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Der Titel? Macht Sinn. Denn nicht nur die Platte, sondern die ganze Band ist neu. Genauer gesagt erstmals eine Band. Nagelneu. Tigeryouth sind jetzt Riccarda Belitzki (Schlagzeug), Simon Bäumer (Bass) und natürlich weiterhin Tilman Gottfried Zick (Gesang, Gitarre). Zusammen machen sie neue Musik, tolle Musik, Tigeryouth-Musik. Klugen Indiepop mit richtig viel schroffer Schönheit und feiner Abwechslung. Da gibt es Druckvolles und eher Anderes, da gibt es ruhige Momente, nachdenkliche und immer sehr, sehr authentische. Persönlich, ehrlich, direkt. Sehr spannend, sehr, sehr gut. Eine Singer-Songwriter-Band? Ja. Im Tigeryouth-Style.
Was nervt schon ein wenig, wenn man eine Platte als Band und nicht alleine macht?
Tilman: Das Einzige, was alleine einfacher war, war die Terminfindung. Alles andere ist geiler als Band und mir fällt nichts ein, was mich genervt hat. Als Band im Studio zu sein, hat mir viel mehr Spaß gemacht. Und die Songs, die wir mitgebracht haben, waren schon durch das Band-Korrektiv gegangen und wir waren viel selbstbewusster damit, als ich das bei den Aufnahmen der letzten Alben war. Die Songs dann nochmal durch die Ohren von Guido, Purgen und Phil zu jagen und ihre Ideen mit einzuarbeiten war wunderschön für mich. Zu wissen, dass wir schon mal sechs Menschen sind, die hinter diesem Album stehen, bevor es irgendwer zu hören gekriegt hat, hat mir ganz viel Sicherheit gegeben.
Was musstest du, Tilman, in der neuen Band-Konstellation lernen bzw. bewusst umstellen/ändern? Oder passierte das alles ganz automatisch und natürlich?
Tilman: Ich musste erstmal auf Klick spielen lernen. Bei vielen alten Songs hatte ich üble Temposchwankungen „eingebaut“, unbewusst. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das richtig hingekriegt hab und es nicht mehr rumpelig klang. Riccarda hatte, glaube ich, gut zu tun, mich live einigermaßen einzufangen und meine Schwankungen mitzugehen. Und ich lerne neu kommunizieren. Und Kontrolle abgeben. Wir haben die Band-Aufgaben nach Kapas und Kompetenzen aufgeteilt. Mir passiert es trotzdem noch, dass ich z.B. Entscheidungen ohne Rücksprache treffe. Oder auf unseren Social-Media-Kanälen Persönliches teile. Über zehn Jahre alles allein entscheiden und organisieren geht schwer aus dem System raus, aber ich werde langsam besser, hoffe ich.
Und wie fühlt es sich für Riccarda und Simon an? War es manchmal etwas schwierig oder seltsam eure Meinung zu sagen und sich gegenseitig auch zu kritisieren oder wart ihr drei direkt ein Team? Stelle mir immer die Situation vor, wenn man zu anderen Menschen in eine Wohnung zieht und es dauert, bis es auch die eigene Wohnung wird …
Riccarda: Ganz am Anfang war es ja nur geplant, dass wir bei den Jubiläums-Shows mitspielen, da habe ich mich dann auch eher zurückgehalten mit Kritik und so, das fühlte sich da eher falsch an. Aber irgendwie hat sich das dann ziemlich natürlich entwickelt, dass wir eine feste Band wurden. Und ab dem Punkt war das für mich dann auch wirklich alles „logisch“ miteinander und fühlte und fühlt sich für mich gar nicht so an, zu einem Menschen in die Wohnung zu ziehen. Irgendwie ist mit der Band aus Tigeryouth direkt was anderes, neues geworden. Ehrlicherweise kommunizieren wir so respektvoll miteinander, dass wir eher unsere Bedürfnisse kommunizieren, als dass wir uns „kritisieren“.
Simon: Als klar war, dass Tigeryouth als Band fortgeführt wird, haben wir schnell angefangen, gemeinsam an den Songs zu arbeiten. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass Tilman unsere Meinung und unser Input wichtig ist. Tilman und ich kennen uns schon sehr lange und auf deinen Vergleich bezogen ist es ja auch einfacher, zu Menschen in die Wohnung zu ziehen, mit denen man eh schon befreundet ist, als zu völlig Fremden.
Was hat euch inspiriert, beeinflusst, warum klingt ihr so, wie ihr gerade klingt?
Riccarda: Hm, also bei der Musik, die Tilman mitbringt oder mitgebracht hat, habe ich meistens direkt Grooves im Ohr. Das kommt dann einfach so. inspiriert hat mich früher hauptsächlich die sogenannte Hamburger Schule und ehrlicherweise weiß ich aber nicht genau, wieso ich wie und was spiele. Ist wohl passiv von anderen Musiker*innen abgeguckt. Und wir drei spielen eigentlich meistens einfach drauf los, ohne viel darüber zu reden und passen uns dann aneinander an.
