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Wencke Wollny hat viel zu sagen. Kein Wunder also, dass „Aufgehoben“ – die dritte regelgerechte Studio-LP ihres wunderlich betitelten Kleinorchester-Projektes Karl die Große – mit satten 14 Tracks und einem eng bedruckten Text-Booklet daherkommt, in dem ihre wortreichen philosophisch/poetischen Gedankengänge nachzulesen sind. Denn Worte sind Wencke Wollny – die zurzeit von Leipzig an den Chiemsee umgezogen ist, ihre eigentliche Heimat aber auf der Walz sieht – mindestens genauso wichtig wie ihre unglaublich facettenreich und unberechenbar angereicherte, stilistisch ziemlich ungebundene und immer wieder überraschend arrangierte Musik.
Auch die Wahl ihrer Mitstreiter ist Wencke wichtig – und so tat sie sich für dieses Album mit einer Reihe unterschiedlicher Gleichgesinnter zusammen, um ihrem genre- und disziplinen-übergreifenden Ansatz gerecht werden zu können – in dem Fall sind das z.B. Francesco Wilking (Die Höchste Eisenbahn) und Flo Krannich als Co-Writer, Gerd Baumann und Sebastian Horn von Dreiviertelblut als Gastmusiker und -Poeten, Max Prosa als Duettpartner und Lukas „Bustla“ Roth als Produzent.
Fangen wir doch mal mit etwas Grundlegendem an und fragen Wencke Wollny nach ihrem Verhältnis zur Poesie. „Ich habe ein sehr enges Verhältnis zur Poesie“, antwortet Wencke nicht eben überraschend, „bei mir ist es schon so, dass ich viele Lieder schreibe, nachdem ich Gedichte gelesen oder Theaterstücke besucht habe. Auf dem Album sind auch viele Lieder, die bei Theaterproduktionen entstanden sind. Die zwei Stücke ‚Schwere Kindheit‘ und ‚Dreh Dich nicht um‘ sind etwa bei den ‚Räubern‘ entstanden. Das habe ich in Leipzig gemacht. Ich habe dort viel Schiller gelesen, mich darüber ausgetauscht und dann Lieder geschrieben, die in die Produktion mit eingebunden worden sind.“
Betrachtet Wencke die eigenen Texte – die also nicht auf literarischen Inspirationen basieren – auch als Gedichte? „Also ich betrachte meine eigenen Texte schon als poetisch – weil ich da lange dran sitze und die Wortwahl aussuche. Bei diesem Album war das nicht ausschlaggebend, aber grundsätzlich finde ich es schon toll, wenn man einen Zwei- oder Vierzeiler herausnehmen kann und die dann schon eine Aussage haben. Dieses Mal war ich aber mehr im Geschichtenerzählmodus. Es gibt aber schon Songs, wo ich den Text aus einer Gedichtzeile heraus weiterentwickelt habe.“
Nun ist das ja so, dass klassische Poesie im Zusammenhang mit deutschsprachiger Indie-Pop-Musik immer gleich den Ruch des Kitschigen zu spüren bekommt, während andererseits Knüppelreime, insbesondere im Zusammenhang mit der Rap-Musik, offensichtlich von den Fans goutiert werden. Wie sieht Wencke das denn? „Das ist zumindest eine interessante Frage“, meint Wencke, „Ich kann auf jeden Fall sagen, dass es mein Stil ist, so zu agieren. Wichtig ist es, genau die Mitte zwischen der Alltagssprache und der poetischen Sprache zu treffen. Ich habe ja zusammen mit Dota Kehr lange das Mascha Kaleko Material gespielt. Und da sind wir ja beide total begeistert davon, wie verdichtet und nah – aber auch nahbar – das ist. Ich kann aber eine Sache verstehen: Es gibt da Abschnitte, die klingen wie eine Mittelalter-Sprache – mit umgekehrter Wortstellung. Darüber stolpere ich dann auch beim Hören. Da versuche ich dann immer drauf zu achten.“
Geschieht das dann über Metaphern? „Oh ja, ich liebe Metaphern“, erklärt Wencke, „da gibt es zum Beispiel das Lied ‚Zielloses Blatt im Wind‘. Das hatte ich schon ganz lange nicht mehr, dass ich mich dann wirklich in so eine Bilderwelt hineinbegeben habe und auch wirklich lange geknobelt habe, dass ich da drin bleibe. Das ist deswegen so schön, weil man sich damit eine Bilderwelt erschafft, mit der sich viele Leute identifizieren können – und das ist ja das Kennzeichen von guter Poesie. Es machte dann so viel Spaß, sich vorzustellen, welche Aspekte ein Blatt im Wind alle durchmacht.“
