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So richtig langweilig dürfte es Meg Remy so schnell nicht werden. Wenn sie ein Mal nicht mit ihrem Projekt U.S. Girls beschäftigt ist, vertreibt sie sich die Zeit mit Gastauftritten bei ihren Freunden. So gastierte die kanadische Songwriterin zuletzt bei den aktuellen Projekten ihrer kanadischen Kolleginnen Bria Salmena und Basia Bulat – aber auch auf der aktuellen Solo-LP „Get Sunk“ des National-Frontmannes Matt Berninger. Im Prinzip entstand auch das neue U.S. Girls-Album „Scratch It“ aus einer Kollaboration unter Freunden heraus. Als Remy gebeten wurde, auf einem Festival in Arkansas zu spielen, fragte sie ihren Kumpel Dillon Watson, ob er zu diesem Zweck eine Band zusammenstellen könnte, mit der man dann in Nashville für das Festival üben könnte. Die Energie, die bei diesen Proben entstand, erwies sich dabei als so produktiv, dass Remy beschloss, dann nicht nur das Festival zu bestreiten, sondern mit den Musikern dann auch ein neues U.S.-Girls aufzunehmen. In einer Zehn-Tage-Session entstand so das neue Werk „Scratch It“, das spontan live im Studio auf Band eingespielt wurde.
Fangen wir doch mal mit dem seltsamen Cover-Motiv an – einem solarisierten Foto aus Megs Jugend. Was will uns das denn sagen? „Ja, das bin ich im Alter von 11 Jahren“, räumt Meg ein, „man konnte damals in der Mall ein schickes Foto machen lassen, wobei dann Make-Up und Frisur mit einbegriffen waren. Ich hatte eine Brille getragen, seit ich sechs Jahre alt war – aber die musste ich für das Foto abnehmen. Als wir dann eine Woche später die fertigen Fotos in der Post bekamen, konnte ich mich gar nicht wiedererkennen, weil ich so anders aussah – und mochte sie dann auch nicht mehr. Ich habe die Fotos dann heimlich weggeschmissen – aber meine Mutter hat das mitbekommen und die Fotos gerettet. Ich habe sie dann 20 Jahre später in ihrem Haus wiedergefunden. Ich habe sie mit nach Hause genommen und als wir das neue Album dann fertig hatten, fand ich, dass es an der Zeit war, mich wieder diesem Foto zuzuwenden. Ich habe es dann bearbeitet und eingescannt und so hat es diesen silbernen Schein angenommen – fast wie bei einem Heiligenbild. Und es sieht ein bisschen nach AI aus. Ich denke, dass das Foto ganz gut zu dem Umstand passte, dass ich zum ersten Mal seit 2010 wieder ein Album in den USA aufgenommen habe. Es war ja ein Foto aus der Zeit, in der ich als Kind in den USA gelebt hatte.“
Nun gut – welche Bedeutung hat denn dann der Titel des Albums? „Auch der ist offen für eine Interpretation“, gibt Remy zu Protokoll, „der Titel kommt daher, dass Domo Donoho – der Drummer auf der Scheibe – immer eine Menge Rubbellose gekauft hatte, die er dann aufkratzte. Da musste ich dann daran denken, dass mir meine Mutter als Kind sowas immer in die Weihnachtsstrümpfe gesteckt hatte. Das war dann für viele Kinder früher der Einstieg in die Spielsucht. Ich musste viel über das Spielen an sich nachdenken – denn ich denke, dass das Spielen auch eine gute Metapher für die Musikindustrie ist, weil das immer eine Art von Gewinnspiel ist, wenn man zum Beispiel auf Tour geht und soundsoviel investiert, ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommt. Zumindest hat man aber Spaß dabei. Ich denke auch, dass ‚Scratch it‘ eine ziemlich offene Formulierung ist, die ich mag.“
Meg Remys Texte sind zumindest äußerst humorvoll und amüsant – auch wenn man sich nie ganz sicher sein kann, wovon sie singt, weil sich ihre Texte an sehr spezifischen Details entlang hangeln, die nur für sie selbst Sinn machen können. In dem Song „James Said“ etwa referenziert sie James Brown – und macht diesen zum Anker einer Empowerment-Hymne. In dem Song „Dear Patti“ schildert sie dann ein Konzertereignis, bei dem sie eben Patti Smith NICHT gesehen hatte. Was bezwecken denn diese ungewöhnlichen Perspektiven?
