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Als die aus Texas stammende, in Georgia aufgewachsene und nun in Nashville lebende Songwriterin Lera Lynn über ihre Zusammenarbeit mit T-Bone Burnett an der Musik der Fernsehserie „True Detective“ (in der sie selbst später mitspielte) jenseits der üblichen Songwriter-Zirkel zu Berühmtheit gelangte, schien ihr Weg als Americana-Songwriterin vorgezeichnet – denn damals hatte sie bereits zwei Alben mit entsprechend formatgerechtem Material veröffentlicht. Irgendwie verlief ihre Karriere aber nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Obwohl sie 2018 mit dem Duett-Album „Plays Well With Others“ noch einmal zu dem Genre zurückkam, war die Musik ihrer Alben „Resistor“, „On My Own“ und „Something More Than Love“ wohl zu eigenständig und eklektisch angelegt, um die Genre-Freunde und den Geschmack des Massenpublikums zu erreichen. Wenn nun – nach einer dreijährigen Pause – Leras siebtes Studio-Album „Comic Book Cowboy“ erscheint und dabei im besten Sinne klingt wie sonst nichts auf dieser Welt und mit einer Unzahl wagemutig/genialer musikalischer Ideen begeistert, dann hat das vermutlich auch damit zu tun, dass Lera heutzutage auf nichts und niemanden mehr Rücksicht nimmt oder nehmen will und einfach ihr Ding durchzieht, oder?
„Also für den Kontext könnte es wichtig sein zu wissen, dass ich die Musik für ein paar Jahre hinter mir gelassen hatte“, berichtet Lera, „es war eine komplizierte Situation – aber ich habe mich seither mit vielen Dingen versöhnt – bis hin zu dem Punkt, dass ich dann wieder eine neue Scheibe aufnehmen wollte. Für diese Scheibe hatte ich mir vorgenommen, alles zu vergessen, was mir ansonsten in Bezug auf das Business im Kopf herumschwirrt. Also zum Beispiel Fragen wie die, ob die neuen Songs für das Radio geeignet sein könnten oder ob uns diese Songs helfen könnten, Festival-Slots zu buchen oder ob diese Songs Erfolgschancen auf Streaming-Services versprächen – all diese Sachen. Ich würde ja gerne sagen, dass ich früher schon nicht auf so etwas geachtet hätte, aber ich habe das schon getan. Man versucht immer, solche Stimmen aus der Unterhaltung zu nehmen, wenn man Dinge kreiert – aber die Realität ist nun mal, dass man ja sowieso den Erfolg seiner Songs überlebt und es schwer ist, diese Aspekte auszublenden.“
Offensichtlich hat sich die neu gewonnene kreative Freiheit musikalisch immens auf das neue Album ausgewirkt. Lera bestätigt das, indem sie sagt: „Ich denke, dass die Idee, die Dinge laufen zu lassen und die vorgefasste Meinung darüber, was ich zu tun hätte, auszublenden, mir ermöglicht hat, mich wirklich frei zu fühlen und mich nicht an irgendwelche Stile oder Genres zu halten. Auf vielfältige Weise fühlte ich mich befreit, indem ich mich von der Idee des Erfolges löste.“
Nun gut – aber woran richteten Lera und ihr Partner Todd Lombardo dann die musikalische Ausgestaltung aus? Gab es da eine Vision oder ein Ziel? „Nein“, meint Lera, „ich denke einfach, dass wir bei der Produktion darauf achteten, dass sie dem Song und dem Gefühl, das wir zum Ausdruck bringen wollten, gerecht wurden. Das ist ja das, was jedermann über die Produktion sagt, richtig? Aber ich denke, dass, wenn man einmal entschieden hat, dass man sich an kein Format halten muss, man auch eher gegensätzliche Entscheidungen in der Produktion treffen kann. Und auch die Tatsache, dass ich jetzt so viel Leben gelebt habe – und Todd ebenso – und die Erfahrungen, die wir beim Aufnehmen vieler Alben gemacht haben, haben uns selbstbewusst gemacht, klangliche und lyrische Risiken einzugehen und diese zu übernehmen.“
Gibt es etwas, was Lera und Todd musikalisch inspirierte – oder inspirieren sie sich schlicht gegenseitig? „Ja“, stimmt Lera zu, „ich glaube, wir inspirieren uns wirklich selbst. Ganz selten einmal, wenn wir nach einer Richtung für die Produktion suchen, suchen wir uns einen Track raus und suchen nach bestimmten Sounds. Aber weil Todd und ich nun schon so lange zusammenarbeiten und zudem verheiratet sind, haben wir dieses tiefe gegenseitige Verständnis mit einem direkten Zugriff auf diese kreative Ebene. Wenn wir unsere Einflüsse an den Tisch bringen, entsteht etwas, was einzigartig ist.“
