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Als sich Laura-Mary Carter und Steven Ansell sich vor 20 Jahren zusammenfanden, um das gemeinsame Projekt Blood Red Shoes zu gründen, hatten sie beide schon Erfahrungen als Sänger in Bands gesammelt, die gerade das zeitliche gesegnet hatten. Das gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn es darum geht, das nun vorliegende Solo-Debüt-Album „Bye Bye Jackie“ von Laura-Mary Carter einzuordnen. Denn hier präsentiert sich Laura-Mary sowohl musikalisch wie auch gesanglich ganz anders als bei den Blood Red Shoes. Gelegentlich hatte Laura-Mary auch bei den Shoes schon einmal die Gesangsparts übernommen – allerdings jeweils in Abstimmung mit ihrem Partner Steve Ansell. Auf dem Album „Bye Bye Jackie“ – wie auch auf der früheren Mini-LP „Town Called Nothing“ – präsentiert sich Laura-Mary nun als klassische Songwriterin mit ihrer natürlichen Gesangsstimme in einem Retro-Pop-Setting US-Amerikanischer Prägung, das so gar nichts mit der Rockmusik der Shoes gemein hat. „Town Called Nothing“ entstand unter dem prägenden Eindruck eines längeren US-Aufenthaltes der in Brighton ansässigen Musikerin. Ist „Bye Bye Jackie“ demzufolge als Fortsetzung der Mini-LP zu sehen?
„Nein – dieses Album ist mehr von Herzschmerz-Geschichten inspiriert“, führt Laura-Mary aus, „das ist das Thema des Albums. Ich schaue da auf verschiedene Beziehungsgeschichten in meinem Leben zurück. Bei meinem Lebensstil als reisende Musikerin ist es ja ziemlich schwierig, normale Beziehungen zu führen. Erst nachdem ich jetzt älter bin, habe ich dieses Leben im Durchgangsmodus verinnerlicht und da ist mir bewusst geworden, dass das eben nicht normal ist und es wirklich schwierig ist, eine Beziehung aufrechtzuerhalten. Also handelt das Album von meinen persönlichen Erfahrungen.“
Ist das Album denn noch unter dem Eindruck des USA-Aufenthaltes entstanden? Zumindest musikalisch scheint das doch der Fall zu sein, da sich Laura-Mary den Retro-Sound des klassischen Gitarrenpops US-amerikanischer Prägung zum Vorbild genommen hat. „Ja, ich bin aber aus den USA zurückgekehrt, wo ich eine Zeitlang gelebt hatte. Ich musste nach der Covid-Phase erst mal das Leben wiederentdecken. Ich bin ja nun mal älter geworden – und suchte als ältere Frau jetzt nach einem neuen Lebensgefühl.“
Die Songs schrieb Laura-Mary ja alle selbst, während es bei den Blood Red Shoes stets kollaborativ zu geht und vieles aus Jam-Situationen entsteht. Wie ist das Material dann musikalisch umgesetzt worden? „Das Album sollte mich stets repräsentieren“, erklärt Laura-Mary, „es ging um meine Musik und meine Worte. Nach der Covid-Zeit bin ich mit Miles Kane auf Tour gegangen und habe Backing Vocals für ihn gesungen. Er hatte gerade mit zwei Freunden eine Scheibe aufgenommen und mit denen habe ich mich dann getroffen und festgestellt, dass ich deren Sound mochte und sie auch viele Instrumente spielen. Wir sind dann in dieses analoge Studio in Hackney gegangen und haben zu dritt in einem Raum live gespielt. Das hat sehr gut funktioniert, sodass wir dort aufgenommen haben. Es sind dann noch ein paar Gäste hinzugekommen – etwa Lee Kiernan von Idles, der das E-Gitarren-Solo bei dem Song ‚June Gloom‘ beigesteuert hat – aber ansonsten haben wir das Material zu dritt eingespielt.“
Fiel da auch die Entscheidung, das Album im klassischen Retro-Sound einzuspielen? „Ja, das Studio in Hackney ist ja ein analoges Studio und wir haben deswegen auch viel Vintage-Equipment und Instrumente wie Mellotron, Farfisa-Orgel oder Omnichord verwendet, um diesen Retro-Sound authentisch hinzubekommen.“ Gehört dazu auch der Effekt der gedämpften Vocals, die auf einigen Songs zu hören sind? „Ja, das hatte ästhetische Gründe. Es hat diese 60s Girl-Group-Vibes, einen Hauch von Patsy Cline und einen Touch David Lynch. Ich wollte, dass der Gesang klingt wie aus einer anderen Welt. Ich mag diese Spooky-Sounds.“
Wie aus einer anderen Welt? Gibt es da vielleicht auch ein spirituelles Element? „Ja, ich bin schon ein wenig spirituell veranlagt“, räumt Laura-Mary ein, „ich bin nämlich eine ziemlich neugierige Person. Ich bin immer auf der Suche nach interessanten Sachen, die ein wenig seltsam und mystisch sind. Das Video zu ‚Elvis Widow‘ kam etwa über eine Dokumentation zustande, die ich produziert habe. Es geht da um Elvis-Imitatoren und gewissermaßen die Außenseiter der Welt. Ich bin an so seltsamen Sachen immer interessiert. Ich habe da halt diese spirituelle Ader und ich glaube, es gibt Dinge jenseits des Erklärlichen. Nicht auf eine religiöse Art – aber ich denke schon, dass es da draußen irgendetwas gibt. Manchmal geht es einfach darum, dass Dinge sich zusammenfügen oder dass es Gründe zu geben scheint, etwas zu tun – beispielsweise, dass ich aus den USA heimgekehrt bin. Ich hatte ein solches Gefühl zum Beispiel in Bezug auf diese Scheibe – dass ich sie wirklich machen müsste. An so etwas glaube ich dann.“