„Na ja, ich wählte diese, weil ich eben Patti Smith noch nie live gesehen habe“, erklärt Meg, „die Sache ist die, dass es in dem Song darum geht, dass ich die Gelegenheit bekam, für Patti die Show zu eröffnen. Ich hatte also die Möglichkeit, mit ihr die Bühne zu teilen und vor ihr zu spielen – und war dann natürlich davon ausgegangen, dass ich sie auch treffen würde. Aber Annahmen dieser Art sind zwar klasse für Song-Ideen – aber nichts für die Realität. Wenn man Dinge annimmt, dann erscheinen sie sicher – bis zu dem Zeitpunkt, wo sie nicht eintreffen und all diese verschiedenen Gefühle auf einen einstürzen. Ich denke, dass eine Menge meiner Song-Texte daraus entstehen, dass ich Dinge beobachte. In dem Fall war ich eine Beobachterin dieses Ereignisses. Ich hatte als Erste bei einem Line-Up mit zwei Musik-Giganten gespielt – nämlich Patti Smith und The National. Nachdem ich aber meine 20 Minuten absolviert hatte, war ich für den Rest des Tages nur noch eine Beobachterin. Ich habe dann die Hierarchie dieser Veranstaltung beobachtet. Sogar zwischen The National und Patti Smith gibt es nämlich eine Hierarchie. Es ist dann schon faszinierend, den Fußabtritt einer Band wie The National oder von Patti Smith auf einer Tour zu beobachten. Meine Perspektive ist immer die einer Frauenbeobachterin. Ich bin ja eine Frau und ich mag es, andere Frauen zu beobachten.“
Und was ist Meg dabei wichtig? Wonach sucht sie da? „Nun, in dem Fall war es interessant, eine ältere Frau beim Touren zu beobachten und sich zu fragen, wie das für sie sein mag“, führt Meg aus, „es ist schließlich anstrengend zu touren. Ich bin zum Beispiel jetzt 40 und habe noch die Energie, die anderen Musiker zu treffen, die mit mir auf der Bühne stehen. Wenn man aber ein bestimmtes Alter erreicht hat, dann braucht man seine ganze Kraft, die Show zu spielen. Das habe ich auch bei Iggy Pop beobachtet. Er spart alle seine Kraft, um zu einer bestimmten Zeit auf der Bühne explodieren zu können, und fällt danach praktisch in Ohnmacht. Es ist gut, so etwas zu beobachten. Zunächst nahm ich es persönlich, dass ich Patti nicht getroffen hatte – aber dann wurde mir klar, dass es darum nicht gehen konnte.“
Wenn man dann davon ausgeht, dass Meg Remy ihre Songs so als großes Mosaik aus Details betrachtet, dann ist es auch nicht besonders überraschend, dass auf diese Weise epische Tracks wie das zehnminütige „Bookends“ entstehen können – was eigentlich als musikalisches Tryptychon aus drei sehr unterschiedlichen Teilen daherkommt. Was hat es mit diesem „Projekt“ auf sich? „Ich hatte ein Buch namens ‚Eyewitness To History‘ gelesen, das all diese Augenzeugenberichte von entscheidenden Punkten der Geschichte enthält“, berichtet Meg, „ich habe mir da Notizen gemacht und einzelne Zeilen markiert, die ich für wichtig hielt. Als ich das Buch gelesen hatte, habe ich das alles zusammengefasst und hatte diese Masse an Wörtern, die ich hin und her schob und ergänzte. Was mir dann klar wurde, ist das, was die Menschen festhielten, ihre Erfahrungen mit dem Tod anderer und mit Zerstörungen waren. Die Menschen berichteten nicht von freudigen Ereignissen. Das brachte mich dazu, selber über das Thema Tod und die Unausweichlichkeit des Todes nachzudenken.“
