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Als gäbe es ein Morgen
Das Orange Blossom Special ist das beste Festival der Welt. (Das nur für den Fall vorangeschickt, dass es hier Neulinge geben sollte, die diesen Spruch noch nicht tausende Male gelesen oder gehört haben sollten.) Das Motto-Tier des Orange Blossom Special 27 war in diesem Jahr ausgerechnet ein Otter namens Günni. Für seinen Namen konnte der putzige kleine Kerl ja nichts – aber dass seinetwegen das Gelände während nahezu des ganzen Festivals ständig unter Wasser gehalten werden musste, um seinen Lebensraum arbeitsfreundlich zu gestalten, war zumindest für die Zuschauer dann doch ein gewisses Problem. Mit anderen Worten: Das war wieder mal ein klassisches OBS mit ordentlich viel Pfingsten, Regen, Schlamm und Matsch. Sei es drum: Wie Impresario Rembert Stiewe ganz richtig bemerkte, lassen sich die OBS-Fans von solchen Wetterkapriolen heutzutage einfach nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen. Sobald also eine Schlechtwetterfront aus Richtung Dahlhausen die feindliche Übernahme anstrebte (wie an Tag zwei und drei des Festivals), zogen sich die Fans entweder die Friesenpelze ins Gesicht oder verzogen sich unter die inselartig auf dem Gelände verteilten Unterstellinseln (oder gar in die eigens geöffnete Evakuierungshalle in der Nachbarschaft) und konzentrierten sich dann stoisch auf das Bühnengeschehen.
Und das hatte es auch in diesem Jahr wieder mal in sich. War das letztjährige OBS 26 noch eine Art verkappter Flinta-Angelegenheit mit starker Frauenbeteiligung gewesen, so bestach das diesjährige Line-Up wieder durch eine geschlechtsspezifisch paritätischere Besetzung – vor allen Dingen aber eigentlich durch ein stilistisch bemerkenswert breit gestreutes musikalisches Angebot. Mehr noch als früher – wo es ja (besonders zu den Americana-Zeiten) oft stilistische Schwerpunkte zu beobachten gab – schien es Rembert dieses Mal darum gegangen zu sein, vor allen Dingen Acts zu engagieren, die sich nicht auf eine bestimmte Richtung festnageln ließen, sondern – wie z.B. die niederländische Band Personal Trainer (und etliche andere Acts) – „alle Musikrichtungen auf ein Mal“ in ihrem Oeuvre verquicken.
Ein bisschen gehört auch das österreichische Quartett Gardens zu dieser Spezies, dem die Ehre zu Teil wurde, das Festival mit seinem angenehm unprätentiösen Indie-Pop – noch im Sonnenschein – eröffnen zu dürfen. Basierend auf den konfessionellen Selbstfindungs-Lyrics der Frontfrau/Sängerin Luca Celine Müller changiert das Quintett mit sympathischem, performerischem Understatement, aber erkennbarer emotionaler Investition durch einen geschickt austarierten Mix aus Indie-, New-Wave-, Dream- und Psycho-Pop und -Rock, der in Teilen durch seine überraschende Song-Lastigkeit erfreut. Wo nämlich Geringere sich oft mit dem Stochern in Möglichkeiten begnügen, gefallen sich Gardens darin, Ideen auch mal songorientiert auszuformulieren – wie z.B. im Falle des Titeltracks des Debüt-Albums „Flaws“ – einem Killer-Song mit einer brillanten Hookline, in dem Luca über ihre Schwächen resümiert, die sich oft genug aber als Stärken erweisen. Da die Musik von Gardens in diesem Sinne zwar facettenreich, aber auch frei von Extremen ist, ließ man sich so gerne von den sympathischen Österreichern auf das Festival einstimmen.
