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Samstagnacht am Montagabend
Dass wir das noch erleben dürfen! Kurz bevor sich Wolf Alice mit ihrem Ende August erscheinenden vierten Album, „The Clearing“, endgültig in die Welt der Mehrzweckarenen verabschieden – in London treten sie im Dezember in der mehr als 20.000 Menschen fassenden O2-Arena sogar gleich an zwei Abenden auf -, geht es für Ellie Rowsell und die Ihren noch einmal zurück zu den Wurzeln. An fünf Abenden kehren die britischen Alternative-Rock-Heroen noch einmal zurück in wenige Hundert Menschen fassende Clubs. Nach Paris, Utrecht, Mailand und Madrid war ganz zum Schluss Berlin an der Reihe. Es ist, so viel sei vorweggenommen, ein berauschendes Erlebnis.
Schon lange vor der angekündigten Einlasszeit führt die Warteschlage vor dem SchwuZ um den halben Block. Das Gastspiel von Wolf Alice in diesem intimen Rahmen ist ein Erlebnis, für das viele Fans der Band sicherlich liebend gerne gutes Geld gezahlt hätten, aber das ist gar nicht nötig. Die Karten gab es vollkommen kostenlos für die Glücklichen, die bei der Ankündigung zur rechten Zeit vor den Bildschirmen saßen, denn bis zum „Sold out“ dauerte es nur wenige Minuten.
Zugegeben, ein wenig roch das schon nach einer billigen Promomasche, aber am Ende ist die Sorge unbegründet. Anstatt die Werbetrommel für das neue Album zu rühren, tauchen Wolf Alice lieber ab in die größten Hits ihrer ersten drei Alben, allen voran „Blue Weekend“. Aus „The Clearing“ gibt es nur die aktuelle Single „Bloom Baby Bloom“ und einen weiteren neuen Song namens „The Sofa“ zu hören, ohne dass die Band das neue Werk auch nur mit einer Zeile erwähnt. Selbst den heute eigentlich obligatorischen Hinweis auf den Merchstand sparen sie sich. Man könnte wirklich meinen, die wollen nur spielen!
Das Publikum an diesem Abend passt zu Wolf Alice, denn es ist bunt gemischt und nicht eindeutig in gängige Schubladen zu stecken. Von jungen Girlies, die das Quartett vor drei Jahren im Vorprogramm von Harry Styles erlebt haben, bis hin zum angegrauten Indierocker sind alle gleich gespannt auf den Auftritt von Frontfrau Ellie Rowsell, Gitarrist Joff Oddie, Bassist Theo Ellis, Schlagzeuger Joel Amey und Live-Keyboarder Ryan Malcolm.
Um Punkt 20.00 Uhr stehen sie dann wirklich auf der Bühne, ohne Vorgruppe, ohne Security, ohne Sicherheitsgraben, ohne Deko – ganz so wie früher. „Formidable Cool“ ist nicht nur der Titel des ersten Songs, es ist auch gleich die perfekte Beschreibung für den kompletten Abend. Vor allem Rowsell, gekleidet in einen grasgrünen, definitiv arenatauglichen Body, übt sich die gesamte Show über in leicht entrückter Coolness und überstrahlt mit ihrem Rockstar-Charisma dennoch alles. Deshalb kann sie sich sogar langwierige Ansagen sparen.
Trotzdem hängt ihr das Publikum schon bei den ersten Liedern an den Lippen und singt praktisch jede Zeile wie Hits und Hymnen wie „Delicious Things“ oder „Lipstick On The Glass“ inbrünstig mit. Selbst bei dem neuen „Bloom Baby Bloom“ zeigen sich die Berliner textsicher. Sehr zur Freude von Ellis übrigens, der anders als der Rest der Band überhaupt nicht verhehlen kann, wie viel Spaß ihm das Ganze macht, und die ganze Zeit mindestens genauso strahlt wie die meisten im Publikum.
In Berlin passen in knapp 70 Minuten 16 Songs, die abwechslungsreicher nicht sein könnten, ohne dass man deshalb einen roten Faden vermissen würde. Vielmehr haben Wolf Alice in den letzten fünfzehn Jahren eine so starke Band- und Soundidentität entwickelt, dass sie im SchwuZ mühelos von Pop zu (Alternative) Rock, von laut zu leise, von sanft zu kratzbürstig und von nachdenklich zu freudestrahlend wechseln und dabei trotzdem stets sie selbst sind.
Am Ende von „Giant Peach“ werden sie sogar kurz zu einer Cover-Band, wenn sie Schlenker zu „Seven Nation Army“ (The White Stripes) und „Iron Man“ (Black Sabbaith) machen… Passend dazu sitzt Rowsell mal ganz lässig auf einem Barhocker in der Bühnenmitte, mal geht sie nah am Bühnenrand mit der ersten Reihe auf Tuchfühlung, mal schnappt sie sich die Gitarre, und bei „Yuk Foo“ plärrt sie den Text auch im SchwuZ durch ihr Megafon.
Als das Konzert bei der Zugabe mit dem letzten Singaloang „Don’t Delete The Kisses“ zu Ende geht, ist die Euphorie im Saal geradezu greifbar, oder um es mit den Worten von Ellis zu beschreiben: „Es ist Montagabend, aber es fühlt sich an wie Samstagnacht!“