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Als „intime Geschichten über die Liebe, den Verlust und stillen Mut“ lobt Rob Goodwin – seines Zeichens Stimme und Frontmann des aus Manchester stammenden Ensembles The Slow Show – die Songs des Debüt-Albums „Peekaboo“ seines Solo-Projektes Goodwin aus. Wer sich nun denkt: Moment – das sind doch auch die zentralen Themen, die Rob mit seiner Mutterband für gewöhnlich abhandelt – dem sei gesagt, dass es doch entscheidende Unterschiede zum Wirken der Mancunians als Band gibt. Denn bei Goodwin, dem Solo-Künstler, spielen die üppigen, orchestralen Arrangements und großen Klangräume, die die Slow Show-Songs zuweilen bereichern, keine Rolle. In dem Bemühen, seinem Material eine authentische, emotionale Rauheit angedeihen zu lassen, verzichtete der Wahl-Düsseldorfer bei seinem Debütalbum auf jedwede musikalische Grandezza und spielte seine neuen Songs akustisch reduziert lediglich mit Unterstützung des mystischen, Masken tragenden Pianisten Lambert ein – der ihn auch auf weiten Teilen seiner anstehenden Deutschland/Europa-Tour begleiten wird. Warum heißt das Album „Peekaboo“? Möchte uns Rob vielleicht einen kleinen Blick in seine Psyche und emotionale Gemengelage gewähren?
„Ja – ich denke schon“, meint Rob, „es ist wie beim „Kuckuck“-Spiel, bei dem du zögerlich dein Gesicht zeigst. Dieses Album ist das persönlichste, was ich bislang gemacht habe. Ich zeige mich hier verletzlicher als jemals zuvor. Ich denke, dass mich die Leute so auch viel klarer sehen, als zuvor.“
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Lambert und warum hat sich Rob entschieden, mit einem Pianisten zusammenzuarbeiten – obwohl er selbst doch seine Stücke auf der Gitarre spielt? „Das ist eine gute Frage“, schmunzelt er, „ich wollte etwas Intimes und Raues machen. Da war mir sofort klar, dass die Songs für sich selbst sprechen müssten. Bei The Slow Show haben wir immer schöne große Produktionen, reichhaltige Streicher, Bläser, große Synthesizer-Sounds – und diese Scheibe sollte eben einfacher sein. Ich wollte akustische Gitarre und Klavier verwenden. Von Lambert bin ich schon lange ein Fan. Ich folge ihm seit Jahren, mag ihn als Künstler und ich mag seinen Sound und seine technischen Fähigkeiten. Ich habe ihn kontaktiert und gefragt, ob wir vielleicht einen Song zusammen machen könnten. Er hat zugestimmt, ich bin zu ihm nach Berlin gefahren – und am Ende haben wir nicht nur einen Song, sondern die ganze LP zusammen gemacht. Er wird mich auch auf der Tour begleiten.“
Die Songs hatte Rob aber zu diesem Zeitpunkt doch schon fertig, oder? Immerhin hatte er sie letztes Jahr bereits beim Heimspiel Knyphausen vorgestellt. „Ja, ich habe Lambert zunächst meine Demos zugeschickt – und war dann ganz begeistert und beeindruckt davon, was er mit dem Klavier hinzugefügt hatte, wie er sich um die Songs ‚gekümmert‘ hat und wie er seine Ideen präsentiert hatte. Als wir uns dann in Berlin trafen, haben wir uns sofort verstanden – und wir haben eben die Scheibe dann zusammen gemacht. Ich hatte die Songs mit einem Klavier im Sinn geschrieben – aber nicht auf dem Klavier, sondern auf der Gitarre. Wir haben die Sachen dann transformiert und auf ein neues Level gehoben. Bei einigen Stücken ist dann auch noch Keisha – die uns ja auch bei The Slow Show begleitet – als gesangliche Verstärkung dabei.“
Ging es Rob darum, über den Gedanken an ein Klavier zu für ihn neuen harmonischen und melodischen Ideen zu kommen? „Also zunächst mal sollten die Sachen einfach schön klingen“, meinte er, „ich habe aber auch nach neuen melodischen Möglichkeiten für mich gesucht. Die Slow Show-Sachen und meine Songs repräsentieren einfach verschiedene Welten – die ich beide auf ihre Art mag. Bei The Slow Show haben wir die Songs um die Arrangements herum aufgebaut, um die Geschichten der Songs auf diese Weise zu unterstützen. Bei Goodwin sollen die Songs für sich selbst sprechen. Ich wollte mal sehen, was passiert, wenn ich alles – außer den Texten – wegnehme. Auf diese Weise wurden Melodien wichtiger – und das Klavier wurde noch wichtiger.“