Und dann wären wir auch schon bei Personal Trainer angekommen. Bei dem Amsterdamer Projekt um seinen Gründervater Willem Smit handelt es sich nicht um eine typische Band, sondern um ein Kollektiv mit einem schnell rotierenden Besetzungskarussell aus gerade verfügbaren KollegInnen aus der Amsterdamer Indie-Szene. Die aktuelle Besetzung des Ensembles erwies sich dann beim OBS als eine der Überraschungen in Sachen Performance-Explosion. Während der unberechenbare Mix aus Folkpop, Artrock, Prog-Emulationen, Schrammel-, Fuzz-, Indie- und Psycho-Elementen (und Field-Recordings) den Hörer auch auf der aktuellen, zweiten LP „Still Willing“ eher irritiert und überfordert, funktionierte das auf der Bühne des OBS alles hervorragend – einfach indem die ganze Band sich mit einer unglaublichen Intensität und jeder Menge Spaß an der Freude ins Geschehen stürzte und all die verschiedenen (sich zum Teil widersprechenden) musikalischen Ideen in einer energischen Rock-Performance verdichtete. Insbesondere Smit selbst in der Bühnenmitte, die Gitarristin Franti Maresova auf der linken und Mart Boumans an Gitarre und Saxophon auf der rechten Bühnenseite ließen keine Gelegenheit aus, das Geschehen mit stadienreifen, selbstironischen Rockstar-Posen in eine zirkusreife Rock-Show ausarten zu lassen. Das ging nach der Show beim Foto-Shoot dann munter weiter in diesem Stil.
Traditionellerweise gibt es am ersten Festival-Tag zeitbedingt nur einen Act auf der Mini-Bühne – und das waren in diesem Jahr dann die Schweinehunde Peter Bering und Alessandro De Luca mit ihrem Duo-Projekt The Pighounds. Auf der Website ihres Plattenlabels werden The Pighounds als Band ausgelobt, die sich anfühle, „als bestünde sie aus vier Schlagzeugern und acht Gitarristen“. Müßig zu erwähnen, dass sie mit ihrem „Wir beweisen euch schon, dass die große Zeit der Drums & Gitarren-Duos noch lange nicht vorbei ist“-Ansatz ganz alleine das Terrain zwischen Grunge-Rock, Indie-Pop und Blues-basiertem Schweine-Rock raumgreifend abzustecken wussten. Wäre schade, wenn dieser Act wegen der Hektik des ersten Festivaltages im Folgenden unbeachtet bliebe. Mal sehen: Hauptbühnenpotential war da ganz klar zu erkennen.
Auch das Essener Ensemble Botticelli Baby (das aufgrund einer Absage nachnominiert worden war) gehört im Prinzip zu jener Sorte von Musikern, die sich keinem bestimmten Stil verpflichtet fühlen, sondern alles, was sich nicht wehrt, in ihrem eklektischen Soundmix verquicken. Allerdings tun sie das nicht mit der Absicht, das in Form einer unterhaltsamen Rock-Performance anzurichten – sondern eher als theatralische, musikalische Varieté-Revue mit Noir- und Jazz-Flair. Was der dandyhafte Frontmann Marlon Bösherz und seine Mannen im Folgenden präsentierten, swingte und groovte dann zuweilen sehr illuster – aber echte Party-Musik konnte so natürlich nicht entstehen. Sollte es wohl auch gar nicht – hier stand der Unterhaltungsfaktor auf einem eher abstrakten Podest. Das war dann etwas etwas für bildungsnahe Musik-Analysten. Ein bisschen fühlten sich OBS-Veteranen da allerdings an den Auftritt von Mardi Gras BB. auf dem OBS 10 erinnert.
Über die Verständlichkeit ihrer Musik mussten sich die OBS-Veteranen Shirley Holmes keine Gedanken machen. Soeben hatte das Trio das brillante neue Album „Mein bestes Selbst“ veröffentlicht, auf dem sich jede Menge gut gelaunter und trotzdem Rock-veritabler Grunge-Pop-Rausschmeißer finden – und diese ließen Gitarristin Mel, Bassistin Ziggy und Drummer Chris dann einfach auf der OBS-Bühne frei. „Fliegt, kleine gefiederte Freunde“ schienen sie ihren Songs hinterherzurufen. Die geradlinigen „schnellen Nummern aus Berlin“ – wie die Tagline auf der Shirley Holmes Website heißt – waren dann genau das, was zu dieser Zeit nach der Eklektik von Botticelli Baby auch gebraucht wurde. Shirley Holmes gehörten zu jenen Acts, die schon mal auf dem Festival gespielt hatten (auf dem OBS 24, wo sie für die krankheitsbedingt ausgefallenen Recken von Husten eingesprungen waren) – aber noch nicht auf dem Plakat gestanden hatten. Das musste also in diesem Jahr nachgeholt werden. Eine besondere musikalische Wertigkeit brauchte dem enthusiastisch vorgetragenen, deutschsprachigen, politisch inkorrekten Empowerment-Power-Pop also gar nicht zugewiesen zu werden: Das funktionierte einfach so, machte Spaß und ist ja auch irgendwie cool. Mehr braucht es ja auch nicht.
