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Zusammen
Für den Bericht zum Reeperbahn Festival 2024 hatten wir als Überschrift „Offenheit“ gewählt – das zählt natürlich immer noch, vor allem auch zusammen mit dem Motto der 2025er Ausgabe, „Image Togetherness!“. Das alles war auch wieder wichtig, als über 40.000 Leute dieses Jahr auf dem Reeperbahn Festival unterwegs waren, um über 600 Konzerte zu erleben, darunter auch die Fachgäste, die bei über 200 Konferenzpunkten diskutierten, vernetzten und Neues ausprobierten. Wie immer war viel los rund um St. Pauli – wir waren natürlich auch vor Ort.
Die erste musikalische Person, die uns auf dem Festivalgelände entgegenläuft, ist Juli Gilde – die aber nicht in ihrer Eigenschaft als sensible Songwriterin und sympathische Live-Performerin, sondern als Tourmanagerin für ihre Schweizer Kollegin Akryl unterwegs ist, deren Auftritt am N-Joy-Bus sie uns dann wärmstens ans Herz legte. Im Prinzip war das auch richtig so, denn Akryl überzeugte hier mit einem ähnlichen Konzept wie Juli Gilde als einfühlsame, deutschsprachige Songwriterin im Selbstfidungsmodus – vielleicht mit einer deutlicher ausgeprägteren Empowerment-Note, mehr Akustik-Gitarre und einer cool/lässigen Attitüde.
Attitüden und Allüren scheinen der österreichischen Songwriterin Filiah, die sich auf Insta die Tagline „Your Inner Child’s New Favorite Artist“ leistet und die den Slot nach Akryl bespielte, fern. Sie blühte sogar bei ihrem Comeback nach längerer Kreativpause in dem akustischen Singer/Songwriter Setting geradezu auf, weil dort ihre komplex komponierten Laurel-Canyon-geprägten Songs dank des empathischen Vortrages sogar besser zur Geltung kamen als ihre teilweise etwas zu üppig arrangierten Studio-Produktionen. Die Anregung, doch mal einen ganzen Longplayer in einem solchen Setting aufzunehmen, schloss sie im Anschluss nicht grundsätzlich aus.
Da wir eh gerade vor Ort waren, schauten wir uns auch noch den Auftritt der aufstrebenden, britischen Pop-Diva Alessi Rose an – die ohne ihr übliches Produktionsvolumen in dem reduzierten N-Joy-Setting recht blass wirkte und auch stimmlich nicht wirklich überzeugen konnte – ganz zu schweigen von dem generischen Songmaterial. An das Format ihrer Vorbilder wie Olivia Rodrigo, Chappell Roan und natürlich Taylor Swift kommt sie bestenfalls mit ihrem aufgesetzten Superstar-Gehabe heran – indem sie sich etwa auf dem Weg zu ihrem Shuttle-Bus von Security-Personal vor Autogrammjägern und Fans abschirmen ließ.
Ein längerer Trip zum Festival-Village lohnte sich dann insofern, als dass dort das aus Lidia Beck und Konstantin Aebli bestehende Schweizer Duo Lost In Lona eine der wenigen Lanzen für klassisches, folkorientiertes Singer/Songwritertum auf dem diesjährigen Reeperbahn Festival brach und dort Songs ihrer irritierend betitelten LP „Scared Like A Mother And Her Gun“ (und neue Songs ihrer ebenfalls irritierend betitelten neuen LP „The Killer“) in einem klassischen Akustik-Duo-Format vortrug. Wenn da Phoebe Bridgers als Inspirationsquelle angeführt wird, dann bezieht sich das wohl eher auf die Faszination für Mordgeschichten, die Lost In Lona mit Bridgers verbindet. Musikalisch hingegen gehen Lidia und Konstantin schon ihren eigenen Weg. So richtig zur Geltung kam das leider nicht, weil die Show im Regen auf der winzigen Village Acoustic-Bühne im allgemeinen Gewusels auf dem Heiligengeistfeld ziemlich unterging.
