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Die kalifornische Songwriterin Pearl Charles hat im Rahmen ihrer musikalischen Laufbahn schon so einiges ausprobiert. Bereits 2010 gründete die Tochter des renommierten Regisseurs Larry Charles (der unter anderem den ersten Borat-Film drehte) zusammen mit ihrem Songwriter-Kollegen Christian Lee Hutson das Duo The Driftwood Singers, das auf den Spuren etwa der Carter Family mit eigenen Songs eine Art musikalischer Grundlagenforschung in Sachen ruraler Folk-Ästhetik betrieb. Während Hutson im Folgenden eine von Phoebe Bridgers protegierte Solo-Laufbahn anstieß, schloss sich Pearl zunächst dem Indie-Underground-Projekt The Blank Tapes ihres Freundes Matt Adams als Drummerin an, bevor sie dann ab 2012 begann, als Solo-Künstlerin tätig zu werden.
2015 erschien eine erste, selbst betitelte EP, auf der Matt Adams ebenfalls mitarbeitete und wo bereits erkennbar wurde, dass sich Pearl Charles nicht etwa einer bestimmten musikalischen Stilrichtung zu verpflichten gedachte, sondern eher einer bestimmten Ästhetik: Ihre im Stile der späten 60er und 70er Jahre inszenierten Psychedelia-, Jangle-, Surf- und klassischen Gitarrenpop-Songs griffen dabei so ziemlich alle Westcoast-Vibes auf, die sich anboten. Dieser Eindruck verstärkte sich dann nochmals, als Pearl 2018 ihr Debüt-Album „Sleepless Dreamer“ veröffentlichte, das nun endgültig ganz im Geiste der 70er Jahre inszeniert wurde.
Etwa zu dieser Zeit tat sich Pearl mit ihrem musikalischen Partner, dem kanadischen Songwriter Michael Rault, zusammen, der sowohl auf Pearls zweitem Album „Magic Mirror“ wie auch auf dem nun vorliegenden, dritten Werk „Desert Queen“ mitwirkte. Zwischenzeitlich waren zu den zuvor genannten stilistischen Merkmalen noch Folk, Glam- und Desert-Rock, Blues-, Soul-, Softrock- und zunehmend Disco-Elemente hinzugekommen.
Wie fand Pearl bei ihrer Vorliebe für die Musik der 70er denn zu ihrer eigenen Identität als Musikerin? „Nun ja – in den Driftwood-Singers und den Blank Tapes habe ich ja auch schon verschiedene musikalische Epochen erforscht“, erinnert sich Pearl, „mit den Driftwood-Singers bewegten wir uns auf den Pfaden der Carter Family in den Bereichen Folk und Country. Mit den Blank Tapes haben wir eher die 60er Garage-Rock-Ära betrachtet. Auf meiner eigenen Reise als Solo-Künstlerin entdeckte ich dann mehr über die Künstler, die in den 70er Jahren mit mehr künstlerischen Freiheiten reüssierten. Diese Künstler experimentierten viel und versuchten eine Menge verschiedener Dinge. Das möchte ich auch tun.“
Um was geht es Pearl bei diesem Ansatz? „Auf der neuen Scheibe gibt es zum Beispiel Sachen wie eine Steel-Drum. Das ist heute eher ungewöhnlich, weil viele Künstler einfach in der Kiste des Formats, das sie interessiert, feststecken. Deswegen ist ‚Desert Queen‘ auch so eklektisch angelegt. Neben den 70er-Vibes gibt es eben auch Country und Folk und Disco. Indem ich all diese Dinge zusammenfüge, wirkt das auf gewisse Weise neu. Insbesondere auch deswegen, weil es ja nun mal eine weibliche Stimme gibt. Es gab natürlich auch in den 70ern eine Menge großartiger Künstlerinnen – aber heute erinnert man sich halt eher an Bob Dylan oder an Neil Young. Das war dann offensichtlich eher ein Jungs-Club. Ich nehme also die Vibes dieser Zeit auf, interpretiere sie aber aus weiblicher Sicht und mache die Sache insofern neu.“
Nun ja – aber gerade in den 70ern gab es doch eine ganze Riege weiblicher Ikonen wie Linda Ronstadt, Joni Mitchell, Emmylou Harris, Carly Simon oder Carole King, die diese Ära auch musikalisch prägten. „Ja klar – diese Frauen sind auch eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration für mich“, führt Pearl aus, „und ich lese auch ständig Bücher über sie – zuletzt eines über Rita Coolidge. Diese Frauen inspirieren mich auch deswegen, weil sie den Weg bereitet haben – in einer Zeit, in der es sehr viel weniger Gleichheit in der Welt der Musikindustrie gab. Es gab da Sachen, mit denen sich diese Frauen herumschlagen mussten, mit denen ich heutzutage einfach nicht mehr auseinandersetzen muss. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sie das in dieser schwierigen Zeit durchgestanden haben. Es ist also geradezu meine Pflicht, diese Fackel in dieser Hinsicht weiterzutragen.“
