mike Rutherford.