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Das ganze Leben ist ein Karussell – und es gilt, nicht von dem Metallpferd runterzufallen, auf dem man versucht dieses Leben auszureiten. So in etwa ist die Ausgangslage auf dem dritten Album „Metalhorse“ der britischen Musikerin Tor Maries – die unter ihrem Projektnamen Billy Nomates ihr Konzept als DYI-Künstlerin nun auch als Band-Projekt auf eine breitere Basis stellt. Aber der Reihe nach: Als Billy Nomates die Tour zu ihrem zweiten Album „Cacti“ 2023 mit einem Auftritt beim Glastonbury-Festival zu Ende gebracht hatte und sie gerade daran arbeitete, ihr nächstes Projekt in Angriff zu nehmen, trafen sie mehrere Schicksalsschläge, die dann auch den Tenor des neuen Materials prägten. So begleitete sie ihren an Parkinson erkrankten Vater in der letzten Phase seines Lebens und musste obendrein damit zurecht kommen, dass sie eine Multiple-Sklerose-Diagnose erhielt.
Da kam es dann gerade Recht, dass sich in dieser Zeit die Möglichkeit für Tor bot, an dem Theaterprojekt „Mary And The Hyenas“ mitzuarbeiten. Die Autorin und Regisseurin Mareen Lennon hatte vor, ein Musical basierend auf dem Leben der frühen Feministin Mary Wollstonecraft (der Mutter der „Frankenstein“-Autorin Mary Wollstonecraft-Shelley) zu produzieren und bat Tor Maries, hierfür einen entsprechenden Songreigen zu schreiben und mit ihr gemeinsam die Texte – sozusagen das Libretto – zu schreiben.
„Ja – ich bin von den Londoner Produktionsfirmen Hull Truck Theatre und Pilot Theater angesprochen worden, die dieses Script für das Stück über Mary Wollstonecraft produzieren wollten und haben mich dann gefragt, ob ich die Musik machen wollte“, berichtet Tor, „das war die Zeit, in der ich zu Hause meinen Vater pflegte und insofern ein wenig Zeit hatte. Da habe ich dann zugesagt, weil das eine Sache war, die mir ermöglichte, aus der Welt des Albums herauszutreten, das ich zu dieser Zeit ohne Zeitdruck skizzierte. Das war insofern ein interessanter Prozess für mich, als dass ich zuvor noch nicht für das Theater gearbeitet hatte. Ich habe mir die Show angeschaut und fand die richtig gut – mit einer tollen Besetzung. Und es geht ja auch um eine wirklich gute Geschichte, die da erzählt wird. Ich habe den Prozess sehr genossen, weil die Autorin Mareen Lemmon schon Gedichte geschrieben hatte, die man in Songs umwandeln konnte. Es war sehr spannend, weil ich hier jemanden hatte, der mir erklären konnte, worum es ging und was ich zu tun hatte – was mir zuvor noch nie passiert ist. Eine Menge Arbeit war also schon getan.“
Hat dieses Projekt dann auf das „Metalhorse“-Album abgefärbt? „Ja, in gewisser Weise“, führt Tor aus, „denn ich hatte bis dahin nur eine ungefähre Ahnung und eine lose Songsammlung für ‚Metalhorse‘. An dem Projekt ‚Mary & The Hyenas‘ zu arbeiten, hat mich auf die Idee gebracht, für ‚Metalhorse‘ auch eine Narrative zu schreiben. Ich bin nämlich in letzter Zeit viel mehr als früher am Geschichten-Erzählen interessiert. Ich wollte auch eine phantastisches Element da rein bringen. Ich habe also viel in dieser Hinsicht gelernt und ich wurde so etwas sicherlich gerne noch ein Mal machen.“
Musikalisch ist es ja fast unmöglich, die Musik von Billy Nomates zu kategorisieren. Denkt sie selbst überhaupt in Begriffen wie „Stil“ oder „Genre“? „Nein – absolut nicht. Dafür gibt es keinen Platz in meiner Welt“, lacht Billy, „ich setze mich einfach ans Klavier oder die Gitarre und suche nach den berühmten drei Akkorden und der Wahrheit. Das ist die Art, in der ich nach meiner Musik suche. Ich baue dann darauf auf, nehme mir eine Drum-Machine und packe ein bisschen Bass dazu und schaue dann mal, wie sich das anfühlt und wie sich die Dinge entwickeln. Für mich kommt immer alles zusammen. Es tröpfelt nicht, aber ich muss die ganze Nacht dran arbeiten. Das fängt alles sehr einfach an. Ich lasse mich dabei immer von dem Prozess und dem Song leiten und suche nie nach einem Ziel. Ich bin dabei für alles offen.“
Das Stichwort „Bass“ ist dabei aber entscheidend, denn oft schreibt Tor ihre Songs auf dem Bass und aus einer rhythmischen Perspektive. „Ja, der Bass ist für mich genauso wichtig, wie die Stimme“, meint Tor, „es ist vielleicht zu einfach – aber die Bass ist die Basis von allem und bestimmt auch Gefühl, das ich im Bauch verspüre was mir verrät, dass es den Song ausmacht. Mit einem Basslauf anzufangen und darauf aufzubauen ist meine bevorzugte Arbeitsweise.“