Und das ist dann das Thema des Songs? „In gewisser Weise ja“, zögert Meg, „es brachte mich jedenfalls zu der Überlegung, dass ich als Mutter meinen Kindern durch deren Geburt auch gleich deren Tod beschere. Geburt und Tod sind also irgendwie dasselbe. Ich musste auch an einen verstorbenen Freund – Ryley Gale von der Band Power Trip – denken, der ein großes künstlerisches Vorbild für mich war und dessen Tod ein großer Schock für mich war. Wenn man einen konkreten Todesfall einer großen Menge an Todesfällen gegenüberstellt – wie etwa bei dem großen Tsunami in Süd-Ost-Asien – dann fragt man sich nach dem Gewicht dieses Todesfalls. Das klingt jetzt ziemlich psychedelisch, oder? Aber die Frage ist, warum einen der Tod tausender nicht so berührt, wie der Tod eines einzelnen Menschen? All dies ging mir durch den Kopf und das musste ich mit dem Lauf der Zeiten und der Frage nach dem Sinn des Ganzen in Einklang bringen. Das erweckte in mir den Wunsch, einen langen Song zu schreiben, und dann überlegte ich auch gleich, wie lang so ein Song wohl sein könnte und dabei trotzdem überzeugend bliebe, ohne in eine Jazz-Session auszuarten.“
Was hat Meg Remy denn daran gereizt, das neue Album live im Studio einzuspielen? „Mir hat gefallen, dass dieser Prozess auf den Performances basiert“, antwortet sie. „Es gibt zwar ein paar technische Tricks, die man anwenden kann, aber hauptsächlich kommt es darauf an, dass die Musiker spielen können müssen. Das ist so ganz anders als dieser Cut & Paste-Prozess der digitalen Welt. Ich sage ja nicht, dass das Eine besser ist als das Andere – aber es ist eine sehr andere Art zu arbeiten. Ich bin ja selbst jemand, der über seine Performance wirkt – also passte das sehr gut zu mir.“
„Scratch It“ ist ja das erste Album, das Meg Remy auf diese Weise einspielte. Was war die Inspiration dafür – denn das hört sich dann alles so an, als sei es spontan vor Ort entstanden? „Das war ja gerade die größte Inspiration für mich: Mich dazu zu entscheiden, mit dieser Band in Nashville aufzunehmen. Die Parameter waren damit gesetzt. Eine Palette festzulegen, bevor ich überhaupt begonnen hatte, Songs zu schreiben, ist etwas, was ich noch nie zuvor gemacht hatte. Songs zu schreiben, von denen ich wusste, dass sie für Gitarren, Drums, Bass und Orgel arrangiert werden würden, hat mein Songwriting geprägt. Das bestimmt viel. Und zu wissen, dass man mit bestimmten Musikern spielen würde, hat sich auch ausgewirkt. Ich habe hauptsächlich mit dem Gitarristen Dillon Watson zusammengearbeitet. Er ist aus Tennessee – und hat also diesen bestimmten Sound, den er mitgebracht hat. Im Studio dann zu arrangieren ist auch etwas, was ich noch nie gemacht hatte. Wenn es dir also den Eindruck vermittelt, dass alles spontan vor Ort entstanden ist, dann liegt das daran, dass genau das auch passiert ist. Die Songs waren natürlich vorher strukturiert worden – aber erst als wir ins Studio gingen, bestimmten wir, wer was wie machen würde.“
Das bedeutet dann, dass die Musiker wesentlich den Sound der Aufnahmen bestimmten, richtig? „Ja absolut“, bestätigt Meg, „nimm zum Beispiel den Mundharmonika-Spieler Charlie McCoy. Er ist 83 oder 84 Jahre alt und eine richtige Nashville-Legende. Sie nennen ihn dort den Werkzeug-Mann – weil er für jeden alles spielte. Er hat auf Bobby Vintons ‚Blue Velvet‘ Vibraphon gespielt, er hat auf Roy Orbisons ‚Candy Man‘ und Simon & Garfunkels ‚The Boxer‘ Harmonika gespielt. Er hat Bob Dylan nach Nashville geholt und Gitarre für ihn gespielt. Er hat in letzter Zeit endlos viel Bluegrass-Zeug gemacht und in der Grand Ole Opry als Gastgeber präsentiert. Er hat also eigentlich alles gemacht. Ich wollte auf dem Album unbedingt eine Harmonika haben und Dillon Watson hatte Charlies Visitenkarte und hat ihn angerufen. Er hat sich dann bereit erklärt, mitzumachen – denn er arbeitet immer noch. Ich habe ihn dann gebeten, die Lücken im Arrangement mit seinem Spiel zu füllen. Er meinte dann, das ginge doch gar nicht. Wir mussten ihn dann drängen, das zu tun – und dann hat er auch uns mit seinem Spiel geleitet. Es war sehr interessant, mit solch einer lebenden Musiklegende zusammenzuarbeiten. Das war für uns alle ein Highlight und hat natürlich auch den Sound der Aufnahmen geprägt.“
„Scratch It“ von U.S. Girls erscheint auf 4AD/Beggars Group/Indigo.