Zurück auf dem Spielbudenplatz spielte die songwritende Bassistin Jiska aus Stuttgart mit Band einen kurzen Showcase-Gig bei dem HVV-Bus im Einzugsgebiet der XL-Bühne – weswegen die Sache genau getimt ablaufen musste. Jiska gefiel dabei durch ihre lebenslustige, ansteckend fröhliche Art, mit der sie die munteren, soulig/jazzigen Indie-Pop-Songs ihres Debütalbums „Socially Awkward“ präsentierte – und sich danach als Promoterin in eigener Sache mit den Zuschauern austauschte. Und überhaupt: Nach einer singenden Bassistin muss man ja auch erst mal suchen.
Im Rensonanzraum des Bunkers an der Feldstraße hat es dann ein Wiedersehen mit JFDR (Jófríður Ákadóttir) gegeben – die umtriebige Isländerin sorgt immer wieder für Gänsehaut-Momente, vor allem mit ihrer tollen Stimme und den großartigen Melodien. Sie selbst spielt dabei Gitarre, zusätzlich ist noch Josh an den modularen Systemen, Synthies, Knöpfen dabei und sorgt für passende Klangteppiche oder Electronic-Spielereien. JFDR hatte dazu mehrfach kommentiert: „Josh is the best!“ Dadurch, dass sie recht oft die Gitarre stimmen musste, überbrückte sie die Zeit gekonnt mit allerlei Geschichten oder Erläuterungen zu den Songs.
Nochmals am N-Joy-Bus gastierte auch die Würzburger Songwriterin Lisa-Marie Kämpf – die aber bis auf ihren Künstlernamen Lisl nichts mit bayrischem Lokalkolorit am Hut hat, sondern sich stattdessen auf englischsprachigen Indie-Pop spezialisiert hat (mit Songtexten, die für die Gen Z „relatable“ sind – wie es im Info-Text heißt). Lisl hat eine sehr schöne, aussagekräftige Gesangsstimme – aber noch nicht so viele Ideen, wie sie ihrem Songmaterial eine wirklich eigene Identität abbringen soll, stattdessen engagiert sie sich lieber im etablierten Sad-Girl-Modus. Nicht besser – aber auch nicht wirklich schlechter als ihre internationalen Vorreiterinnen.
Danach ging es endlich mit dem Club-Programm los. Im Häkken präsentierte die Songwriterin Marla Moya Songs ihres kommenden Solo-Albums „Sanguine Soul“ – was soviel wie „Lebenslustige Seele“ bedeutet – was Marla zweifelsohne auch ist. Die Sache ist dabei die, dass die gebürtige Heidelberger Songwriterin zu Beginn ihrer Laufbahn an den kanadischen Songwriter David Celia geriet, der ihr Debüt-Album „Madawaska Valley“ produzierte und mit dem zusammen Marla im folgenden als Duo die beiden Alben „Indistinct Chatter“ und „Daydreamers“ einspielte. Wie sich nun herausstellt, musste David Celia – von dem sich Marla inzwischen nach einer auch privaten Liaison getrennt hat – das musikalische Geschehen recht eindeutig bestimmt haben. Das neue Album, das sich Marla von Robert Francis – einem ihrer Lieblingskünstler – in Los Angeles auf den Leib produzieren ließ, klingt jedenfalls wie ein musikalischer Befreiungsschlag und überrascht mit einer weit weniger traditionell ausformulierten Variante ihrer Kunst. So auch die Show im Häkken, bei der Marla das Material erstmals mit einer neuen Band präsentierte. Mag sich komisch anhören, aber erst mit diesem Album – und als Bandleaderin – scheint Marla ihre Identität als Songwriterin so richtig gefunden zu haben.