Das ist insofern spannend, als dass die Aufnahmen des neuen Materials ohne die Bassistin Mandy Clarke stattfinden mussten, die neben Drummer Liam Chapman nun zur Billy Nomates-Band gehört; denn diese war zu dem Zeitpunkt, wo das Studio von Paco Loco im spanischen Sevilla gebucht war, gerade nicht abkömmlich, so dass die verbliebenen Musiker dann zunächst mit Bass-Skizzen arbeiten mussten, die Tor zuvor bei den Demos verwendet hatte. „Ja, das hat aber die Aufnahmen positiv beeinflusst“, berichtet Tor, „denn oft wartet man ja darauf, dass der Bass die Räume, die ihm zugedacht sind, auch besetzt – und das dann nicht zu haben, hat dazu geführt, dass die Sache für uns interessanter machte. Oft habe ich mir dann nämlich Dinge überlegt, die man stattdessen noch machen könnte – vielleicht indem man mit Perkussion oder Keyboards arbeitet. Tatsächlich hat der Umstand, dass wir den Bass zum Zeitpunkt der ersten Aufnahmen noch nicht hatten, dazu geführt, dass der Sound des ganzen Albums am Ende fülliger geworden ist.“
Nicht nur das Sounddesign profitierte dabei offensichtlich von dem Studio-Setting – auch die inhaltlichen Aspekte kamen durch die optimierten Aufnahmebedingungen besser zum Tragen – indem nämlich Tor Maries Vocals klar verständlich im Raum platziert wurden. „Ja, denn es ist mit wichtig, dass jedem Wort seine Bedeutung beigemessen wird“, meint Tor, „die Texte sind ja da, weil ich etwas aussagen möchte. Sie sind nicht dazu da, die Melodieführung zu verzieren oder so etwas – obwohl die Musik schon einen Einfluss darauf hat, wie die Texte klingen sollten. Deswegen bevorzuge ich es, wenn die Stimme ohne Effekte mit einem ‚trockenen Mikro‘ aufgenommen wird – gerade so, als unterhielte ich mich mit dir. Das soll alles wie eine Konversation klingen, denn vielleicht empfindet ja jemand genau das Selbe, wie ich – und auf diese Weise habe ich eine direkte Verbindung zum Zuhörer. Ich selbst mag auch Sänger, deren Stimme auf diese Weise durchdringend klingt – und wenn ich auch so etwas erreichen kann, dann wäre das toll.“
Welche Perspektiven nimmt Tor Maries als Erzählerin ein? Es scheint zumindest, dass die verschiedene Blickwinkel berücksichtigt. „Ich denke für ‚Metalhorse‘ gilt, dass ich alleine auf dem Jahrmarkt bin und dass meine Sicht der Dinge wiedergegeben wird. Aber ich betrachte die Sachen aus verschiedenen Richtungen. Mal macht das Spaß, mal ist es weniger spaßig und recht schwierig. Am Ende sieht man dann etwas, was aus dem Gleichgewicht geraten ist und nicht mehr funktioniert. Es ist wie in einem Irrgarten, in dem einiges noch klappt, einiges auseinanderfällt und ich laufe dann darin herum und beziehe das, was ich sehe auf das auf verschiedene Kapitel des Lebens.“
Gibt es denn da eine Art Schlussfolgerung oder Resolution für diesen Prozess? Neigt Tor etwa dazu, den Ritt auf dem Metallpferd fortzusetzen? Oder möchte sie lieber absteigen? Oder vielleicht mit dem Pferd vom Karussell springen? „Ich denke, es sollten eher die Zuhörer für sich selbst entscheiden, was sie tun würden“, weicht sie aus, „ich denke, dass ich das Pferd weiter reiten würde – wobei ich aber nicht weiß, wohin. Wichtig ist mir allerdings, dass es nicht zu negativ wirkt. Wenn jemand als Geschichtenerzähler etwas erschafft, dann ist es mir wichtig, dass man mir etwas Hoffnungsvolles anbietet – denn die Welt in der Realität tut das oft ja nicht. Wenn man eine Narrative als Spannungsbogen anlegt, dann muss die Hoffnung darin verwoben werden. Es gibt demzufolge eine Menge Hoffnung auf ‚Metalhorse‘ – nicht sehr offensichtlich, aber sie ist da.“
Und was vermittelt Tor ein Gefühl der Hoffnung? Könnte das die Liebe als Solche sein? „Immer“, meint sie sehr bestimmt, „es geht darum, jemanden zu finden, der genauso tapfer ist, wie du selber, jemanden, mit dem man auf eine unterhaltsame Fahrt gehen kann. Das sind ja universell gültige Sachen. Liebe ist auch ein Gegenmittel gegen die moderne, kapitalistische Welt. Liebe ist nicht profitabel. Liebe ist nichts, in das man in dieser Hinsicht Zeit investieren sollte. Aber Liebe ist das, worin all das gute Zeug seinen Ursprung hat. Man muss hart daran arbeiten, sich die Liebe zu bewahren, sich das zu vergegenwärtigen und sich der Wichtigkeit der Liebe bewusst zu sein. Man darf sich nicht dem Gefühl hingeben, dass immer alles um einen herum dauernd so schlecht ist. Die guten Sachen sind oft direkt vor uns – und mir müssen daran denken.“
Das mal eingedenk: Gibt es einen spirituellen Aspekt bei diesem Album-Projekt? „Also ich glaube nicht an einen Gott im klassischen Sinne“, räumt Tor ein, „ich fühle aber, dass uns die Musik einen Blick auf etwas anderes ermöglicht, was ich stets als ungemein kraftvoll empfunden habe, wenn man Musik hört oder erschafft. Die Kapazität der Musik im positiven wie auch negativen Sinne ist einzigartig. Ich weiß nicht, wo ich spirituell stehe, aber glaube, dass die Energie, die die Musik transportiert, für mich das ist, was Spiritualität ausmacht – einfach, weil wir sie nicht erklären können. Das ist, wie wenn wir zu den Sternen aufblicken: Wir glauben zwar, verstehen was wir sehen – haben aber im Grunde genommen keine Ahnung davon.“
„Metalhorse“ von Billy Nomates erscheint auf Invada/Cargo.