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„Er hat es versucht!“
Vor vielen Jahren nannte Bernd Begemann mal ein Lied „Es wird noch ein sehr schöner Tag werden“. Passend dazu steht praktisch schon am Nachmittag vor dem Konzert fest, dass dieses neuerliche Gastspiel des elektrischen Liedermachers in Essen ein gutes werden würde. Denn während er zuletzt mehr als einmal erst nach dem Publikum (!) im Grend eingetroffen war und die Hektik der Anfahrt sich dann auch auf die Auftritte niederschlug, steht dieses Mal Begemanns Tourmobil schon am Nachmittag auf dem Parkplatz des Kulturzentrums im Essener Osten. Viel Zeit also, sich eine gute Taktik für das abendliche Konzert auszudenken, und tatsächlich darf man vom ersten Ton an das Gefühl haben, dass sich der Hamburger Musiker an diesem Abend einiges vorgenommen hat.
Anstatt sich wie sonst üblich erst einmal mit einer Crooner-Nummer samt Backing aus dem iPod warmzusingen, greift der elektrische Liedermacher aus Hamburg im Grend gleich zu seiner feuerroten Stromgitarre und geht mit der Power-Pop-Hymne „Unsere Liebe ist ein Aufstand“ gleich in die Vollen. Auch sonst ist auffällig, wie viele der in den letzten 30 Jahren totgespielten Publikumsfavoriten vom Schlage „Oh, St. Pauli“ oder „Judith, mach deinen Abschluss“ dieses Mal mit Abwesenheit glänzen. Nicht, dass die Songauswahl obskur wäre, aber manchmal hat man das Gefühl, dass Begemann an diesem Abend lieber seine besten als seine bekanntesten Lieder spielen möchte: „Ich habe Liebeslieder, Autofahrlieder und Heimatlieder. Ich habe politischen Dissens und ich habe Sittenbilder – und oft kommt das alles zusammen“, verrät er – und das stimmt einfach.
Auch wenn seine berühmten Einzeiler wie „Man kann Künstler zu nichts zwingen, außer mit einer echt hohen Festgage“ oder „Kunst ist, wenn man wildfremde Menschen in seinen Scheiß reinzieht“ natürlich nicht fehlen dürfen: Oft gibt sich Begemann an diesem Freitag zwischen den Liedern eher nachdenklich als klamaukig, und deshalb hat das Konzert einen etwas anderen Vibe als viele der unzähligen früheren Gastspiele an gleicher Stelle. Schade nur, dass ein einzelner übermotivierter (angetrunkener?) Gast Begemann immer genau dann mit lauten „Spiel!“- oder „Weiter, weiter“-Zwischenrufen unterbricht, als der gerade dazu ansetzt, Geschichten, zum Beispiel von seinen Eltern, zu erzählen, die man so vielleicht noch nicht kannte. Leicht entnervt verrät der Musiker dann aber immerhin noch, was einmal auf seinem Grabstein stehen soll: „Er hat es versucht!“.
Allerdings hat Begemann an diesem Abend fraglos viel mehr gemacht als das, denn immerhin hatte er kurz vor Ende sogar eine furiose Version von „Teenage Kicks“ parat hat und mit dem Publikumswunsch „Wo wollen die Mädchen hin“ noch eine echte Rarität aus dem Hut zaubert. So scheitert sein Versuch, den Saal mit Karaoke-Coverversionen von „Ain’t No Mountain High Enough“ oder „Mister Sandman“ leerzuspielen, ziemlich kläglich. Deshalb ist es nach Mitternacht, als der Konzertabend nach drei Stunden mit dem fabelhaften „Wir werden tanzen“ besinnlich – und versöhnlich – ausklingt.