Share This Article
Das soll ihnen erst einmal jemand nachmachen: Seit fast 35 Jahren gibt es Sloan nun schon, und damals wie heute ist das kanadische Quartett mit Jay Ferguson, Chris Murphy, Patrick Pentland und Andrew Scott in identischer Besetzung unterwegs. Doch nicht nur die Besetzung ist konstant. Auch die Liebe zu einem klassischen Pop/Rock-sound im Spannungsfeld von Power-Pop und Alternative Rock begleitet die Band aus Toronto schon seit den frühesten Tagen. Große stilistische U-Turns hatten Sloan deshalb nie nötig, es ging ihnen vor allem um die Nuancen. Jetzt erscheint ihr neues Album, „Based On The Best Seller“.
Das Erfolgsgeheimnis von Sloan ist denkbar simpel: In der Band gibt es keine Nebendarsteller, alle vier Musiker teilen sich das Songwriting und den Leadgesang, und auch die Einnahmen werden paritätisch geteilt. Vor ein paar Jahren erklärte Jay Ferguson einmal, dass sein Bandkollege Chris Murphy überzeugt sei, Sloan seien so etwas wie ein Investmentfonds.
„Wenn bei einem von uns mal die Aktien im Keller sind und er nur einen guten Song am Start hat, kann er sicher sein, dass jemand anderes in die Bresche springt und vier gute Nummern parat hat“, erklärte er damals. „Am Ende ergibt sich immer eine Balance. Es ist leichter, in einer Band mit vielen Songwritern zu sein, das führt zu besseren Platten. Du kannst dich auf deine drei, vier besten Lieder konzentrieren, anstatt mit dem Text für Song Nummer zwölf zu kämpfen.“
Das erklärt vielleicht, warum auch das neue, inzwischen 14. Album der Kanadier wieder eine richtige feine Platte geworden ist, auf der Sloan all das zelebrieren, was sie seit all den Jahren zu den Größten unter den Kleinen macht, wenn sie mit großer Spielfreude den Geist der klassischen Rock-Tugenden der Vergangenheit ins Hier und Jetzt bugsieren, Langweilig wird es trotzdem nie, schließlich bringen alle vier Musiker unterschiedliche Inspirationen und Klangfarben ein, und das ist auch dieses Mal nicht anders.
Wenige Wochen vor der Veröffentlichung von „Based On The Best Seller“ hatten wir spontan die Chance, Gitarrist Jay Ferguson und Bassist Chris Murphy ein paar Fragen zu stellen.
Gl.de: Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben? Welchen Zweck erfüllt sie und wie hat sie sich im Laufe der Jahre verändert?
Jay Ferguson: Ich habe schon als Kind gerne Musik gehört – und das wurde noch intensiver, als ich die Beatles für mich entdeckte. Mit zwölf Jahren begann ich in einem Vintage-Plattenladen zu arbeiten, was mein Interesse an Musik und Platten noch verstärkte. Neben meiner Begeisterung für die Geschichte von Bands und Plattenlabels wollte ich zu dieser Zeit auch unbedingt Gitarre spielen lernen. Die Vorstellung, in einer Band zu spielen, fand ich fantastisch. Als das Musizieren in einer Band vor 34 Jahren zu einem realistischen Beruf wurde, wurde mein Hauptinteresse sowohl zur Unterhaltung als auch zum Beruf, aber zu einem, der mir Spaß macht. Mein Interesse hält bis heute an, und die Art und Weise, wie sich Musik für mich verändert hat, war wirklich der Punkt, an dem ich (und der Rest unserer Band) anfing, unseren Lebensunterhalt mit etwas zu verdienen, das uns Spaß macht. Ich schreibe immer noch Songs zum Vergnügen, und hoffentlich sind die, die ich jetzt schreibe, zumindest ein bisschen besser als die, die ich mit 17 oder so geschrieben habe.