Simon: Ich glaube, dass wir so klingen wie wir klingen, ist unseren unterschiedlichen Musikgeschmäckern geschuldet, die am Ende aber dann doch immer irgendwie im Punk (im weitesten Sinne) zusammenkommen.
Tilman: Das glaube ich auch. Ich höre sehr viel Musik und das fließt bestimmt mit in die Songs. Meine größte Inspiration bei Texten war immer Rio Reiser und musikalisch viel im Emo/Punk. Ganz groß für mich war auch Coheed and Cambria, vor allem, was Gesangsmelodien angeht. Auch wenn ich nie so singen können werde wie Claudio Sanchez. Irgendwie hatte ich für die Platte jetzt immer “Monopoly” von Klaus Lage als Inspiration im Kopf, ich weiß aber nicht, ob das hörbar ist.
Was klingt denn für euch am besten? Gibt es Momente auf der Platte, die besonders klingen oder sind, die ihr noch etwas mehr feiert als den Rest?
Riccarda: Ich finde das besonders krass, was Guido da mit seiner Gitarre gemacht hat.
Simon: Ich bin mit der Platte durchgehend zufrieden. Natürlich gibt es Momente auf dem Album, die für mich herausstechen, da das aber absolut subjektiv ist, fällt es mir schwer da konkrete Beispiele zu nennen. Generell finde ich, aber auch dass Guidos Gitarren-Arbeit vielen Songs den letzten Schliff gegeben hat.
Tilman: Mein Lieblingsmoment auf dem Album ist der Song mit jule zusammen. jule ist auch das einzige Feature und ich bin einfach sehr glücklich darüber, dass wir uns kennen und jule bei „Disso Disko“ mitsingt. So hat dann auch Kay Petersen, der die letzten beiden Tigeryouth Alben aufgenommen hat, doch noch seine Finger mit im Spiel, weil jule bei ihm zum Aufnehmen war. Für mich am emotionalsten ist Winzige Schritte, bei dem ich das Gefühl habe, dass der ein für mich sehr großes Kapitel abschließt.
Fällt es euch leichter Texte zu schreiben oder Musik zu komponieren? Und wie kommen Text und Musik dann zusammen – immer nach dem gleichen Muster oder mal so und mal so?
Riccarda: Also ich persönlich kann eher, wenn überhaupt, Texte schreiben, aber in letzter Zeit mache ich das eher weniger. Tilman ist hier immer noch unser kreatives Brain und bringt uns Rohversionen mit, die wir dann zusammen schleifen
Simon: Tilman ist ein sehr guter, aber auch sehr (selbst-)kritischer Texter, ich hätte nicht das Selbstbewusstsein ihm einen von mir geschriebenen Text vorzulegen. Ich fühle mich deutlich wohler damit, gemeinsam mit den anderen am musikalischen Teil zu arbeiten.
Tilman: Sad eigentlich! Ich hoffe, ich wäre mit dir weniger streng als mit mir selbst. Bei mir fliegt viel Text rum, ich glaube, dann ist bei mir erst der Text da. Aber ohne Gitarre, die die Worte auch zu einer Melodie formt, ist das kein Song. Wenn ich mich dann hinsetze, um zu schreiben, muss ich erst etwas auf der Gitarre finden, das mir Bock macht. Ich schreibe aber auch sehr viel, weil ich Übung brauche. Verhältnismäßig kommt dabei selten ein echter Song bei rum. Mir reicht aber auch schon ein störendes Wort, um einen Song komplett zu verwerfen. Und ob das ein Tigeryouth Song wird, merken wir auch erst, wenn wir zusammen im Proberaum spielen. Wenn’s da rumpelt, ist es meistens kein Song, der am Ende übrigbleibt.
Seid ihr dann eher Bastler und Nerds und jede Note und jedes Wort muss am Ende perfekt sein oder darf es auch mal ein bisschen … eben unperfekt sein?
Riccarda: Wir gehen zusammen mit dem Flow und planen eher weniger. Muss sich halt gut zusammen anfühlen, würde ich sagen, oder?
Simon: Bastler vielleicht, Nerds eher nicht, dafür fehlt uns wohl die musikalische Grundbildung.
Tilman: Ja, nerdig kann ich dabei nicht werden. Obwohl ich extra einen Musiktheorie-Kurs gemacht habe, der so vorbereitend für ein Musikstudium war. Aber das fließt nur unbewusst ein. Ich hab’ auch gar keinen Bock, Songs analytisch mit Musiktheorie anzugehen. Am Ende muss sich der Song gut anfühlen. Das geht nur für mich, wenn mich im Text nichts stört. Ich stell’ mir gerade vor, dass das jemand liest, der unsere Texte scheiße findet und ich laber als wäre ich irgendein Dichter. Das ist alles sehr subjektiv. Aber ich hasse es zum Beispiel, wenn starke Wörter, die herausstechen, wiederholt werden. Oder in einem anderen Song nochmal auftauchen. Mit Texten bin ich eigen und mit mir sehr streng.