Was bedeutet denn die Musik für Rob? Für jemanden, der die Möglichkeit hat, sich über die Musik ausdrücken, verwirklichen (und therapieren) zu können, ist es ja sehr schön. Aber Menschen, die nicht über eine solche Ader verfügen, bedeutet das ja, dass sie Musik nur als Entertainment-Option begreifen (etwa als Alternative zu einem Kinobesuch oder einem Salat) – und nicht als Lebensinhalt. „Nein – Musik ist kein Salat für mich“, bestätigt Rob, „es ist so viel mehr. Ich war neulich in Manchester – wo ich ja aufgewachsen bin – und habe mir das Reunion-Konzert von Oasis angeschaut. Als ich dort mit hunderttausend Menschen in der Menge stand, realisierte ich, dass es da nicht nur um die Musik oder die Band ging. Es war ein gemeinschaftliches Gefühl der Nostalgie. Es war ein heilsames Erlebnis. Ich habe die meiste Zeit damit verbracht, die Gesichter im Publikum anzuschauen und ablesen zu können, was dieses Erlebnis für diese Menschen bedeutet hat. Davon bin ich immer noch berührt. Ich bin ja keine religiöse Person – aber das war ein fast spirituelles Erlebnis. Es gibt ja nun wirklich nicht viel im UK und der Welt an sich, das es zu zelebrieren gibt – aber auf diesem Feld zu stehen und festzustellen, dass die Menschen im Grunde doch gut sind, war sehr erhebend. Es war auch so ein schönes Erlebnis für die Leute, gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Das kam auch zum richtigen Zeitpunkt. Die Menschen brauchten einfach so etwas. Es war auch schön, dass die Brüder Gallagher nicht mehr so hart und aggressiv und maskulin rüberkamen wie früher. Sie sind irgendwie sanfter geworden – genauso wie das Publikum.“
Politische Inhalte scheint Rob aber grundsätzlich auszusparen, oder? „Ja“, bestätigt er, „ich denke, dass Musik für mich eine Art Flucht ist. Ich habe kein Problem damit, meine Ansichten über die Welt zu teilen und darüber zu sprechen. Aber ich denke, dass meine Musik da einen universelleren Kontext hat. Als ich in Manchester angefangen habe, Songs zu schreiben, habe ich oft über die Unterschiede zwischen den Conservative- und Labour-Regierungen gesprochen. Beispielsweise in diesem Song ‚Mr. Blue Tie‘. Aber heutzutage – ich weiß gar nicht warum – bin ich in meinem Leben musikalisch auf eine andere Weise beschäftigt.“ Geht es dann um Eskapismus oder Utopien? „Das ist eine gute Frage“, zögert Rob, „ich denke zu bestimmten Zeiten beides. Das Schreiben von Songs ist für mich nie euphorisch. Ich muss immer hart daran arbeiten.“
Das coole an der Musik ist ja auch, dass sich damit Erinnerungen konservieren lassen, wie mit keinem anderen Medium. „Ja, wir können uns glücklich schätzen, so etwas zu haben, oder? Es ist so eine Segnung, diese Gabe zu haben. Sicherlich verlangt sie dir zuweilen einiges ab. Gerade jetzt, wo ‚Peekaboo‘ erscheint, bin ich mir dessen bewusst, wie viel mir das abverlangt hat. Eine Scheibe zu machen ist schwierig und dauert lange – aber man bekommt letztlich so viel mehr zurück, als man gibt.“
Was ist dabei die zentrale Herausforderung? „Ich denke, durchgängig so aufrichtig möglich zu sein und dabei neuen Ideen und Themen gegenüber offen zu sein. Man muss seine Augen offen zu halten, denn es ist einfach, in bestimmte Muster zu verfallen. Deswegen macht es auch Spaß, mit neuen Menschen zusammenzuarbeiten. Sich aus der Komfortzone zu bewegen, ist dabei schon die große Herausforderung. Man muss aber vorsichtig sein, wie weit man da geht. Sich zu verändern, weil man denkt, dass man das machen sollte, ist sicher nicht der richtige Beweggrund. Man muss auch von den eigenen Songs begeistert sein, wenn sie sich authentisch anfühlen. Ein guter Song ist ein guter Song, egal wie man ihn präsentiert. Da braucht man nicht nach Veränderungen und Experimenten zu suchen.