Chris Murphy: Als ich jung war, hat mir das Hören von Musik große Freude bereitet, und diese Lieder sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Das Erlernen eines Instruments hat mein Leben verändert und mir ermöglicht, meinen Lebensunterhalt mit Musik zu verdienen. Ich schreibe immer noch gerne Songs. Zugegebenermaßen bewegt mich neue Musik selten so sehr wie die Musik, die ich in meiner Jugend gehört habe. Ich könnte ein Haus hochheben, wenn ich Bad Brains höre, und ich weine, wenn ich „River“ von Joni Mitchell, „This Time Tomorrow“ von den Kinks oder „Sultans of Swing“ von Dire Straits höre. Auch wenn ich mir das Filmmaterial von The B-52s ansehe, wie sie 1978 im Downtown Cafe in Atlanta, Georgia, gespielt haben, muss ich weinen. Ich bin froh, dass mich diese Musik immer noch bewegt, denn neue Musik lässt mich meist kalt. Das bedeutet nicht, dass ich denke, dass Musik nicht mehr so gut ist wie früher. Mir ist klar, dass ich jetzt älter bin und in vielerlei Hinsicht verschlossener. Ich fühle mich in gewisser Weise verpflichtet, neue Musik zu hören, weil ich selbst neue Musik mache und darauf zähle, dass die Leute ihr eine Chance geben.
GL.de: So sehr wir eure Musik seit eurem Majorlabel-Debüt „Smeared“ auch mögen, zumindest in Deutschland seid ihr unter anspruchsvollen Musikliebhabern immer noch ein gut gehütetes Geheimnis. In diesem Sinne: Wenn ihr auf über 30 Jahre Bandgeschichte zurückblickt, worauf seid ihr im Nachhinein am meisten stolz?
Jay Ferguson: Wir können uns als Band glücklich schätzen, dass wir seit 34 Jahren mit denselben vier Mitgliedern zusammen sind, die Rechte an den meisten unserer Songs besitzen und uns ein Publikum aufgebaut haben, das es uns ermöglicht, auch in absehbarer Zukunft weiterhin neue Musik zu machen. Ich würde sagen, das sind Dinge, die mich glücklich und dankbar machen – aber ich bin auch stolz auf die anhaltende Qualität der Songs und das Artwork der Alben, ganz zu schweigen von den vielen Neuauflagen und limitierten Editionen, die wir unseren Hardcore-Fans weiterhin aufdrängen.
GL.de: Was ist eurer Meinung nach der größte Unterschied zwischen „Based On The Best Seller“ und dem, was zuvor kam?
Chris Murphy: Ich glaube, es gibt keinen wirklichen Unterschied. Das Album wurde unter den gleichen Bedingungen wie der Vorgänger „Steady“ aufgenommen, wenngleich „Steady“ während der Pandemie entstand. Wir haben „Steady“ und „Based On The Best Seller“ im Haus unseres Freundes Ryan Haslett eingespielt. Die Drums für dieses Album wurden in meiner Garage aufgenommen, die Drums für „Steady“ in unserem alten Proberaum, in dem wir seit 2001 alle unsere Alben außer „Action Pact“ aufgenommen hatten.
GL.de: Der Albumtitel ist mit Blick auf die musikalische Ausrichtung gut gewählt. War das eure Reaktion auf die Schwierigkeit, ein übergreifendes Thema für ein 14. Album zu finden, das im Pressetext erwähnt werden?
Jay Ferguson: Ich glaube nicht, dass wir unbedingt nach einem „Thema“ für das Album gesucht haben. Ich denke, die Andeutung in der Pressemitteilung bedeutete, dass es mit vier Songwritern und Produzenten schwierig wäre, ein übergreifendes Thema zu finden. Das ist aber in Ordnung. Es gab also keine wirkliche Lösung, zu der wir gelangen mussten. Das Artwork war dieses Mal thematischer als sonst, aber selbst das war eher ein Ausgangspunkt, der uns die Möglichkeit gab, von dort aus auf die erforderlichen Elemente einzugehen. Das Thema des ersten Songs auf dem Album, „Capitol Cooler“, dreht sich um ein Kino, sodass man das vielleicht als (ungeplante) Verbindung betrachten könnte.
