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Ihrer patentierten Melange aus betont luftigen, fröhlichen Jangle-Indie-Pop-Melodien und von Melancholie und Selbstzweifeln durchzogenen Texten bleiben The Beths auf ihrem just veröffentlichten neuen Album „Straight Line Was A Lie“ treu, doch auf dem alles andere als einfachen Weg dorthin hat das neuseeländische Quartett mit seinen alten Vorsätzen gebrochen und vieles anders gemacht. Was eine Remington-Schreibmaschine, Los Angeles und Antidepressiva damit zu tun haben, verriet uns Frontfrau Liz Stokes beim Videochat mit Gaesteliste.de, bevor The Beths im Oktober bei Konzerten in Köln, Hamburg, Berlin und München auch endlich wieder live in Deutschland zu erleben sind.
Die Kollegen des Rolling Stone bezeichneten The Beths als „eine der großartigsten Indie-Rock-Bands ihrer Zeit“. Dass das nicht geflunkert ist, beweist die liebenswerte Band aus Auckland einmal mehr mit ihrem inzwischen vierten Album (dem ersten für ihr neues Label ANTI), mit dem sie von persönlichen Krisen zu neuen Stärken finden.
Entstanden sind dabei Songs mit bemerkenswerter Tiefe, die ohne Scheu vor Verletzlichkeit den Sweetspot zwischen Scharfsinn und Poesie treffen und am Ende die auf den ersten Blick ernüchternde Erkenntnis „Straight Line Was A Lie“ in etwas Positives übersetzt: The Beths sind vielleicht nicht auf dem einem geradlinigen Pfad unterwegs, aber sie sind unterwegs und unterstreichen mit diesen zehn wunderbaren neuen Songs, dass der eigene Weg am Ende immer noch der beste ist.
Doh zunächst ein kurzer Blick zurück: Liz Stokes lernte den Gitarristen von The Beths, Jonathan Pearce, der auch ihr Lebensgefährte ist, zu Highschool-Zeiten an Macleans College in Auckland kennen. Während ihres Jazzstudiums an der Universität Auckland schlossen sich die beiden mit Bassist Ben Sinclair und Drummer Tristan Deck zusammen und gründeten 2014 The Beths. Vor „Straight Line Was A Lie“ hat die Band bereits drei nicht minder fabelhafte Platten veröffentlicht – „Future Me Hates Me“ (2018), „Jump Rope Gazers“ (2020) und „Expert In A Dying Field“ (2022) -, die weltweit hymnische Kritiken einheimsten.
Doch selbst nach mehr als einem Jahrzehnt des wachsenden Erfolgs ist Stokes die ganze Sache immer noch nicht ganz geheuer. „Es ist gut zurückzuschauen, denn ich kann das alles immer noch nicht so recht glauben“, gesteht sie bei unserem Gespräch lachend. „Der Gedanke, dass dieses kleine, alberne Side Project, das ich mit meinen Freunden ins Leben gerufen habe, um endlich mal in einer Rock-Band spielen zu können, jetzt ein viertes Album veröffentlicht… Anfangs hätten wir noch nicht einmal gedacht, dass wir auch nur eine Platte veröffentlichen, das erschien uns als ein solches Mammutprojekt! Dieses erste Album zu machen, war dann auch ein sehr langsamer Prozess, und wir haben alle Songs unseres Debüts schon ein paar Jahre live gespielt, bevor wir sie aufgenommen haben. In dieser Zeit haben wir langsam, aber sicher entdeckt, wer wir sind und was wir machen wollen. Aber Hunderte Konzerte auf der ganzen Welt zu spielen – das hatte ich damals noch nicht einmal als Wunschvorstellung auf dem Radar!“
Dass The Beths nicht vom ersten Tag an einen klar umrissenen Karriereplan mit hochtrabenden Zielen verfolgt haben, hat dafür gesorgt, dass die Band über die Jahre organisch wachsen konnte, künstlerisch wie kommerziell. Passend zum Albumtitel „Straight Line Was A Lie“ geht es dem Quartett auf seinem neuen Werk allerdings nicht allein darum, alte Stärken schnurgerade weiterzuverfolgen. Inspiration fanden Stokes und Co. dieses Mal deshalb bei so unterschiedlichen Acts wie Drive-By Truckers, The Go-Go’s und Olivia Rodrigo.