In der Musik wird das durch kleine dystopische Elemente widergespiegelt – kleine Brüche und Dissonanzen, die den Flow aufbrechen und ebenfalls aufhorchen lassen. Ist das Absicht? „Ja“, lacht Wencke, „ich habe schon viel Vertrauen und habe keine Angst, nicht durch den Tag kommen zu können, aber es gibt eine Art von Überzeugung, dass uns eine Art von Dystopie bevorsteht. Dem gegenüber steht dann die Überlegung, ob es nicht etwas gibt, das wir besser machen könnten, um das zu vermeiden. Das spiegelt sich dann in der Musik wider. Wenn mir noch zehn Lieder im Leben blieben, dann wäre eines davon ‚A Day In A Life‘ von den Beatles (mit seinem dystopischen Schlussakkord). Es ist seit meiner Kindheit in mir drin, dass es auch Momente geben muss, in denen alles kaputt gehen darf.“
Gehört der Einsatz von Blasinstrumenten auch zu dieser Kategorie von musikalischen Elementen? „Also bei den letzten beiden Alben war es wie ausgeschlossen, dass ich Klarinette und Saxophon spiele – obwohl ich das bei den anderen Projekten ja mache. Aber dieses Mal habe ich alle Blasinstrumente, die ich zu Hause habe, zur Hand genommen – von Bassklarinette bis Querflöte – weil ich dabei so viel Luft und Atmen wie möglich einbauen wollte. Das sind Momente, die ich auch zu Hause sehr liebe, wenn ich Musik höre. Bei diesem Album sind es auch tatsächlich Chöre, die ich bevorzugt einsetze. Ich habe wahnsinnig Freude daran, mir Chöre auszudenken, die noch mal als zusätzliche Instrumente wirken – beispielsweise in dem Song ‚Ein Blick‘. Denn irgendwie ist meine Stimme dann gar nicht ich selbst, sondern ein Instrument, das ich versuche, irgendwie einzusetzen.“
Was bedeutet Musik als Konzept für Wencke? „Musik bedeutet für mich, dass es eine Möglichkeit gibt, sich zu treffen und auszutauschen und einen Raum zu schaffen, in dem man sich wohlfühlen kann. Für mich zu Hause ist Musik dann auch etwas, um Gefühle auszudrücken, sei es durch Tanzen, Singen oder sich wohlzufühlen. Tatsächlich ist Musik für mich eine Umarmung. Wenn es Musik schafft, über den Text hinaus eine Emotion zu transportieren, ist das auch schön. Auf der LP gibt es den Song ‚Hinlegen‘, dessen Text noch lange nicht fertig war, aber das Gefühl von ‚ich kann nicht mehr‘ und ‚Ich brauche eine Pause‘ sich schon alleine über die Musik vermittelte.“
Und was bedeutet „Erfolg“ für Wencke Wollny? „Ein Teilerfolg für mich ist, wenn ich es schaffe, mir treu zu bleiben und Gehör zu finden. Für mich ist es aber auch ein Erfolg, wenn Leute bei meinen Konzerten mitsingen. Ich habe jetzt zum Beispiel ganz oft das Kompliment bekommen, dass die Leute sehr ‚genährt‘ nach Hause gehen können, weil ihnen das Konzert so viel gegeben hat. So eine Rückmeldung und der Kontakt, der sich darüber ergibt, sind auf jeden Fall ein Erfolg für mich, weil ich so merke, dass die Intentionen, aus denen ich Musik mache, für mich aufgehen. Im kommerziellen Sinne ist es für mich erfreulich, wenn Leute zu meinen Konzerten kommen und meine Musik weitertragen und anderen davon erzählen. Ein Teil meines Erfolges als Musikerin ist aber auch der, dass ich mit so vielen tollen Leuten auf Tour sein kann.“
Was ist denn – unter dem Strich – die größte Herausforderung für die Musikerin Wencke Wollny? „Die größte Herausforderung ist tatsächlich die, auf mein Bauchgefühl zu hören und konsequent meinen Weg zu gehen – auch gegen kommerzielle Ratschläge. Und eine große Herausforderung ist die, das alles DIY ohne Label zu machen und mich dabei auch noch zu vermarkten. Am meisten Spaß macht mir dabei dann aber, zu singen, das Rätsel der zweiten Strophe zu lösen und mir eine Brigde auszudenken.“
„Aufgehoben“ von Karl die Große erscheint auf Backseat/Broken Silence.