Da die Schweizerin Gina Été eh schon in der Gegend weilte – weil sie ein paar Tage zuvor als Support für ihre Landsfrau To Athena aufgespielt hatte, nutzte sie die Gelegenheit, ihr Material nun auch mit Band bei dem Labelabend im Häkken vorzustellen. Und was soll man sagen: Das wirkte dann doch ganz anders als die ambientmäßigen Support-Slots für To Athena, denn die Songs der Songwriterin (und Viola-Spielerin) brauchen genau die Fülle von Details der Band-Arrangements, um ihre volle Wirkung entfalten zu können. Die engagierte Band tat ein Übriges, um den Visionen ihrer Chefin die Entfaltung auf der Bühne im Häkken vollumfänglich zu ermöglichen.
Florence Road aus Irland sind bestens gelaunt und scheinen sich sehr auf ihren ersten Hamburg-Besuch gefreut zu haben – das steckt natürlich an und alle im Publikum freuen sich ebenso über die teils rockigen, teils poppigen Stücke der Band. Auf die Veröffentlichung des Debüt-Albums müssen wir zwar noch warten, aber Singles wie „Heavy“, „Caterpillar“ oder „Figure It Out“ versprechen nur Gutes. Wir sind gespannt.
Zum für uns vorletzten Gig des Tages ging es in den Bahnhof Pauli, in dem in diesem Jahr etliche interessante Indie-Konzerte angesetzt waren. Dort präsentierte das Quartett Power Plush die Indie-Power-Pop-Songs ihres gerade veröffentlichten, zweiten Albums „Love Language“ – ergänzt um einen repräsentativen Rückblick auf das bisherige Wirken; denn anders als viele ihrer KollegInnen spielten Power Plush eine vollständige Show, die weit über den üblichen Showcase-Charakter hinausging. Auch auf dem neuen Album sind jede Menge potentieller Genre-Hits etwa vom Stile des Openers „Blue“ oder der mit Shelter Boy eingespielten Single „Waste My Time“ enthalten. Das Problem bei der aus 18 angemeldeten Tracks bestehenden Setlist war dann, dass dabei insgesamt zu viel ähnlich klingendes Material anfiel. Sicherlich überzeugten Anja Jurleit, Maria Costantino, Svenja Schwalm und Nino Cutino als engagierte Live PerformerInnen mit jeder Menge Drive und Energie – machten aber insgesamt zu wenig aus der Möglichkeit, mit gestaffelten Harmoniegesängen Abwechslung zu produzieren. Bester Beleg dafür war dann der Song „Feelz“ von der ersten EP „Vomiting Emotions“, denn der enthält nämlich einen grandios ausbalancierten, gesanglich ambitioniert gestaffelten Refrain, der im Gedächtnis hängen bleibt. Logischerweise geriet dann dieser Song in einer ausführlichen Live-Version zum Highlight der ganzen Show. Unter dem Strich machte das Quartett – mit viel Rock-Drive und performerischer Frontline-Attitüde aber sehr gut, denn unter dem Strich war das ein unterhaltsames – wenngleich vielleicht ein wenig zu geradliniges – Konzert.
„Britain’s Best Band“ – na, selbstbewusst sind Getdown Services. Aber warum auch nicht – das, was Josh Law und Ben Sadler da im Molotow gezeigt haben, war schon ein absolutes Highlight, ein Abriss, der Club kochte bis in die letzte Ecke. Und das startete schon beim Soundcheck, den die beiden natürlich selbst übernahmen und dabei die Leute auf Party-Temperatur brachten. „50 minutes of shouting at you“ – das stand laut Aussage der Band nun auf dem Programm und ja, das haben sie wörtlich genommen. Nur bewaffnet mit einer Gitarre und einem Laptop stürzten die beiden sich ins Getümmel, ließen ihre haarsträubenden, tanzbaren Tiraden über das UK los, dabei konnte niemand stillstehen. „Der nächste Song ist sehr deprimierend!“ – der Club so: „Yeah!“ Man versteht sich, alle sind trotzdem gut gelaunt und Josh Law sagt zur Sicherheit zwischendurch, dass diese Sticheleien Richtung Publikum natürlich nicht so ernst gemeint sind. Wie gesagt: Man versteht sich. Großartig.





































