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Die Kölner Musikerin Jenny Thiele gehört gewiss nicht zu jener Spezies von KünstlerInnen, die sich mit nur einem Projekt, einer Disziplin oder gar einem Stil zufrieden geben. So arbeitete Jenny – neben ihrer Karriere als Solo-Musikerin – immer wieder auch mit Projekten befreundeter Musiker; wie z.B. ihrem musikalischen Partner Thomas Mühlhoff (der unter seinem internationalisierten Moniker millhope bis heute eng mit Jenny zusammenarbeitet), mit der spanischen Sängerin Irene Novoa in dem experimentellen Elektro-Duo Anna Otta, mit der deutsch-spanischen Band Nunuk – und nicht zuletzt fünf Jahre als Keyboarderin bei dem Projekt Fortuna Ehrenfeld, dem sie bis heute freundschaftlich verbunden ist. Nebenbei arbeitet sie auch als Theater-Schauspielerin und -Komponistin, Gesangscoach und Tänzerin. Fast schon erstaunlich, dass bei diesem Arbeitspensum dann auch noch Zeit für eine parallel laufende Karriere als Songwriterin und Produzentin in eigener Sache bleibt.
Nach ihrem 2012er Solo-Debüt „Haus“ und dem 2022er Longplayer „Killing Time“ erscheint nun Jennys drittes Album „PLATZ“. Fast schon müßig zu erwähnen, dass sich Jenny Thiele auch bei ihren Solo-Arbeiten nicht auf einen bestimmten Stil (oder überhaupt irgendetwas) festlegen möchte. War „Haus“ noch eine experimentelle Art-Pop-Angelegenheit und „Killing Time“ Jennys Ausflug in die Welt des englischsprachigen Songwritings, so ist „PLATZ“ nun eine ziemlich konsequent ausgeführte E-Pop-Scheibe geworden. Wie kam es denn dazu?
„Ich hatte die Vision, ein elektronisches Album zu machen, weil ich elektronische Musik einfach liebe“, führt Jenny aus, „ich liebe dieses Hypnotische, was da drin steckt – in Synthies, Loops und Arpeggiators – und deswegen wollte ich das mit meiner Musik kombinieren. Ich bin aber nach wie vor auf einer Suche nach meinem Sound. Das ist eine Suche, die wahrscheinlich niemals aufhört und in der Frage mündet: Wie klingt Jenny Thiele eigentlich?“
Oder gibt es vielleicht mehrere Jenny Thieles? „Ja, es gibt viele Jennys“, räumt sie ein, „ich versuche, die immer so nah wie möglich beieinander zu halten, um das authentischste ‚Ich‘ zu sein, was ich sein kann. Aber natürlich bin ich in verschiedenen Rollen und verschiedenen Momenten immer so eine andere Nuance von mir selber. Das Album ‚PLATZ‘ ist durch den Sound und den Look, den wir da kreiert haben, schon noch ein Mal eine Abstraktion von mir selber. Diese ist dann ja nicht so, wie ich jetzt gerade vor dir sitze, sondern noch einmal ein bisschen ‚abgespaceter‘. Ich würde sagen, dass es diese Jenny jetzt für diese ‚PLATZ‘-Phase gibt und irgendwann wird es dann die nächste Jenny geben. Irgendwie gehört das aber alles zu mir. Ich finde es auch sehr spannend und ein bisschen schizophren, sich selber immer wieder als Kunstrolle neu zu erfinden.“
Das abenteuerliche musikalische Experimentieren scheint dabei ja wohl allen Versionen Jennys innezuwohnen. „Genau“, bestätigt sie, „das steckt ein bisschen auch in dem Song ‚Nehmt mich mit‘, der jetzt gerade herausgekommen ist. Da geht es um diese unbestimmte Sehnsucht, woanders oder wer anderes sein zu wollen. Das kristallisiert sich dann auch in den Songs raus. Mal ist das dann sehr intim und in meinem Wohnzimmer aufgenommen – oder aber es ist größer, ausproduzierter und elektronischer; wie jetzt auf ‚PLATZ‘.“
Sind wir denn nicht alle auf der Suche nach etwas anderem? „Das kann sein“, meint Jenny, „ich suche jedenfalls meinen Platz und das spiegelt sich dann in diesem neuen Sound wider. Da steckt eine Sehnsucht und ein Getrieben-Sein dahinter: ‚Irgendwann muss es doch mal ‚Klick‘ machen – und dann finde ich vielleicht ja meinen Platz.“
Sollte diese Frage denn überhaupt beantwortet werden? Geht es tatsächlich darum, den „PLATZ“ zu finden? Oder geht es darum, den Traum vom Finden des Platzes als Motivation vor Augen zu haben? „Genau – Träume sind ja der Antrieb und der Motor hinter allem“, überlegt Jenny, „was ist denn, wenn wir unseren Platz finden? Machen wir dann alle nur noch Meditationsmusik?“
Ist das dann auch der Grund, warum das Album dann „PLATZ“ heißt? „Das ist ein Grund – die Suche nach dem Platz – aber auch, dass ich jetzt, mit meinem zweiten Album, meinen Platz als Solo-Künstlerin nach meiner Zeit bei Fortuna Ehrenfeld einnehme und verfestige. Ich mach das Wort aber auch, weil es so lautmalerisches hat, weißt du? Es hat ja auch etwas von ‚zerplatzen‘ und ‚Peng‘, ‚Bumm‘, ‚Pamm‘ – etwas Comicstrip-mäßiges. Und das Wort Platz hat tatsächlich ja auch viele Bedeutungen. Das ist der Ort, an dem du bist – oder der Raum, den du hast.“