Leras letztes Album „On My Own“ hieß nicht nur so – sondern hier hatte sie fast alles selber gemacht. Wie lief die Produktion denn dieses Mal ab? „Wir haben ein paar Musiker eingeladen, uns zu unterstützen. Der Drummer Dom Billet spielt auch in meiner Live-Band – und in der Band von Andrew Combs, mit dem ich auch den Song ‚Both Sides‘ geschrieben habe. ‚Same As Hopeless‘ und ‚Digital You‘ habe ich mit Ethan Ballinger geschrieben. Ian Fitchuk – ein Produzent und genialer Multiinstrumentalist – spielt auch auf einigen Songs mit.“
Die Texte des neuen Albums fallen durch griffige Bilder und Aphorismen auf. Betrachtet sich Lera Lynn eigentlich als Poetin? „Ja, das würde ich schon sagen. Ich erinnere mich daran, als ich einmal Rodney Crowell bei einer Show von Sheryl Crow traf und er mir sagte: ‚Lera, ich habe deine Scheiben und ich muss sagen, dass du eine Poetin bist‘. Ich bin also eine Poetin, weil Rodney Crowell das gesagt hat. Denn wenn sich jemand mit Poesie auskennt, dann ist das ja wohl er. Ich habe mich schon in Worte verliebt, als ich jung war. Ich bin mit Bildern und Worten aufgewachsen, habe versucht, diese Rahmen zu formen. Das war infektiös und wie eine Sucht für mich. Das war mir immer schon das Liebste. Nun gut – zu Singen ist eigentlich mein Allerliebstes – aber das kommt gleich danach. “
Geht es darum, über die poetischen Formulierungen zu ungewöhnlichen Bildern oder Metaphern zu kommen – wie im Beispiel in dem Song „Beige“, in dem ein „Destroyer“ auftaucht? „Ich denke nicht, dass ich nach so etwas suche“, überlegt Lera, „der Text zu diesem Song ist mir eingefallen, als ich im Auto im Verkehr festsaß und nach etwas im Radio suchte, das unterhaltsam sein könnte – und nichts fand. Da dachte ich mir: Wo ist denn die wirklich inspirierende Kunst in den Mainstream-Medien hin? Für mich klingt das alles ‚beige‘. Es gibt wohl Ausnahmen – aber vieles klingt einfach fade – ‚beige‘ eben. Vieles ist gleich. Ich werde lieber emotional zerstört, wenn ich Musik höre – deswegen die Zeile ‚Destroyer – come save me‘.“
Nun ja – Poesie macht die Welt ja auch irgendwie schöner als Alltagssprache. „Das ist die Verantwortung eines jeden Künstlers“, meint Lera, „das Verständnis für die Kunst zu vertiefen und die Welt schöner zu machen. Das bedeutet manchmal aber auch, das Hässliche und Traurige als Teil des Lebens zu zeigen. Das ist mein Problem mit der populären Mainstream-Kunst. Du hast da also diese Verantwortung, an die ich glaube: Das Beste dessen, was wir fähig sind, in die Welt zu bringen. Ich finde nicht, dass es okay ist, die Welt mit schlechter Musik und schlechten Texten zu verschmutzen, nur um ein paar Dollars oder Euros zu erwirtschaften.“
Muss die Musik dabei größer als das Leben erscheinen? „Nein – ich denke, das ist ein Fehler. Musik sollte einfach das Leben akkurat wiedergeben. Ich denke, man sollte die Realität nicht aufblasen. Die Menschen wollen die Realität. Die Menschen wollen etwas, auf das sie sich beziehen können, und das ist, was Musik gut macht. Und das bringt die Leute dazu, sich Musik anzuhören.
Lera Lynn nennt ihre anstehende Konzertreise mit Band „Ruin Me Tour“ – spielt das darauf an, dass das Tourwesen ziemlich ruinös sein kann? „Das stimmt wohl – denn vermutlich wird mich diese Tour ruinieren. Das ist aber nicht die Inspiration dafür. Diese kommt von dem Song ‚Beige‘. Wenn ich zu einer Live-Show gehe, dann möchte ich diese verlassen mit dem Gefühl, emotional zerstört worden zu sein. Das ist das größte Ziel, das ich mit meiner Show dann erreichen will: Das Publikum emotional zu berühren.“
„Comic Book Cowboy“ von Lera Lynn erscheint auf Ruby Range Records.