Die Scheibe entstand ja, nachdem Pearl Charles und Michael Rault während der Pandemie aus dem urbanen Los Angeles ins vergleichsweise ländliche Joshua Tree umgezogen waren, wo sie sich auch ein eigenes Studio einrichten konnten. Wie sieht es denn mit den spirituellen Vibes in Sachen Cosmic American Music aus, die dem Ort Joshua Tree ja zugeschrieben werden? Spielen die auch für Pearl Charles eine Rolle? „Total“, meint sie, „obwohl ich zugeben muss, dass ich gar nicht wusste, wer Gram Parsons war, als ich als Teenager zum ersten Mal nach Joshua Tree kam, weil meine Eltern lange Zeit dort gelebt hatten. Aber sein Geist ist schon sehr präsent in dieser Gegend, wenn man an solche Sachen glaubt. Als ich hierher kam, fühlte ich aber diese große Anziehungskraft, die Country-Musik auf mich ausübte. Von Gram Parsons erfuhr ich erst später. Aber die Leute kommen ja generell wegen der spirituellen Anziehungskraft hierher. Ich weiß auch nicht, woran es liegt – aber es gibt hier einfach dieses einzigartige, magische Gefühl.“
Und was bringt das in Sachen Spiritualität? „Gerade auf diesem neuen Album habe ich mich auch mehr mit dem Thema Spiritualität beschäftigt“, führt Pearl aus, „bei dem Song ‚Does This Song Sound Familiar‘ – geht es zum Beispiel einerseits um die Wüste, – aber eigentlich geht es um den Song des Lebens und wie wir alle in diesen Kreisläufen des Lebens eingebunden sind. Ich weiß natürlich auch nicht, was passiert, wenn wir sterben und grüble nur darüber nach – aber ich denke die ganze Zeit über solche Sachen nach. Die Wüste ist dann ja auch ein guter Ort, um mit Psychedelia zu experimentieren und sich auf verrückte Trips zu begeben.“
Damit wären wir dann ja auch bei den Texten von Pearl angekommen – die stets noch eine Bedeutung über die offensichtlichen Aspekte hinaus haben. Wie findet Pearl Charles selbst den jeweiligen Kern ihrer Songs? „Das ist eine sehr interessante Frage“, überlegt sie, „oft kommt mir eine Idee für eine Textzeile – und dann muss ich in mich selbst hineinhören und die Bedeutung meiner Idee ausgraben. Offensichtlich kam die Idee ja von außerhalb – aber ich muss dann für mich überlegen, was das für mich bedeutet – oder wenn ich mit anderen zusammen schreibe, diskutieren, um was es gehen könnte. Was ist es, was wir hier aussagen wollen? Ich muss der Sache dann auf den Grund gehen, denn ich möchte schon, dass meine Songs eine tiefere Bedeutung haben, denn das ist meine Art, mich der Welt mitzuteilen. Ich beschäftige mich ja mit all den existenziellen Fragen, die wir alle haben. Nur ab und an gibt es mal einen Song, der einfach nur Spaß machen soll und keine tiefere Bedeutung hat, denn diese Art von Songs mache ich dann ja auch. Manchmal ist das aber auch so, dass sich die Songs fröhlich anhören, die Bedeutung der Texte aber doch etwas düsterer ist.“
Hat Pearl denn über ihre Musik etwas über sich selbst herausgefunden, das sie zuvor noch nicht wusste? „Ich habe schon eine Menge gelernt“, meint sie, „meine Erfahrungen mit der Musik und der Psychedelia gehen Hand in Hand. Das habe ich besonders in meinen 20ern viel ausprobiert und auf diese Art viel gelernt. Könnte ich sagen, was ich gelernt habe und das quantifizieren? Nun ja – es geht ja immer um die Beziehung und das Gefühl, weniger alleine zu sein. Und was ich festgestellt habe, ist, dass wir alle irgendwie miteinander verbunden sind – und mit dem Leben und dem Jenseits (was immer das auch sein mag). Wir kehren ja alle irgendwie ins Gewebe des Universums zurück.“
Ist das dann das Resümee der „Desert Queen“-Experience? „Vielleicht“, meint Pearl, „was ich noch interessant finde, ist, dass uns Musik, Meditation und Psychedelia alle auf verschiedenen Pfaden zu denselben Erkenntnissen bringen können. Etwa dass wir uns um unseren Planeten und unsere Mitgeschöpfe kümmern müssen, denn was man anderen zufügt, schlägt am Ende auf eine verrückte kosmische Art auch ohne direkte Beziehung auf einen selbst zurück. Das habe ich gelernt.“
