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Die ursprünglich aus Kalifornien stammende Weltenbummlerin Melissa Lingo veröffentlichte unter ihrem eigenen Namen zwischen 2012 und 2021 sechs LPs und EPs, bevor sie sich entschloss, sich als Musikerin umzubenennen und sich von ihren privaten und professionellen Engagements als Yoga-Lehrerin oder Kinderbetreuerin abzusetzen. Dafür wählte sie ihren Spitznamen aus Jugendtagen – meka – und schlug mit ihrem nun vorliegenden Album „The Rabbit“ dann auch ein neues musikalisches Kapitel auf. So tat sie sich mit dem schwedischen Produzenten Daniel Bengston (First Aid Kit, M. Ward oder James Yorkston) zusammen und spielte die neue Songsammlung erstmals mit einer Band ein. Insofern ist es als schon folgerichtig, dass „The Rabbit“ tatsächlich als das Debütalbum für das Projekt meka eingeordnet wird, obwohl es auf dem bisherigen Oeuvre von Melissa Lingo aufbaut.
Melissa Lingo bietet dabei als Mensch so viele Facetten, dass man das alles mal sortieren sollte. Wie sieht sich Melissa selbst? Als Reisende, Lehrerin, Beobachterin, Kommentatorin, Aktivistin oder Troubadourin vielleicht? „Wow – das ist eine gute Frage“, meint sie, „’Troubadour‘ klingt jedenfalls so viel romantischer als das, was ich mache. Ich bin eher ein ‚Tumbleweed‘. Aber ich bin gut darin, mich überall wohin es mich treibt, einer Gemeinschaft anzuschließen. So bin jemand, der gut verbinden kann. Ich bringe Menschen und Orte zusammen – und darüber schreibe ich dann auch. Ich habe auch als Sozialarbeiterin gearbeitet, war für lange Jahre eine Musiklehrerin und bin zurzeit in der gemeinnützigen Welt tätig. Ich mag es auch, mich in radikalen politischen Projekten zu engagieren – und das geht gut mit meinen Reisen zusammen, denn Menschen sind mir sehr wichtig. Ich wollte vor allen Dingen raus aus den USA und eine langsamere Kultur erfahren – weswegen ich acht Jahre in Kambodscha lebte. Dabei bin ich eine Verfechterin des robusten Individualismus und lehne den Kapitalismus ab – der mir überhaupt nichts bedeutet. Ich mag es, die Annehmlichkeiten des Lebens ohne Gedanken an den Konsumismus zu genießen. Auf diese Weise lasse ich mich von Ort zu Ort treiben. Ich würde durchaus schon gerne mal meine Wurzeln schlagen – aber so bin ich nun mal nicht gebaut.“
Wie kommt Melissa denn mit dem politischen Irrsinn zurecht, der zurzeit so ziemlich die ganze Welt plagt? „Die Frage mag ich“, meint Melissa, „ich denke, wir müssen alle da irgendwie involviert sein. Es gibt ja Leute, die sagen: ‚Ich kümmere mich nicht um Politik‘. Aber wenn man das sagt, dann kümmert sich die Politik irgendwann um dich – egal ob du nun willst oder nicht. Ich handhabe das so, dass ich mich um meine Communities kümmere und darauf achte, dass sich alle irgendwie unterstützen und für einander da sind. Solche Netzwerke sind deswegen so wichtig, weil es eine furchterregende Zeit ist und alle Themen, die mir am Herzen liegen, auf dem Hackbrett liegen. Ich will mich also so gut es geht involvieren und meine Gemeinschaften schützen.“
Lässt sich Melissa von ihren politischen Aktivitäten auch songwriterisch inspirieren? Die Songs per se sind ja zunächst mal alle sehr persönlich. „Meine ganze Arbeit ist tatsächlich persönlich“, führt Melissa aus, „ich schreibe einfach über das, was ich beobachte. Ich nehme die Welt schon sehr ernst. Ich lasse mich auch nicht von Ereignissen, die mich selbst gar nicht direkt betreffen, separieren. Die neuen Songs habe ich nach einer für mich sehr schwierigen Zeit geschrieben. Sie sind sehr verletzlich und ich spreche da Dinge an, die ich eigentlich gar nicht teilen will – aber teilen muss.“
Es gibt eine Menge Referenzen auf die Natur in Mekas Songs – fast schon auf einer spirituellen Ebene. Ist die Natur vielleicht eine Quelle des Trostes für Melissa? „Absolut“, stellt sie klar, „es geht dabei aber nicht nur um Trost, sondern auch um ein Verständnis der Natur. Ich bin zum Beispiel eine Vogelbeobachterin und würde mich als ‚Bird-Nerd‘ bezeichnen. Ich bin draußen in der Natur aufgewachsen. Ich habe aber auch viel Pech in meinem Leben gehabt. Die Jahreszeiten wechseln zu sehen, ist so schön – und vermittelt dir einen Eindruck vom Kreislauf des Lebens. Man wird davon in Beschlag genommen und mitgerissen. Dadurch fühlte ich mich besser in Bezug auf mein Schicksal. Das sind halt Dinge, die passieren. Menschen werden halt nun mal krank oder bekommen ihr Herz gebrochen – das ist die Natur des Lebens. Wenn man sich das bewusst macht, dann realisiert man, dass man auch selber einem eigenen Kreislauf aus Leben und Tod unterworfen ist. Wenn man sich dann klar macht, dass in der Natur nach dem Winter garantiert wieder ein Frühling kommen wird, dann ist das sehr tröstlich für mich.“
Melissas „meka-Songs“ – wie eigentlich auch ihre früheren Arbeiten – sind also allesamt von einer melancholischen, nachdenklichen und eben schmerzlichen Note geprägt. Dennoch ist es ihr wichtig, dass da stets auch ein zumindest unterschwelliges Gefühl der Hoffnung mitschwingt – was eben auch mit ihrem Naturverständnis zusammenhängt.
