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Mit voller Wucht!
Dunkel, intensiv und energiegeladen: Auf ihrer allerersten Deutschland-Tournee als Headliner begeistern Marathon am Freitag vor Pfingsten im leider nur spärlich gefüllten MTC in Köln mit grandioser Wucht, ohne deshalb die Nuancen aus den Augen zu verlieren. Denn dem niederländischen Quintett geht es in seinen Liedern nicht um Zerstörung, stattdessen ist Katharsis das Ziel. In der Domstadt lassen sie sich selbst von einer Reihe Missgeschicke bei der Anfahrt nicht bremsen.
„Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh“, so heißt es, und jetzt wissen auch Marathon, dass da etwas Wahres dran ist. Erst steht die Band auf der Fahrt von Hamburg nach Köln wegen des Pfingst-Feiertags-Verkehrs stundenlang im Stau, und dann nimmt Sänger und Gitarrist Kay Koopmanns auch noch die eingangs erwähnte Fußballerweisheit ein bisschen zu wörtlich und ruiniert sich an einem Rastplatz seine Schuhe. Weil er für die kurze Deutschland-Tournee zum just veröffentlichten Debütalbum „Fading Image“ nur ein Paar dabei hat, gibt’s in Köln auf der Bühne deshalb ausnahmsweise mal kein Shoegazing, sondern Adiletten-Gazing…
Schlimm ist das nicht, denn Marathon lassen sich eh nicht auf ein Genre festnageln. Zwar spielen atmosphärisch-dissonante Shoegazing-Elemente in ihrem Sound durchaus eine Rolle, vor allem aber besticht die Band aus Amsterdam dadurch, dass bei ihr die Grenzen zwischen Grunge, Alternative Rock, Indierock und Post-Punk fließend sind – und das bisweilen innerhalb ein und desselben Songs. Das verbindende Element ist derweil die rohe Intensität, mit der Marathon ihre bewussten und unbewussten Inspirationen von gestern und vorgestern ins Hier und Jetzt katapultieren.
Weil nach der stressigen Anreise die Zeit wegläuft, müssen Marathon praktisch ohne Soundcheck auf die Bühne. Das allerdings tut dem Auftritt eher gut, als dass es schadet. Der aufgestaute Frust entlädt sich vom ersten Ton an in elektrisierenden Songs wie der Eröffnungsnummer „Out Of Depth“, für die Koopmanns, Bassistin Nina Lijzenga und Drummer Lennart van Hulst gemeinsam mit Sofie Ooteman und Victor Dijkstra an den Gitarren den Klang ihrer Instrumente zu einer imposanten Wall Of Sound auftürmen. Auch für den Rest des knapp einstündigen Sets überrollen sie das Publikum mit einer Power, die herrlich brachial und doch stets kalkuliert ist. Bisweilen fällt es schwer zu glauben, dass es nur fünf Menschen (und zugegebenermaßen eine Menge Effektgeräte) braucht, um diesen Wirbelsturm zu entfachen.
Natürlich gibt es immer wieder auch kurze Atempausen, aber oft sind sie nicht mehr als ein Kräftetanken für die nächste klangliche Attacke, etwa, wenn die Band bei „Idiocy“ gekonnt mit der Dynamik von Licht und Schatten, laut und leise spielt. Kontrastreich geht es auch auf der etwas zu düster ausgeleuchteten und heftig eingenebelten Bühne zu: Während van Hulst, Ooteman und Dijkstra alles zusammenhalten, haben Koopmanns und Lijzenga offensichtlich viel Freude daran, sich in der Bühnenmitte zu duellieren oder einfach ihre Instrumente theatralisch in die Luft zu reißen. Wie ein Orkan fegt die Band durch „Shot Away“ oder „DH22“, bevor sie am Ende mit der bereits treffend als „Zeitlupen-Ballade“ beschriebenen Sieben-Minuten-Schlussnummer „Shadow Raised A Star“ all ihre Tugenden noch einmal in epischer Breite zelebriert.
Vielschichtig und laut entladen sich in den Songs von Marathon die Ängste, die Beklemmungen und die Wut, die im Leben im 21. Jahrhundert für viele ein ständiger Begleiter sind. Als Bollwerk gegen die Finsternis des Alltags haben Marathon ihre Musik beschrieben, und nach diesem mitreißenden Auftritt ist klar: Sie bekämpfen Feuer mit Feuer.
Auch die Vorgruppe Night Orchestra kennt sich mit den Ängsten und Sorgen des Alltags aus: Ihre Lieder tragen Titel wie „Afraid“, „Crisis“ oder „Never Left My Home Without The Fear That It Will Burn Down“, allerdings verpackt das deutsche Quintett um Sandor Meierjohann und Alexander Göbel seine Gedanken in einen zumeist weniger niederschmetternden Sound als die Headliner. Energischen Songs wie „The End“ zum Trotz rücken die Post-Punk- und Shoegaze-Einflüsse bisweilen in den Hintergrund, wenn die Band auf Indie-Pop- und Dream-Pop-Terrain nach mehr Eingängigkeit Ausschau hält. So lässt man sich sogar Supportacts gern gefallen!