Wie geht Pearl denn mit dem Wahnsinn aktueller politischer Entwicklungen in den USA um? „Das ist sehr schwer“, erklärt Pearl, „ich bin ziemlich verzweifelt. Mein Partner Michael Rault ist Kanadier und mit einem Visa hier. Wir machen uns schon Sorgen darüber, dass wir verfolgt werden könnten, wenn wir das Land verlassen und dann wieder zurück wollen. Mein Vater ist zwar kein Politiker oder Popstar – aber er hält nicht mit seiner politischen Meinung zurück. Es macht uns schon Angst, dass wir für unsere Überzeugung und wegen unserer Haltung gegen Faschismus und Autoritarismus verfolgt werden könnten. Ich versuche aber weiterhin, meine Meinung kundzutun und Menschen zu helfen.“
Wie geschieht das denn? „Wenn ich auf meine eigene, persönliche Weise mit dem Universum kommuniziere, dann bitte ich schon um die Kraft und die Fähigkeit, über meine Arbeit Liebe und Frieden verbreiten zu können und hoffe, dass ich mit meiner Musik helfen kann. Weißt du: Wir haben alle unsere Rolle im Leben – und ich denke, dass ich dazu bestimmt war, als Künstlerin meine Stimme zu erheben und ich möchte nicht eingeschüchtert werden, genau das nicht zu tun. Wir müssen tapfer sein im Angesicht dessen – aber es ist sehr beängstigend heute.“
Wie ist das neue Album entstanden? Pearl erwähnte ja, dass sie die Songs zuweilen mit ihrem Partner Michael Rault schreibt. „Ja, wir haben viele der Songs zusammen geschrieben“, bestätigt Pearl, „ich habe aber noch einen Co-Autor namens Trevor Beld Jiminez, der ein guter Songwriter ist. Ich habe die Hälfte der Songs mit ihm oder mit Michael geschrieben. Vieles ist während Covid geschrieben worden und da war ich dann in der glücklichen Lage, von Leuten umgeben zu sein, mit denen ich zusammenarbeiten konnte. Songwriting-Sessions sind zudem auch sehr therapeutisch und das sind dann auch Gelegenheiten, auszusprechen, was man wirklich denkt und was man gerade fühlt – das fließt dann auch ein in die Arbeit.“
Ein Song sticht auf der Scheibe besonders heraus – und das ist der klassische Glam-Rocker „Gone Too Long“, den Pearl mit Tim Burgess – dem Mastermind der Charlatans – als Duett-Partner einspielte. Wie kam es denn zu dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit? „Ich habe mit Tim Burgess während Covid eine Listening-Party zu meinem zweiten Album „Magic Mirror“ auf Twitter gemacht.“
Inzwischen gibt es Tim Burgess’ Listening Partys als Podcast-Serie, mit der er dann Nachwuchskünstler unterstützt. „Ja, genau – wir haben uns dann über jeden Song des Albums geschrieben, was ich sehr spannend finde – weil in unserem Streaming-Zeitalter viele Songs einfach vergessen werden, wenn sie nicht als Single ausgekoppelt werden. So bin ich mit ihm in Kontakt gekommen und wir haben uns angefreundet. Er hat mich dann eingeladen, auf seiner Solo-Scheibe ‚Typical Music‘ mitzusingen, und dann habe ich ihn gefragt, ob er nicht auch auf meiner Scheibe mitsingen wolle – was er dann auch getan hat, worüber ich sehr froh bin, weil er ein großartiger Mensch ist – und natürlich auch eine Legende.“
Was ist bei all dem denn die größte Herausforderung für Pearl Charles? „Ich kann ja nur für mich selbst sprechen, aber ich denke, dass viele Musiker durch diese Hoch- und Tief-Phasen gehen, wo sie mal sehr inspiriert sind und mal raus in die Welt müssen, um neue Inspirationen finden zu können. In dieser dann nicht so produktiven Phase muss man sich dann immer wieder daran erinnern, dass man schon irgendwann wieder einen Song schreiben wird und dass der letzte, den man geschrieben hat, nicht der letzte bleiben wird. Man muss dann die Angst vor einer Blockade überwinden. Ich habe das jetzt oft genug mitgemacht und weiß ja, dass diese Perioden nicht ewig dauern werden – aber ein wenig angsteinflößend sind sie nach wie vor; weil nämlich der größte Lohn ist, etwas von Wert erreicht zu haben, das niemand außer dir exakt so zum Ausdruck bringen könnte. Es gibt nämlich keine größere Freude, als wenn Melodie, Harmonie, Texte und Musik in perfekter Harmonie zusammenkommen.“
„Desert Queen“ von Pearl Charles erscheint auf Last Night From Glasgow/Bertus.