„Wir haben dieses Mal eine Reihe Dinge gemacht, bei denen ich beim ersten, vielleicht sogar auch beim zweiten oder dritten Album noch gesagt hätte: ‚Nee, das ist nicht erlaubt!’“, erklärt Stokes. „Als wir angefangen haben, war ein wichtiger Teil unserer Identität, Spaß und Kreativität innerhalb eines selbst gesteckten Rahmens zu finden. Wir haben für uns selbst Regeln aufgestellt. Mit der ersten Platte haben wir uns in eine bestimmte Schublade gesteckt: Gitarre, Gitarre, Bass, Schlagzeug – check! Backing Vocals – check! Power-Pop-Tempo, schnell – check! Fröhliche, betont schlanke Songs und kein Jamming – check! Seitdem haben wir uns erlaubt, diesen Rahmen mit jeder Platte ein wenig zu erweitern.“
War der während der Pandemie entstandene Vorgänger „Expert In A Dying Field“ nicht zuletzt von dem Wunsch geprägt, endlich wieder live spielen zu können, und die Songs darauf ausgerichtet, dass sie auch live wirklich zünden, lag der Fokus dieses Mal viel stärker auf dem Songwriting und dem Ziel, dass Arrangements und Produktion die Gedanken und Gefühle der Lieder bestmöglich verkörpern.
Stokes selbst beschreibt die Entstehung des neuen Albums als Balanceakt: „Natürlich ergibt es keinen Sinn, immer wieder die gleiche Platte zu machen, gleichzeitig hassen wir unsere bisherigen Platten aber auch nicht und wir fühlen uns auch nicht dadurch eingeschränkt. Wir haben dieses Mal versucht, Wege zu finden, um weiterhin Spaß daran zu haben, als diese Gruppe zusammen zu spielen, und um die Dinge zu bewahren, die wir am gemeinsamen Musikmachen lieben, die Dinge, die es aufregend, fesselnd und unterhaltsam machen. Ich sage unterhaltsam, aber letztlich ist es ein ziemlich düsteres Album geworden. Aber zusammen zu spielen, macht uns immer noch viel Spaß, und das ist das Wichtigste!“
Wenn Stokes „Straight Line Was A Lie“ ein ziemlich düsteres Album nennt, dann tut sie das nicht allein deshalb, weil Selbstzerfleischung seit den frühesten Tagen der Band genauso zu The Beths gehört wie ohrwurmige Pop-Melodien. „Facial expression wooden / Wanted to cry but I couldn’t“, singt sie in „No Joy“, einem betont fröhlich klingenden Lied mit einem quietschbunten Video, das von der Unfähigkeit handelt, Freude zu empfinden – für Stokes sowohl das Symptom von Depressionen als auch ihre Reaktion auf die Antidepressiva, die ihr nur kurzzeitig aus ihrem emotionalen Tief heraushelfen konnten.
Das Lied beschreibt sie als „classic Beths“: „Es ist ja gewissermaßen immer schon unsere Vorgehensweise gewesen, dass wir uns durch alle möglichen Angstzustände und Stresssituationen durchgearbeitet haben und darüber traurige Songs geschrieben haben“, sagt sie. „Aber es gibt immer einen Unterschied zwischen den Dingen, über die ich schreiben möchte, und den Dingen, die ich spielen und die ich fühlen möchte. Deshalb sind die Songs, die ich schreibe und die Musik, die wir machen, nicht das Gleiche. Ich denke, die Musik ist mehr für den Körper, du möchtest sie fühlen können. Wenn ich einen Song wie ‚No Joy‘ über die Unfähigkeit, Freude zu empfinden, höre, dann geht es ja nicht darum, dass ich beim Hören auch nichts fühle.“ Sie muss lachen. „Trotzdem haben wir versucht, das Gefühl auch musikalisch abzubilden. Deshalb ist der Gitarrenriff sehr neurotisch und sehr mid-range-orientiert: Dass es keine großen Höhen und Tiefen gibt, verkörpert den Gedanken hinter dem Song.“
Der Kontrast zwischen bisweilen überschäumend fröhlichen Melodien und düsteren Gedanken war auch schon in der Vergangenheit ein Markenzeichen der Beths, trotzdem darf man bei den betont introspektiven und emotionalen Texten der neuen Lieder das Gefühl haben, dass Stokes noch nie so tief in sich selbst hineingehorcht hat. Das gilt nicht nur für die Songs, die sich Stokes‘ körperliche und mentale Gesundheit in den Fokus rücken, sondern ganz besonders auch für die herzergreifenden Solo-Ballade „Mother, Pray For Me“, in der sie das komplizierte Verhältnis zu ihrer streng katholischen, aus Indonesien stammenden Mutter beschreibt. Die Gefühle, die Stokes dort ausdrückt, sind nicht neu für sie, aber erst jetzt hatte sie das Selbstvertrauen, sie in einem Song zu thematisieren.