„Ja, total“, stimmt sie zu, „das ist es ja, woher meine Hoffnung kommt. Ich bin eine grundsätzlich melancholische Person. Ich schaue mir die Welt mit offenen Augen an und habe keine Illusionen darüber, wie schlecht es um alles steht. Um aber überhaupt auf eine irgendwie geartete Weise zu einer besseren Welt gelangen zu können, müssen wir sie uns mit einer Art von Hoffnung vorstellen können. Anderenfalls wird aus Deinem Schmerz einfach Zynismus. Hoffnung ohne Schmerz ist schlicht Unsinn. Das ist Wunschdenken, denn wenn man auf etwas hofft, aber um nichts trauert, dann gibt es keine Motivation, irgendetwas zu ändern. Trauer und Hoffnung brauchen sich also.“
Da ist wohl etwas dran. Wenn man dann noch weiß, dass Melissa Nick Drake als größte Inspirationsquelle für ihr aktuelles Projekt „The Rabbit“ bezeichnet, dann erklärt das auch musikalisch so einiges, denn hier wie da wird das Gefühl der Trauer und des Schmerzes nicht alleine über Moll-Akkorde und langsame Tempi zum Ausdruck gebracht, sondern auch über feinsinnige, ungewöhnlich strukturierte harmonische, stilistische und rhythmische Akzente, Tunings und Experimente.
„Insbesondere wenn ich alleine für mich Gitarre spiele oder Songs schreibe, mache ich deswegen so ungewöhnliche Sachen, weil ich kein Theorie-Hirn habe, sondern alles nach dem Ohr spiele“, erklärt sie, „das macht dann wirklich Spaß – so lange, bis ich mit einer Band spiele und mich dann alle fragen, was das – bitteschön – sein soll. Wenn ich also mit der Band spiele, muss einiges angepasst werden, damit es Sinn macht. Ich sträube mich aber dagegen, die Musiktheorie zu lernen, weil ich weiter in dieser magischen Welt leben möchte, die eben nicht immer Sinn macht. Deswegen experimentiere ich – wie Nick Drake auch – mit Zeit-Signaturen und Harmoniewechseln. Ich will das machen, was sich natürlich anfühlt – und möchte nicht einer Gleichung folgen.“
Worauf ist denn der emotionale Fokus beim Musizieren gerichtet? „Das ist eine interessante Überlegung“, meint Melissa, „ich schreibe ja schon viel über Erinnerungen an schmerzliche Momente. Oft geht es um den Schmerz als Muse und darum, den Schmerz zu überwinden. Mir wird oft gesagt, dass meine Musik sich glücklicher anhört, als es meine Texte sind. Das ist eine gute Art, auch mich selbst zu beschreiben, denn mir wohnt da eine gewisse Dualität inne. Man könnte dann annehmen, ich sei zugleich unbeschwert wie auch wirklich gesund. Ich fühle mich deswegen musikalisch zu Akkordfolgen hingezogen, die etwas mehr Hoffnung ausstrahlen, als es das tatsächliche musikalische Element eigentlich vermuten ließe – denn wenn ich etwa alles in A-Moll schreiben würde, dann wirkten die Texte ja sogar noch desaströser, als sie eh schon angelegt sind.“
Gibt da nicht manchmal dann auch die Musik selbst vor, wo es lang gehen sollte? „Total“, bestätigt Melissa diese Vermutung, „ich habe keine Ahnung, was ich eigentlich mache. Ich lasse mich auch total inspirieren, greife mir ein beliebiges Instrument und mache dann irgendetwas – sodass sich Freunde, die sich mit der Musiktheorie richtig gut auskennen, mich fragen, woher ich weiß, was ich zu tun habe, wenn ich mich doch gar nicht auskenne. Ich muss dann immer sagen: ‚Keine Ahnung – ich mache einfach das, was mein Hirn hören möchte.’“
Melissa „meka“ Lingo gehört ja gewiss nicht zu jener Art von MusikerInnen, die ihr Metier als lediglich als Broterwerb bzw. als Job betrachten. Wie definiert sich denn Erfolg für sie? „Das gibt es einige Punkte“, erklärt sie, „wenn sich etwa Leute – die ich gar nicht kenne – an mich wenden und mir sagen, dass ihnen meine Musik in schwierigen Situationen Trost und Kraft gegeben hat, dann fühlt sich das für mich unglaublich an. Das ist für mich dann mehr als eine klassische, typische Form des Erfolges. Jemanden über meine Kunst zu berühren, bewegt mich tief und ist eine wirklich große Sache für mich.“
„Die andere Sache, nach der ich Erfolg bemesse – die ich aber erst noch erreichen muss – ist meine eigene Zufriedenheit mit meinen Songs, wenn ich sie mir anhöre. Es gibt bislang nur wenige Songs, die für mich den Test der Zeit bestanden haben und von denen ich denke, dass ich stolz auf sie bin, wenn ich sie mir anhöre. Da bin ich sehr streng mit mir und ich suche ständig nach diesem perfekten Ding, das auf authentische Weise mich und das, was ich im Inneren fühle, repräsentiert. Danach suche ich ständig – was bedeutet, dass ich wohl nie vollkommen zufrieden mit mir sein werde; was aber auch wieder ein Ansporn ist, ständig weiter zu machen. Momentan bin ich zum Beispiel davon besessen, alles auf Band aufzunehmen.“
„The Rabbit“ von meka erscheint auf Dumont Dumont.