Vorsicht Schreie: Auf ihren ersten beiden Platten „Tabakbörse“ (2018) und „Gartenzwerge unter die Erde“ (2019) brüllten uns Rauchen in oft nicht länger als eine Minute langen Songs ihre Sicht der Welt in klassischer Hardcore-Punk-Tradition mit viel Attitüde und noch mehr Wut im Bauch kompromisslos ins Gesicht.
Schon auf dem letzten Album, „Nein“, das Ende 2021 erschienen ist, gab es dann aber Nummern, die nicht nur mit Klargesang überraschten, sondern mit eher traditionellen Songstrukturen die Zwei-Minuten-Marke überschritten. Einer davon hieß „Weiter“, und die Refrainzeile „Weiter, weiter und immer weiter“ könnte dem Hamburger Quartett auch gut als Wegweiser für ihr nun auf dem exzellenten Zeitstrafe-Label erscheinenden vierten Album gedient haben.
Mit „Isolation“ steht auf „Fallen und Schweben“ zwar eine kurze In-die-Fresse-Schocktherapie mit einer kreischenden Sängerin Nadine ganz am Anfang, danach wird allerdings schnell deutlich, dass Stillstand für Rauchen ein Fremdwort ist. So macht sich bei „Es fühlt sich nicht so an“ dezentes Grunge-Feeling breit und dass beim Gitarren-Riff „Smells Like Teen Spirit“ nicht weit entfernt scheint, ist bestimmt auch kein Zufall.
Auch bei anderen Songs leuchten neben Nirvana auch andere 90s-Helden wie Fugazi oder Sonic Youth in der Ferne und bei Nummern wie „(Das) Brennen“ scheint sogar ein bisschen Post-Punk durch. Anders gesagt: Es ist mehr nur wütende Wucht, die Rauchen auf „Fallen und Schweben“ antreibt.
Die Hinwendung zu mehr Melodie und – zumindest in diesem Kontext – mehr Komplexität (gerade bei den Gitarren dürfen es nun gerne auch mal ein paar Effekte mehr sein), geht Hand in Hand mit einer Öffnung auch in textlicher Hinsicht. Wo früher oft Parolen oder ein Augenzwinkern – man erinnere sich an Titel wie „Bier ist OK, aber nicht im Bierzelt“, „Jobcentermaßnahme“ oder „Opfermythos am All-You-Can-Eat-Buffet“ auf den ersten beiden Platten – reichten, finden Rauchen nun eine neue Bestimmung darin, das Politische im Persönlichen zu suchen.
Es ist eine Kurskorrektur, die sicherlich nicht allen alten Fans gefallen wird, zumal nicht jeder längere Songs hier die zusätzliche Spielzeit wirklich braucht, aber allein für den Mut, nicht auf der Stelle treten zu wollen, gebührt Rauchen Respekt. Sie sind auf dem Weg: Weiter, weiter und immer weiter.
„Fallen und Schweben“ von Rauchen erscheint auf Zeitstrafe/Indigo.