Alles, was recht ist: Mittlerweile hat sich Madeline Juno aus eigener Kraft jenen Status als selbstbestimmte, autonome Künstlerin erarbeiten können, der ihr zu Beginn ihrer Laufbahn als Songwriterin mit einem Major-Deal im Rücken noch verwehrt geblieben war – und zwar mit jener Art von Mainstream-kompatiblem Erfolg, der sich nicht aufgrund von Marketing-Strategien einstellte, sondern weil Madeline mit ihren authentischen, deutschsprachigen, konfessionellen, Autotherapie-Songs den Nerv der Zeit getroffen hat und sich auf eine zunehmend größere Schar von Fans verlassen kann.
Auf ihrem nunmehr siebten Album „Anomalie Pt. 1“ schlägt Madeline nun inhaltlich und musikalisch neue Kapitel auf – auch wenn sie ihrem Stil und Image dabei durchaus treu bleibt. Das ist dann jene Art von künstlerischer Weiterentwicklung, die bei Geringeren oft im Kalkül-Denken stecken bleibt. Besonders schön bringt Madeline das Thema mit dem Song „Mediocre“ zum Ausdruck. Hier thematisiert Madeline die Erwartungshaltungen, die an sie als Person von öffentlichem Interesse herangetragen werden, und die Selbstwahrnehmung, die diesen Erwartungshaltungen zum Teil entgegensteht. Dabei beruht die Sache vielleicht auf einem Missverständnis: Bei den Gesprächen zu Madelines letztem Album „Nur zu Besuch“ wurde sie etwa gefragt, wie sie denn ihre Musik künftig weiterzuentwickeln gedenke – da sie ja nicht ewig das Coming-of-Age-Thema mit ihrer Art von zeitgemäßem Indie-Pop bedienen könne. Das interpretierte sie allerdings so, dass man ihr vorwerfe, dass sie mit Anfang 30 ihre besten Jahre bereits hinter sich habe. In dem Song bringt sie diesen Aspekt dann zum Ausdruck, indem sie ihre Wünsche und Erwartungen mit den Anforderungen ihres Jobs in Einklang zu bringen sucht. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass sie heute mit Zuversicht in die Zukunft blicken kann und sich nicht mehr darum scheren möchte, was andere von ihr denken mögen; schon gar nicht jene, die ihr Mittelmäßigkeit vorwerfen. In diesem Sinne ist dann das ganze Album eine Art „Anomalie“ im bisherigen Madeline Juno-Kosmos (der sich ja bislang eher um Herz- und Seelenschmerz-Themen drehte) – allerdings ist das eine Art von Anomalie, die künftig auch zu einem Normalzustand werden könnte.
Auch musikalisch hat Madeline eine Antwort auf die bereits erwähnte Frage, wie sie sich denn in Zukunft weiterentwickeln zu gedenken. Eingefasst wird das Album von den Songs „Mediocre“ und „Vorsicht zerbrechlich“ als Buchstützen, mit denen sich Madeline auf ihre akustischen Singer-/Songwriter-Roots bezieht (mal mit Ukulele, mal mit Akustikgitarren-Begleitung). Dazwischen allerdings machten sich Madeline und ihr Team frei von den bereits mehrfach erwähnten Erwartungshaltungen und experimentierten vor allen Dingen mit Club-Elementen, Electronica und eleganten Dance-Grooves. Das kündigte sie bereits auf der Tour zum letzten Album an – wo Songs wie „Mediocre“ und eben „Anomalie“ bereits in die Setlist eingebaut waren – allerdings überrascht dann doch die Konsequenz, mit der diese Entwicklung nun vorangetrieben wurde. Die Indie-Pop- und R’n’B-Elemente sowie die Gitarrenarbeit der Vergangenheit wurden hierfür zwar zurückgefahren – was aber nicht unbedingt schlecht ist, denn der neue musikalische Stil sorgt für frischen Wind – ohne dass deswegen etwa die Fans des „alten“ Sounddesigns verprellt würden (ein Fakt, der Madeline Juno besonders wichtig ist). Sagen wir mal so, die Balance zwischen Tradition und Moderne (im Juno’schen Sinne) ist mit „Anomalie Pt. 1“ besonders gut gelungen – und überzeugt besonders in musikalischer Hinsicht durchgängig. Mal sehen, wie die Sache dann auf „Anomalie Pt. 2“ weitergehen wird.
„Anomalie Pt. 1“ von Madeline Juno erscheint auf Embassy Of Music/Tonpool.