GL.de: Nach all den Jahren mit derselben Besetzung kennt ihr sicherlich eure Stärken und Schwächen in- und auswendig. Dennoch sei die Frage erlaubt: Gab es bei den Aufnahmen zu diesem Album Situationen, in denen ihr dachtet: „Oh, interessant! Das kommt jetzt unerwartet!“
Chris Murphy: Ich bin immer wieder positiv überrascht, dass die anderen auch jetzt noch bereit sind, Songs beizusteuern, und ich bin glücklich, wenn auch nicht unbedingt überrascht, dass sie immer noch gut sind. Ich bin auch etwas überrascht, dass alle Jungs so offen dafür waren, Input zu ihren Songs zu erhalten.
GL.de: Textlich scheint es einige Anspielungen auf die deprimierenden Zeiten zu geben, in denen wir heute leben. Hat sich das einfach so hineingeschlichen, weil der tägliche Wahnsinn einen so großen Teil unseres Lebens ausmacht, oder wolltet ihr das explizit thematisieren?
Jay Ferguson: Ich kann wirklich nur für meine eigenen Texte sprechen, und die spiegeln nicht unbedingt den Zustand der Welt durch meine Augen wider. Ich lese zwar Zeitung, aber meine Songs beschäftigen sich diesmal mit wichtigen Themen wie Kunsthändlern, dem Aufbewahren von Fotos, auf denen du selbst drauf bist, und der Frage, ob die Entscheidung, ein Kino abzureißen, ein Zeichen des Fortschritts oder der Rücksichtslosigkeit war.
Chris Murphy: Was mich betrifft, so kommentiert mein Song „Live Forever“ den Versuch der Wissenschaft, Menschen 40 Jahre lang 80 Jahre alt sein zu lassen, und fragt, ob sich das lohnt. Und mein Song „Open Your Umbrellas“ kommentiert die schädlichen Sonnenstrahlen. Beide sind ziemlich leicht und voller Witze. Mein Ziel als Songwriter ist es, witzig und bissig zu sein. So wie es auch Ray Davies getan hat.
GL.de: Die Musikindustrie und insbesondere jüngere Künstler scheinen ziemlich besessen davon zu sein, sich ständig zu verändern, in der Hoffnung, damit weiterzukommen. Ihr hingegen seid immer euren Prinzipien treu geblieben. Ist das Sturheit oder Konzept?
Chris Murphy: Wir haben zwar immer noch dieselbe Besetzung, aber stilistisch haben wir uns im Laufe der Jahre doch verändert. Auf unserem ersten Album waren wir im Wesentlichen eine Shoegaze-Band, dann haben wir das beiseitegelegt und wollten eine Popband sein, wenngleich wir wohl eher Indierock-Tugenden verfolgt haben. Dann zeigten wir offener unsere Liebe zu den Beatles, um danach die Regeln des Indierock zu brechen. Wir erlaubten uns, voll und ganz im Rock aufzugehen, aber wir lernten auch, wie man Keyboard spielt. Gerade rechtzeitig für unser sechstes Album lernte ich endlich Dur- und Moll-Septakkorde, aber dann wollten wir ein geradliniges Rockalbum machen. Darauf folgte ein ausschweifendes Doppelalbum mit dreißig Songs, dann kam Gregory Macdonald dazu und wir wurden musikalisch und harmonisch noch ehrgeiziger und machten ein paar ambitionierte Pop-Alben. Darauf folgte ein Doppelalbum, bei dem jeder eine Seite des Albums bekam, gewissermaßen vier Solo-EPs, und für die letzten paar Platten haben wir von Shoegaze bis zu den Beatles gemischt und kombiniert, aber konzeptionell sind wir vom Schreiben von Songs über den Schulalltag zum Schreiben von Songs über den Umgang mit Scheidungen übergegangen. Unsere jeweiligen Standpunkte haben sich im Laufe der Jahre verändert, und ich denke, insgesamt ist unser Werk reichhaltig und vielfältig. Unsere Diskografie ist umfangreich und einschüchternd, wenn man sich nicht auskennt, aber mit der gebotenen Zurückhaltung möchte ich sie dennoch empfehlen!
„Based On The Best Seller“ von Sloan erscheint bei Yep Roc/Bertus.