Auf dem Album gibt es einen Song namens „Frieden“, der mit seinem politischen Unterton ein bisschen aus den ansonsten eher persönlich gefärbten Kanon etwas herausragt. „Bei dem Song ging es mir darum, zum Ausdruck zu bringen, dass ich daran glaube, dass wenn jeder den Frieden in sich selbst findet – und nicht mehr nach der Anerkennung lechzt oder meint, sich beweisen zu müssen, indem er sich durch das Leben prügelt – dann die ganze Welt auch friedlicher wäre. Es geht um diesen Glauben daran, dass es von innen nach außen besser werden kann. Das klingt natürlich heutzutage ein bisschen abgelutscht – so in Sachen Self-Care und Wellness und so weiter – aber darum geht es mir nicht. Finde deinen Frieden und du wirst die Welt friedlicher machen. Es ist vielleicht auch noch wichtig zu sagen, dass das Lied aus dem Wunsch heraus entstanden ist, dass wir uns nicht mehr selber ausbeuten. Denn durch das kapitalistische System, das wir jeden Tag bedienen – durch die sozialen Medien und Überstunden und die ganzen Strapazen, die wir auf uns nehmen, um Geld zu verdienen oder irgend ein System zu füttern – beuten wir uns nun mal selber aus. Von diesem Wahnsinn Abstand zu nehmen und den Frieden in uns selbst zu finden und das dann auch auf andere auszustrahlen, ist mir wichtig.“
Für wen macht Jenny eigentlich ihre Musik? Für sich selbst? Für die Fans? Für die Kollegen? „Wenn ich ehrlich bin, ist es natürlich eine Mischung aus allem“, erklärt Jenny, „jedenfalls ist das bei mir so. Na klar freue ich mich darüber, wenn es den Leuten gefällt, wenn es resoniert und Anklang findet. Bei ‚Killing Time‘ habe ich oft Stimmen gehört, die gesagt haben: ‚Das war mein Album 2022‘. So etwas ist natürlich wohltuend. Das fühlt sich so an, als gäbe man der Gesellschaft mehr als nur den eigenen Ego-Trip. Aber natürlich ist es dann auch ein Ego-Trip und ich mache es auch für mich selber. Ich kann das nicht so klar trennen.“
Geht es Jenny darum, die Welt etwas schöner zu machen? „Das maße ich mir nicht an“, streitet sie ab, „dafür bin ich nicht angetreten. Wenn überhaupt, dann geht es mir darum, die Welt etwas berührbarer, spürbarer und fühlbarer zu machen. Ich will mich nahbar zeigen und mit den Leuten in Kontakt treten.“
Hat die Musik denn dann eine leitende Funktion? „Ja, ich lasse mich von der Musik leiten, aber auch – und das klingt ein bisschen spirituell – von der Energie, die im Raum ist. Wenn das alles auf ist, dann fängt es an zu fließen und dann lasse ich mich auch gerne leiten.“ Dafür muss man sich ja ziemlich stark fokussieren. Wie erreicht Jenny das? „Ich bin ein Fan von Minimalismus“, erklärt sie, „auch auf dem ‚PLATZ‘-Album. Ich habe zum Beispiel millhope immer wieder bremsen müssen. Ich habe ihm gesagt, dass wir weniger machen und es ausdünnen sollten. Es ist dann am Ende natürlich vom Klang her fülliger geworden, aber trotzdem hat es immer noch einen minimalistischen Ansatz.“
Was ist denn dabei die größte Herausforderung für Jenny Thiele? „Für mich ist die größte Herausforderung, den Prozess zu erlauben“, legt sie dar, „ich bin nämlich jemand, die sehr gerne schnell zu Ergebnissen kommt – und zu erlauben, dass Sachen Zeit brauchen, fällt mir schwer. Manchmal ist es ja auch gut, Sachen liegen zu lassen und dann nach ein paar Wochen wieder zurückzukehren. Aber das ist für mich eine echte Aufgabe. Das ist für mich dann auch der größte Lernprozess, den ich gerade erlebe – nämlich auf den Prozess zu vertrauen und zu erlauben, dass Sachen Zeit brauchen. Gerade in diesem Zeitalter der Singles zu sagen: ‚Ich mache aber trotzdem ein Album und lasse mir dafür anderthalb Jahre Zeit‘ – hat mich viel Kraft gekostet. Dabei konnte ich auf die Hilfe von Thomas millhope zählen, der das von Anfang an total supported hat. Ansonsten ging es darum, tief durchzuatmen, an die frische Luft zu gehen, Yoga zu machen und immer weiter zu machen – und manchmal meinen Freunden die Ohren vollzuheulen.“
Was hat denn dann an der ganzen Sache am meisten Spaß gemacht? „Hm“, zögert Jenny, „letzten Endes war es dann auch der Prozess – weil es total schön war. Ich habe die Songs alle bei mir vorbereitet, arrangiert und eingespielt – und dann die Pakete an Thomas gegeben, der sie ausgearbeitet hat. Das war dann keine klassische Produzentenrolle, sondern eine echte Zusammenarbeit. Dann plötzlich etwas zurückgespielt zu bekommen und deine Version vergrößert zu sehen, war schon toll. Als ich dann am 31.12. die fertigen Master auf dem Rechner hatte und die dann zu hören, war echt krass. Da sind mir dann 100.000 Steine vom Herzen gefallen.“
„PLATZ“ von Jenny Thiele erscheint auf Hey!blau Records.