„Ich habe das Gefühl, dass diese Art Beziehungen gewissermaßen heilig oder ein Tabu sind“, sagt sie. „Sie sind sehr schwierig in Worte zu fassen. Nicht, weil ich sie für weniger wichtig halte als Romanzen, aber sie sind einfach so persönlich. Das ist in der Tat ein Lied, das ich zuvor nicht hätte schreiben können, und auch jetzt ist es mir nur so gerade geglückt. Das Ganze war ein sehr emotionaler Prozess. Ich denke, das ist das Resultat dieses für mich nicht zuletzt auch gesundheitlich harten Jahres, in dem ich viel in mich selbst hineingehört habe. Den Song zu schreiben, war Teil des Verarbeitungsprozesses, was die Beziehung zu meiner Mutter und das Thema Glauben angeht.“
Tatsächlich sticht „Mother, Pray For Me“ aber nicht nur textlich heraus. Die Nummer singt und spielt Stokes größtenteils solo – eine Premiere für The Beths. Doch war es eigentlich von vornherein klar, dass das Lied auch musikalisch ganz auf sie ausgerichtet sein würde? „Nein“, antwortet sie. „Wir haben zuerst auch ein Band-Arrangement ausprobiert, das auch wirklich sehr schön ist, denn die Band spielt super-gefühlvoll, aber dann haben wir einigen Freundinnen und Freunden beide Versionen vorgespielt, und alle schossen sich auf die ‚Solo‘-Version ein. Das hat mir dann tatsächlich etwas Angst gemacht, weil es um die Frage geht: ‚Sind wir noch eine Band, wenn nur Liz Gitarre spielt?‘ Gleichzeitig ist mir natürlich bewusst, dass unzählige Bands das schon seit Beginn der Zeitrechnung machen. Eine Solo-Performance auf einer Band-Platte ist nun wirklich nichts Neues, und alle meine Lieblingsacts haben ein paar solcher Aufnahmen. Trotzdem war es mir wichtig, dass mit der Band zu besprechen, um sicher zu sein, dass wir alle einverstanden sind, aber alle waren sehr verständnisvoll, weil sie sich des Gewichts des Songs bewusst sind.“
Weil sie sich dieses Mal die Songs nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln konnte, brachte sie jeden Tag mit Hilfe einer Remington-Schreibmaschine, die ihr Bandkollege Sinclair zum Geburtstag geschenkt hatte, seitenweise Gedanken zu Papier, um später bei einem verlängerten Aufenthalt in Los Angeles daraus die Lieder für „Straight Line Was A Lie“ zu formen. „In diesem Prozess habe ich Teile meines Lebens in den Blick genommen, denen ich für gewöhnlich keine Beachtung schenke“, erklärt sie. „Das wurde zu einem wirklich wichtigen Teil des Albums und legte den Grundstein für Songs, die sich ziemlich persönlich anfühlten, weil ich sie nicht einfach geschrieben habe, sondern offensichtlich wirklich etwas verarbeiten und rauslassen musste. Ich wollte, dass jedes Lied eine Aussage hat und dass klar ist, worum es geht.“
Der Aufenthalt in Los Angeles, der sich an den Auftritt der Band beim Coachella-Festival 2023 anschloss, war Stokes Versuch, die Schreibblockade zu überwinden, mit der sie daheim in Neuseeland zu kämpfen hatte. „Jonathan und ich sagten uns einfach: Lass uns einfach noch ein bisschen an der Westküste bleiben! Wir haben inzwischen viele Freundinnen und Freunde dort, und das Wetter ist auch prima! Das Wichtigste für mich war allerdings, in einer Großstadt zu sein. Weder Jonathan noch ich haben je in Übersee gelebt, auch wenn wir inzwischen überall auf Tournee gewesen sind. Wir lieben Auckland und seine Musikszene und wir würden nicht wegziehen wollen. L.A. ist ein guter Ort zum Songschreiben, weil dort gefühlt alle sehr geschäftig an irgendetwas Kreativem arbeiten. Außerdem habe ich so die Chance den ganzen Tag zu schreiben, und abends hatten wir die Gelegenheit, einen Film oder eine Comedy-Show zu sehen oder ein Konzert einer Band zu besuchen, die nie und nimmer nach Neuseeland kommen würde. Es war einfach wichtig, aus der normalen Routine in Auckland auszubrechen – so sehr wir sie auch lieben.“
„Straight Line Was A Lie“ von The Beths erscheint bei ANTI/Indigo.