„Das Songschreiben ist der therapeutischste Teil meines Lebens“, sagte Karly Hartzman kürzlich in einem Interview, und wie das gemeint ist, kann man auf dem neuen Album ihrer Band Wednesday hören. Denn für „Bleeds“ hatte sich die amerikanische Sängerin, Gitarristin und Songwriterin gleich mehreren Herausforderungen zu stellen.
Zum einen muss diese neue Platte mit „Rat Saw God“ konkurrieren, dem gewissermaßen unabsichtlichen Meisterwerk, das sich Hartzman und die Ihren vor rund zwei Jahren aus dem Ärmel geschüttelt hatten, zum anderen musste sich die in North Carolina heimische Musikerin auch der Realität ihrer zerbrochenen Romanze mit dem langjährigen Wednesday-Gitarristen Jake „MJ“ Lenderman stellen (der übrigens trotzdem auf der Platte zu hören ist). Beides hat auf „Bleeds“, erneut beeindruckend naturbelassen produziert von Alex Farrar (Snail Mail, Plains, Squirrel Flower) deutliche Spuren hinterlassen.
Während man beim Vorgängeralbum das Gefühl hatte, dass sie vor allem die Beobachterin all der herzergreifenden Geschichten war, mit denen sie ein lebhaftes Bild einer tristen Jugend fernab vom Glitzer der Großstadt zeichnete, tritt nun in Songs wie in der bittersüßen Fingerpicking-Ballade „The Way Love Goes“, die unüberhörbar um ihre Beziehung zu Lenderman kreist, der autobiografische Inhalt stärker denn je zutage.
Trotzdem ist „Bleeds“ keine melancholische Nabelschau. Das untermauern Nummern wie „Carolina Murder Suicide“, das von einem grausamen wahren Kriminalfall inspiriert wurde, oder „Gary’s II“, das die Geschichte erzählt, wie ihr Nachbar schon mit Anfang 30 zu einer Zahnprothese kam.
Vielmehr zeichnet sich Hartzmans Songwriting auch dieses Mal oft dadurch aus, dass sie Begebenheiten, die sie oft in ihrem engsten Umfeld aufschnappt, so geschickt mit eigenen Erfahrungen verwebt, dass die Grenzen zwischen „ich“ und „sie“ bisweilen fließend sind.
Klanglich hat Hartzman „Bleeds“ bereits als den „spirituellen Nachfolger“ zu „Rat Saw God“ bezeichnet. Das bedeutet, dass hier ihre bisweilen herrlich eigensinnige Auslegung althergebrachter Grunge- und Sludge-Tugenden weiterhin eine wichtige Rolle spielt, gleichzeitig aber auch klassische Indie-Hooks und immer wieder countryeske Momente, etwa bei „Elderberry Wine“ oder dem bereits erwähnten „Gary’s II“, dieses Mal mehr Gewicht als auf dem letzten Album haben.
Anders gesagt: Die Aufgabe, die turbulenten letzten zwei Jahre in einem Album zu verdichten, das persönlich und relatable zugleich ist, meistert Karly Hartzman hier mit Bravour und liefert einen weiteren eindrücklichen Beweis für die Thesen, dass Wednesday eine der fantasievollsten, spannendsten und besten Rock-Bands ihrer Generation sind.
„Bleeds“ von Wednesday erscheint auf Dead Oceans/Cargo.