Was motiviert Rob, einen Song zu schreiben? „Das Leben und meine Gefühle“, meint er, „meine Themen finden aber mich – nicht ich sie. Ich habe das nie verstanden und habe mich darüber mit vielen Kollegen unterhalten, die einfach brillante Routinen entwickelt haben, Songs zu schreiben. Sowas kenne ich gar nicht. Ich schreibe Songs, wenn ich nicht weiß, wie ich anders mit meinen Gefühlen umgehen soll. Das ist meine eigennützige Art, mich besser zu fühlen oder etwas verstehen zu können. Die Themen, über die ich schreibe, sind dabei nicht vorsätzlich ausgewählt. Sie offenbaren sich mir.“
Verändern sich eigentlich dann die Bedeutung bestimmter Songs im Laufe der Zeit? „Das ist ganz bestimmt so“, pflichtet Rob bei, „wir als Menschen verändern uns und verändern, wie wir die Dinge sehen – und wie wir bestimmte Dinge ausdrücken. Ich sage heutzutage viele Dinge anders, als ich sie vor zehn Jahren gesagt hätte.“
Sicherlich gibt es für einen Künstler wie Rob dann auch keinen „Plan B“, oder? „Nein – da gibt es keinen Plan B“, schmunzelt Rob, „es gibt in dieser Hinsicht auch gar keine Entscheidung, die ich treffen könnte, weil mich das Unterbewusstsein leitet. Manchmal gibt mir sogar die Musik vor, was ich zu tun habe. Beispielsweise, wenn mich eine Piano-Figur zu einem Thema führt. Das ist eine schöne Art, sich seinen Gefühlen zu öffnen. Für gewöhnlich kommen Texte und Musik auch gleichermaßen auf mich zu. So kann ich ohne Filter kreativ werden und brauche mir dann auch gar nicht zu überlegen, was ich tun möchte. Für gewöhnlich sind diese unbewussten Elemente dann auch kraftvoll und bedeutsam.“
Was hat Rob auf diese Weise dann über sich selbst erfahren? „Das ist eine wirklich gute Frage“, überlegt er, „indem ich diese Scheibe gemacht habe, habe ich zum Beispiel gelernt, dass es okay ist, nach Hilfe zu fragen und dass es okay ist, sich verletzlich zu zeigen. Und was die Songs betrifft, habe ich alles gelernt, was es zu lernen gibt. Das Interessante dabei ist aber, dass man aus seinen Songs nur im Rückblick lernen kann. Wenn ich mir heute etwa ältere Songs anhöre, bin ich erstaunt darüber, wie offensichtlich etwas war, über das ich damals geschrieben hatte, ohne dass ich wusste, worum es ging. Man lernt also viel über sich selbst, wenn man Songs schreibt. Man dokumentiert auf diese Weise, wer man ist, wer man war und wer man wurde.“
Logisch also, dass das Projekt Goodwin dann auch längerfristig angelegt ist. Gleich im Anschluss an die Veröffentlichung geht Rob Goodwin zusammen mit Lambert auf Tour. Und obwohl es im nächsten Jahr dann auch ein neues Slow Show-Album geben soll, arbeitet Rob bereits an neuen Stücken für das Goodwin-Projekt. Er hat da ja offensichtlich auch gar keine andere Wahl…
„Peekaboo“ von Goodwin erscheint auf PIAS.