Eigentlich hätten die OBS-Veteranin Julie Zech und ihr musikalischer Partner Pierce Black a.k.a. Stereo Naked als Walking Act das OBS in der Art der Vorgängerjahre inoffiziell während der Einlassprozedur eröffnen sollen. Aber erstens steckten sie da noch im Stau fest und zweitens gab es in diesem Jahr einen unglaublichen Andrang beim Einlass – deswegen musste das Programm sogar zeitverzögert anfangen (das gab’s auch noch nicht). Langer Rede kurzer Sinn: Stereo Naked konnten mit ihrem charmanten Greatest-Hits-Jukebox-Akustik-Programm erst nach Einbruch der Dunkelheit so richtig ins Geschehen eingreifen. Für das Festival hatten sich Julie und Pierce eine eigene Nebelmaschine gekauft und führten diese mit einer ebenfalls mitgebrachten Lampe auf ihrem Bollerwagen mit sich. Das sah dann immer ein bisschen so aus, als präsentierten sie ihr Material auf einem stark kokelnden Holzkohle-Grill. Oder aber – indem sie den Abend dann zumindest inoffiziell nach der Beendigung des Bühnenprogramms im Parkplatzbereich vor dem Gelände mit einem weiteren Gig beschlossen – als säßen sie auf der Ladefläche ihres brennenden Kastenwagens. War aber trotzdem sehr schön und charmant. Musik braucht eben keine Löschkultur.
Das österreichische Duo Cari Cari hatte schon länger auf der OBS-Wunschliste gestanden. Aber erst als sich Alex Köck und Steffi Widmer von ihrem Management getrennt und mit ihrem dritten Album „One More Trip Around The Sun“ als selbstbestimmte Indie-Künstler – trotz des Erfolges – auf eine neue, volksnahe Bodenständigkeit in einem eher familiären Umfeld gesetzt und sich damit gegen den künstlerischen Größenwahn entschieden hatten, war es gelungen, sie für den Glitterhouse-Garten begeistern zu können. Allerdings hatte die Sache einen produktionstechnischen Haken: Für ihre aktuelle Tour hatten sich Cari Cari ein elaboriertes Produktionsdesign geleistet, das neben einem tonnenschweren Gong auch ein aufwändiges elektronisches Projektions-Podest beinhaltete, das von der Produktions-Mannschaft vor Ort während der Umbaupause zunächst zusammengebastelt und dann millimetergenau eingepasst werden musste – was aber dankenswerterweise dann auch passgenau gelang. Wundern tat das kaum mehr – denn die fähige OBS-Technik-Crew hatte ja weiland sogar den Austausch der system-sprengenden Hammond Orgeln von Birth Of Joy und Midnight Choir auf dem OBS 22 unfallfrei hinbekommen.
Der Auftritt von Cari Cari gehörte dann auch demzufolge zu den Highlights des Tages. Insbesondere bei denjenigen, die Cari Cari zuvor noch nicht gesehen hatten, sorgten die exaltierte Bühnenshow, die elaborierte Beleuchtungs-Dramaturgie und nicht zuletzt das inzwischen breit gefächerte musikalische Angebot für den einen oder anderen Wow-Effekt. Alle anderen durften sich dann an den erkennbaren Fortschritten erfreuen, die das (auf der Bühne zum Trio angewachsene) Projekt inzwischen auszeichnen. Zwar zehrt Alex Köck immer noch von der Cari Cari Gründungsmythologie (die darauf beruht, dass Cari Cari einzig zu dem Zweck gegründet wurde, um die Aufmerksamkeit von Quentin Tarantino zu erlangen) – ansonsten ist aber vieles neu. Etwa die Art, in der Alex Köck immer wieder auf das Publikum zugeht und dieses in die Performance einbindet. Inzwischen gibt es auch eine Art Choreographie und Dramaturgie zu beobachten. Auch dass Steffi inzwischen auch als Vokalistin zunehmend stärker eingebunden wird und neben Keyboard und Didgeridoo auch Bass und Percussion spielt, sorgt für Kurzweil. Aber ehrlich gesagt funktionieren Cari Cari nach wie vor dann am Besten, wenn Drummer Ivor Thoman die Bühne verlässt und Steffi hinter dem Drumkit Platz nimmt. Dann werden Cari Cari nach wie vor zum sprichwörtlichen Biest mit zwei Köpfen und lassen so richtig die Sau raus. Ganz ohne Frage war das ein würdiger Abschluss des ersten Orange Blossom Special 27-Tages.
Der 2. Teil folgt asap.