Wie lief das Crowdfunding und was ist das, was ihr anderen Bands empfehlen würdet?
Riccarda: Gut! Es ist krass, wie viel Unterstützung wir da bekommen haben, da bin ich / sind wir super dankbar drüber
Simon: Das lief / läuft super, vielen Dank nochmal an alle die uns unterstützen. Klar ist auch, dass das ohne die jahrelange Arbeit, die Tilman vorher allein in Tigeryouth gesteckt hat, nicht möglich gewesen wäre.
Tilman: Ich bin auch sehr dankbar darüber, wie das läuft. Ich fürchte, es ist gerade ein bisschen verwirrend geworden, weil wir das für den Ticket-VVK weiterlaufen lassen. Ich freue mich gerade vor allem, wenn ich sehe, wer uns da unterstützt und ganz viele Namen, die mich, Tigeryouth und jetzt auch uns schon lange begleiten. Das macht mich sehr glücklich.
Ich glaube, wenn die Aufgaben gut verteilt sind und alle Kapazitäten dafür haben, ist ein Crowdfunding eine gute Idee. Und wenn das klappt, ist das ein krasses Gefühl.
Wie war’s denn mit Guido und Purgen von den Donots im Studio und wie kam es dazu?
Riccarda: Nette, sehr kreative Menschen. Und wie es dazu kam: Können euch Simon und Tilman mehr drüber erzählen. Die beiden kommen aus Ibbenbüren und kennen die beiden schon echt lange
Simon: Ich kannte sie eigentlich auch vorher nicht so richtig. Die Arbeit mit beiden – und auch mit Phil, der das ganze aufgenommen, gemischt und gemastert hat – war sehr angenehm, alle haben gute Ideen zu den Songs beigesteuert und ich hatte das Gefühl, dass auch tatsächlich alle Bock hatten, dass dabei was Gutes rauskommt.
Tilman: Ich bin vor ein paar Jahren zurück nach Ibbenbüren gezogen und hatte wenig sozialen Anschluss am Anfang. Da hat Guido mich ein bisschen mitgenommen in seinen Kreis und dann haben wir uns öfter getroffen. Dabei ist die Idee entstanden, glaube ich. Dass wir mit Guido, Purgen und Phil diese erste Studio-Erfahrung als Band gemacht haben, war richtig gut. Wir sind als Band schon noch unerfahren, da waren erfahrene Menschen wichtig, um uns bei der Soundfindung zu helfen. Und einige der Songs sind dann im Studio noch durch ihre Ideen viel besser geworden. „Trinkgeld“ wollten wir z.B.: gar nicht aufnehmen, bis die drei darauf bestanden haben.
Wie geht’s mit euch jetzt weiter? Was sind eure Pläne, Hoffnungen und Wünsche für 2025 und 2026?
Riccarda: Gesund werden und bleiben ist wohl mein Hauptziel und natürlich ein paar mehr Konzerte spielen. Wir sind im November wieder im Studio, da kommt also noch was von uns. Und ich hoffe, dass wir weiterhin so tolle Unterstützung bekommen und dass es irgendwie mit uns allen so gut klappt, wie davor und wir tolle Konzerte mit tollen Menschen spielen können. Und auf der politischen Ebene: Dass Rechts nicht gewinnt.
Tilman: Same eigentlich. Ich wünsche mir vor allem mehr Konzerte. Daran arbeiten wir vorsichtig. Ich bin aber hoffnungsvoll, was das angeht. Wir sind alle aktiv und mittlerweile in Die Linke. Wir wollen aufrütteln und ich hoffe, durch unsere Musik und das, was wir nach außen kommunizieren, können wir mehr Menschen dazu bewegen, aktiv zu werden.
Wie macht ihr das eigentlich, wenn ihr die alten Songs live spielen wollt?
Riccarda: Wir spielen sie!
Simon: Unsere Arbeitsweise unterscheidet sich da nicht groß von der Arbeit an neuen Songs, außer dass natürlich die ursprüngliche Version als Grundgerüst steht, an dem wir arbeiten, bis wir uns alle damit wohlfühlen.
Tilman: Ich hab’ noch eine lange Wunschliste mit Songs, die dringend eine Bandversion brauchen. Für mich fühlen sich die Songs, die wir schon live spielen, jetzt erst fertig an. Ich hab’ richtig Bock, die auch mal aufzunehmen in den fertigen Versionen. Einige haben sich auch krass verändert. „Eine Nacht Lang“, so ein balladiger Song von der letzten Platte, ist jetzt ein Punksong, „Standpauke vom Wirt“, ein ganz alter Song, hat nochmal einen neuen Refrain bekommen und so weiter. Ich liebe das sehr!
„Alles Neu“ von Tigeryouth erscheint auf Zeitstrafe.