Share This Article
Bienen, Tod und innere Kinder
Eigentlich hätte die Tour der irischen Songwriterin Susan O’Neill bereits im letzten Jahr stattfinden sollen, als sie ihren ersten Longplayer unter eigenem Namen – „Now In A Minute“ – veröffentlicht hatte. Doch ein abgenutztes Stimmband, das sie auf Anraten ihres Arztes erst einmal schonen musste, machte diese Pläne zunichte, sodass die Tour nun auf den Nachfolgetermin im Mai verlegt werden musste. Da die damals gekauften Tickets ihre Gültigkeit behalten hatten, war es deswegen nicht verwunderlich, dass die Show im Kölner Blue Shell dann auch restlos ausverkauft war und bereits eine gute Stunde vor dem Einlass eine große Menge Fans vor dem Club wartete.
Das hatte zur Folge, dass die als Support-Act hinzugebuchte australische Songwriterin Liz Stringer sich erst mal einen Weg durch die Wartenden bahnen und sich beim Personal anmelden musste, um selbst in den Club zu kommen. Dieser war dann auch bereits bei Liz‘ Auftritt gut gefüllt und selbst vor der Bühne – wo es ansonsten immer ein Höflichkeitsabstand bei Support-Acts gibt – gab es kaum noch einen Stehplatz zu ergattern. Liz Stringer ist eine australische Songwriterin, die heute in London lebt, aber aufgrund eines Studienaufenthaltes in Deutschland sehr gut Deutsch spricht – und die Zuschauer dann mit einem Mix aus breitestem australischem Akzent und Deutsch mit englischen „sch“-Lauten durch das Programm führte. Dieses bestand aus den Songs ihres im März erschienenen, sechsten Albums „The Second High“ und einigen älteren Tracks wie z.B. „Dangerous“ – die Liz wechselseitig auf der Gitarre oder am Klavier sitzend solo vortrug. Die Sache ist dabei die, dass Liz‘ Studioaufnahmen vor allen Dingen von dem beeindruckenden Produktionsvolumen leben, das auf ihre kräftige Powerfrauen-Gesangsstimme ausgerichtet ist. So ist „Dangerous“ etwa auf dem 21er Album „First Time Really Feeling“ ein flott pulsierender Power-Pop-Song mit Rock-Elementen. Als feinsinnige Folk-Ballade funktionierte das dann nicht so richtig, denn dieses Setting stand dann im Gegensatz zu Liz‘ nach wie vor prägendem Power-Gesang, der ohne die Studio-Arrangements etwas distanziert im Raum stand. Wie man dieses Problem besser lösen konnte, zeigte Liz dann bei dem Song „Survive“ – den Liz einem Freund gewidmet hat, der es geschafft hatte, sich aus der Obdachlosigkeit zu befreien. Auf der Studio-Version wird der Song getragen von Streicher-Arrangements und Klavier-Kaskaden, die Liz im Solo-Vortrag durch eine intensive, wortreiche Improvisationspassage ersetzte (die es auf der Studioversion gar nicht gibt) und dann zum melodischen Refrain des Stücks zurückfand. Zweifelsohne war das dann das Highlight der Show.
Die nachfolgende Show von Susan O’Neill und ihrem Pianisten Cillian Byrne als klassisches Konzertereignis zu bezeichnen, träfe sicherlich nicht des Pudels Kern, denn hier ging es eher um eine Meditation auf songwriterischer Basis, als etwa um das Abarbeiten von Playlists. Die spirituelle Note, die in allem mitschwingt, was Susan zwischen Tradition, Folklore, Mythologie, Psychologie und Philosophie aufzubieten hat, ist ihr jedenfalls wichtiger als das Einhalten von Formaten, Stilen, Genres oder gar Erwartungshaltungen. Das fängt dann schon mal damit an, dass es keine Setlist gibt. „Ich schreibe nie eine Setlist“, erklärte Susan eingangs des Konzertes, „denn wenn man eine Setlist schreibt, dann ist man nicht richtig im Raum anwesend.“ Die Frau, die Musik als Vibration dessen, was uns als Menschen ausmacht, auffasst, ist also auf das Feedback des Publikums angewiesen und das führt dazu, dass kein Konzert von Susan O’Neill wie das andere ist.
Das hängt natürlich damit zusammen, dass das ganze Konzept darin besteht, dass es keines gibt, und eine Susan O’Neill-Show eine sehr inspirative, improvisatorische und spontane Angelegenheit ist, die ganz auf die symbiotische Verbindung von Susan und Cillian ausgerichtet ist – und eben auf Susans Kommunikation mit dem Publikum. Gerade das Element des Unerwarteten führt dann dazu, dass Konzerte wie jenes im Blue Shell eher einen Event- und Community-Charakter haben.
Susan O’Neill und Cillian Byrne sehen den komponierten Song bzw. die Studioversionen dabei lediglich als Sprungbrett ins Unbekannte. Anders als bei Künstlern, die es auf der Bühne darauf anlegen, die Songs möglichst exakt so zu spielen, wie sie auf der Platte klingen, geht es Susan O’Neill darum, das Material bei jedem Auftritt neu zu entdecken. Das geschieht dann, indem sie die Vibes im Raum aufnimmt und dann auf diese reagiert. Dabei liegt das Erfolgsgeheimnis darin, dass Susan mit einer Loop-Station arbeitet und dabei die flüchtige Natur des Samplers dazu nutzt, den jeweiligen Song jeweils spontan neu zu erfinden. Das kommt weniger bei den Songs zum Tragen, die auch im Studio tendenziell zurückhaltend inszeniert sind, wie etwa die Gospel-Nummer „Everybody’s Blind“, sondern eher bei den Songs, die sowieso schon auf Größeres ausgerichtet sind wie etwa „Tijuana“, bei dem Susan mit der Loop-Station nicht nur einen Gitarrentrack erzeugte, sondern mit ihrer Trompete ein ganzes, hymnisches Mariachi-Orchester emulierte und dann auch noch einen gesanglichen Chor-Effekt draufsetzte – oder der nicht CD-Track „Now You See It“, bei dem Cillian Byrne sein Keyboard auf einen Banjo-Sound umschaltete und dann mit Susan jammte.
Das führte dann dazu, dass die Stücke teilweise nicht wiederzuerkennen sind (was sogar Cillian nach der Show einräumte) – andererseits aber auch dazu, dass es Susan und Cillian wagen konnten, bei dieser Show erstmals den unveröffentlichten Song „Fever Dream“ zu präsentieren, den sie zuvor noch nie live gespielt hatten – oder aber den Song „I Begin Again“ (aus einem gemeinsamen Video-Projekt mit Simon O’Reilly von 2021), der in der gebotenen Form so gar nichts mit dem psychedelischen Original zu tun hatte.
Immer wieder ging Susan O’Neill während des Konzertes auf die spirituellen und mythologischen Hintergründe der Songs ein, erzählte von den Feinheiten der irischen Sprache, der mystischen Kraft der Bienen, die sie in „Hail“ zum Thema macht, oder der Unfassbarkeit von Gott und von den inneren Kindern in uns allen, denen sie mit dem Song „You Are“ ein Denkmal setzte – und dabei mit ihrer Trompete eine spirituelle Klangwolke erzeugte. Kurz gesagt sind Konzerte von Susan O’Neill anders als andere Shows und bieten einen über das Material hinausgehenden, erleuchtend/spirituellen Mehrwert, den man als Zuschauer gar nicht hoch genug einschätzen kann. Und unterhaltsam ist das Ganze auch noch – trotz der ganzen traurigen Lieder über Tod, Tränen und Trauer.