Wenn also der innere Drang da war, das Album machen zu müssen: Gab es dann auch ein Konzept, wie das geschehen habe? „Nicht wirklich“, meint Laura-Mary, „ich musste erst mal ein paar Songs schreiben, bevor ich so etwas wie eine Vision haben konnte. Und diese Songs fügten sich dann eben zusammen. Es brauchte allerdings einige Zeit, bis ich dem Material dann Farben zuordnen konnte. Farben sind mir nämlich sehr wichtig. Lila war etwa die Farbe für die Scheibe. Und da die ersten Songs dann so eine Art 50s Feeling hatten und mich an Schlaflieder erinnerten, bin ich dann diesem Gefühl gefolgt. Auch die Charaktere in diesen Songs hatten dieses Patsy Cline-Retro-Flair. Sie hätten dann auch einer alten Scheibe sein können. Ich vermisse heutzutage auch diese Art von Gesang, wie er auf geradlinigen Liebesliedern der Zeit üblich war. Ich habe dann schon versucht, dieses Gefühl auch über meinen Gesang zu reflektieren. Offensichtlich habe ich nicht die Stimme von Patsy Cline – aber ich liebe diese Art zu singen. Ich mag auch Country-Gesang und wünsche mir, dass ich das auch mal ausprobieren kann. Denn ich habe das Gefühl, dass ich mich als Sängerin noch verbessern kann. Es gibt ja immer etwas, worin man besser werden könnte – und das ist es, was mir am meisten Spaß macht.“
Laura-Marys Songs kommen stets mit einer visuellen Note daher. Damit ist nicht alleine die Umsetzung in Videos gemeint, sondern die Bilder, die im Kopf des Hörers entstehen, wenn Laura ihre Geschichten erzählt. Ist das Absicht? „Ich denke schon“, räumt sie ein, „diese Ader hatte ich immer schon. Ich bin in dieser Hinsicht sowieso eine visuell orientierte Person. Was immer ich solo auch mache, bekommt automatisch dieses Kino-Feeling. Das ist aber nicht konstruiert. Alles, was ich mache, kommt von Herzen und ich denke nicht zu sehr darüber nach. Erst nachdem ich die Scheibe fertig hatte, konnte ich deren Identität erkennen – und folgte dann dieser Eingebung. Wenn ich schreibe und aufnehme, dann gehe ich immer nach meinem Bauchgefühl.“
Hat Laura-Mary denn über diesen Prozess etwas Interessantes über sich selbst herausgefunden? „Ich denke schon“, meint sie, „ach Gott – ich lerne sowieso immer etwas. Es war aber schon etwas anderes als mit Steve. Ich stellte fest, dass ich mehr wusste, als ich dachte. Ich mache ja schon lange Musik und weiß ja einiges darüber, wie man Songs schreibt und sie aufnimmt – und ich habe ein gutes Ohr für Sounds. Ich habe auch gelernt, anders zu singen. Was du auf dieser Scheibe hörst, ist meine natürliche Gesangsstimme. So habe ich in meiner Band Lady Muck gesungen, bevor ich mit Steve zusammenarbeitete. Wenn ich mit Steve singe, müssen wir unsere Stimmen immer aufeinander anpassen, damit sie gut zusammen klingen. Für gewöhnlich bin ich Steves Stimme dann gefolgt. Jetzt bin ich ja frei davon und kann singen, wie ich es möchte.“
Gibt es da auch das Element der Neugier, wenn es um das Schreiben solcher Songs für Laura-Mary geht? „Ja – immer“, meint sie, „ich schreibe jetzt schon an Material für das nächste Album. Und das Interessante ist, dass man nie so genau weiß, wie weit man als Songwriterin gehen kann und wessen man fähig ist – bevor man nicht angefangen hat. Darauf bin ich neugierig. Dass dieses Album jetzt gut geklappt hat, hat mir aber schon Selbstvertrauen für die Zukunft gegeben.“
Was ist denn die größte Schwierigkeit für die Musikerin Laura-Mary Carter? „Dinge zum Laufen zu bringen“, lacht sie, „man muss sich dann durchwurschteln. Ehrlich gesagt, ist der Musik-Teil dann auch das leichteste für mich. Das Drumherum ist das, was Probleme macht. Wenn man es dann mal auf die Bühne geschafft hat, ist man davon schon ermüdet. Was die Musik selbst betrifft, so muss ich mich da insofern umstellen, als dass ich mich ja jetzt nicht mehr hinter lauten Gitarren verstecken kann. Ich mache ja sogar Solo-Auftritte. Man offenbart sich das stärker – und das ist für mich dann schwieriger. Ich bin ja persönlich nicht besonders extrovertiert – hatte aber bei den Shoes das Glück, dass Steve der Extrovertierte ist. Jetzt muss ich halt selbst mehr im Fokus stehen.“
Welche Vision hat Laura-Mary denn für ihr eigenes Projekt – denn dass es weitere Blood Red Shoes-Alben geben wird, steht ja außer Frage? „Ich würde gerne mehr Kollaborationen mit Leuten, die ich mag, machen. Ich möchte auch gerne mehr Film-Soundtracks machen. Ich weiß nicht, wohin mich die Zukunft treiben wird – aber ich bin für alles offen. Zum Beispiel begleite ich jetzt die Queens Of The Stone Age auch auf Tour – weil sie eine Akustik-Tour machen – das wird ziemlich wahnsinnig werden. Mal sehen, was die Zukunft bringt.“
„Bye Bye Jackie“ von Laura-Mary Carter erscheint auf Jazz Life/Bertus.




