Platte der Woche KW 38/2025
Sommer 2024. Ein angenehm temperierter Abend im Amphitheater von Peccioli. Über dem pittoresken Örtchen geht allmählich die Sonne unter und taucht die toskanischen Hügel in ein sanft-oranges Licht. Auf der Bühne werden The Divine Comedy erwartet, und Mastermind Neil Hannon hat sogar ein Streichquartett mitgebracht. Es wird ein magisches Konzert, eine Gänsehaut löst die nächste ab, die Songs übertreffen sich gegenseitig. Was hat der Mann für einen Backkatalog! Nun haben Divine Comedy in den ehrwürdigen Abbey Road Studios neue Songs aufgenommen. Ein Orchester-Album sollte „Rainy Sunday Afternoon“ werden. Doch keine Bange: Kein Bombast mit Pauken und Trompeten, sondern gewohnt austarierter Kammerpop mit abwechslungsreichen Arrangements und einem textlich recht düsteren Grundton, den Hannon mit Humor und einer Prise Sarkasmus kontrastiert.
Der Auftakt „Achilles“ ist inspiriert von einem Gedicht des britischen Dichters Patrick Shaw-Stewart über den Ersten Weltkrieg, spielt mit der mythologischen Tragik der Achillesverse und zieht indirekt eine Parallele von den kriegerischen Auseinandersetzungen um Troja zur heutigen Zeit, in der man sich in der westlichen Welt vermeintlich sicher fühlte. Ein folkiger Beginn, Streicher, Morricone-Twang und eine kreiselnde Orgel. Schweres Thema, leichtfüßige Klänge. „The Last Time I Saw The Old Man“ hätte auch auf eines der ersten vier Alben des großen Scott Walker gepasst. Nachdenkliches über das Altwerden und die Vergänglichkeit. Das Wechselspiel aus Chor und Hannons Stimme bezaubert das surrealistisch-skurrile „The Man Who Turned Into A Chair“, das Erinnerungen an Musicals wachruft, als diese noch erinnernswerte Melodien zu bieten hatten. Mit dem Obskuren spielt auch der Sprung „Down The Rabbit Hole“. Eine Weltflucht wie die von Alice ins Wunderland. Denn die sichtbare Welt hier oben ist eine desolate.
Ein andermal sitzt das lyrische Ich wie Hannon auf dem Plattencover von „Rainy Sunday Afternoon“ sinnierend in einem Café und versucht, nicht zu viel über den Zustand der Welt nachzudenken: „I wonder if one day the doom and gloom will disappear and the men who rule by fear will realise the error of their ways“. Man denkt an Faust: „Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“
Da mag Hannon in „I Want You“ noch so besinnlich zu Geigenschmelz croonen: „Some people want to build a city, some people want to build a wall, some want a rocket ship to satisfy a dream, some people seem to want it all.“ Die größenwahnsinnigen Tech-Milliardäre und die entfesselten Möchte-gern-Diktatoren drohen die Welt zu kontrollieren. Wie Schiller den absolutistischen Fürsten empfahl, sich auf ihr Menschsein zu besinnen, schließt Hannon ähnlich: „They’re just a woman, they’re just a man.“ Menschen, mit Kindheitserinnerungen an Peter Pan und die Lichter am Weihnachtsbaum, wie sie „All The Pretty Lights“ evoziert.
Zu den Reichen und Schönen, den Schummlern und Nichtsnutzen geht es im Rumba-Schritt tänzelnd nach „Mar-a-Lago By The Sea“; die Assoziation mit Trumps Resort in Florida konterkariert das entspannte Urlaubsgefühl. Vordergründiges Easy Listening prägt auch „The Heart Is A Lonely Hunter“ mit einer herrlichen Gitarren-Coda, der sich das Instrumental „Can’t Let Go“ anschließt. Dahingetupfte Pianofiguren. „The Invisible Thread“ kommt dann erstaunlich fröhlich daher mit dem Glauben an einen unsichtbaren Faden zwischen zwei Menschen, auch wenn die räumliche Trennung immer möglich erscheint. Und warum nicht ausbrechen aus dem Alltag mit einem Seelenflug: „And when the time is right we go, spread our little wings and fly“. Das ist die Eichendorff-Romantik aus dessen wunderbarem Gedicht „Mondnacht“: „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.“
Orchester-Pop-Alben aufzunehmen, solle eine zu erstattende Krankenkassenleistung sein, sagt Hannon augenzwinkert. Recht hat der Mann. Diese zehn Songperlen machen glücklich. Und Glück ist gesund.
„Rainy Sunday Afternoon“ von The Divine Comedy erscheint auf Divine Comedy Records/PIAS.