Share This Article
Puppy-Therapy
Was die Fans natürlich wissen: Bei einem Konzert von Kings Elliot müssen zu Beginn der Show alle zusammen „Sick Puppy“ rufen, bevor es mit der „musikalischen Therapiestunde“ dann so richtig losgeht. „Sick Puppy“ ist dabei ein Spitzname, den sich die Schweizer/Britische Künstlerin zu Beginn ihrer Laufbahn als Performing-Artist aufgrund ihrer Beschäftigung mit ihrem psychischen Seelenheil eingehandelt hatte – noch bevor sie im Wesentlichen bekannt gemacht hatte, dass eigentlich Bunnies – und nicht Puppies – ihre Spirit Animals seien. Sei es drum: Aufgrund des wohlbekannten Umstandes, dass sich Anja „Kings Elliot“ Gmür mit ihrer Musik in therapeutischer Hinsicht vor allen Dingen mit den Auswirkungen ihrer Borderline-Störung auf ihr eigenes Leben (und das ihrer Fans) beschäftigt, geriet die Show im Kölner Yuca Club im Rahmen von Kings Elliots erster Headliner Tour in unseren Breiten dann zu einer kollektiven musikalischen Therapiestunde für Kleintiere jeglicher Couleur – auch menschlicher.
Gleich zwei ihrer musizierenden Fans hatte sich Kings Elliot als Support-Acts für die Tour mitgebracht. Da war zunächst mal die schottische Songwriterin Alex Apolline, die zusammen mit einem Gitarristen Songs ihrer EP „Tales Of An Eldest Daughter“ vortrug. Wie Kings Elliot beschäftigt sich auch Alex Apolline mit psychischen Seinszuständen – gleich in der ersten vorgetragenen Textzeile war von einer Therapie die Rede – allerdings nicht auf eine so kreative/poetische Weise, wie das Kings Elliot tut. Die Songs bewegen sich musikalisch, harmonisch und strukturell alle im erwartbaren Rahmen einer typischen heutigen Indie-Songwriterin mit Selbstbespiegelungs-Tendenzen. Das klingt dann alles wesentlich zweidimensionaler als das cinematisch opulente Material von Kings Elliot – und auch überraschungsfreier. Gleichwohl macht Alex Apolline im gegebenen Rahmen eigentlich alles richtig. Vielleicht ist aber auch gerade das das Problem.
Von einem ganz anderen Kaliber ist dahingegen die Londoner Songwriterin Erica Manzoli – die über Instagram zu Kings Elliot gefunden hatte. Zwar hat sie auch Therapie-Themen im Angebot, beschäftigt sich aber auch – mit einem großen Augenzwinkern – mit ganz anderen Themen. Wie zum Beispiel damit, aus Liebeskummer das Internet verbrennen zu wollen, thematisierte dann in „Princess Prudence“ die eigene Körperwahrnehmung, bezog sich in „Suzy Loves Sam“ direkt auf den Film „Moonrise Kingdom“ von Wes Anderson, präsentierte mit „Bunny“ ihren ersten echten Lovesong und spielte ein Cover von Lana Del Reys „Video Games“. Als weitere Pluspunkte neben der Themenauswahl zählen dabei ihre zeitlos dahinkomponierten Pop-Songs, die sich keinem Genre-Diktat unterwerfen mögen, ihre samtweiche, aber raumgreifende Gesangsstimme und der Umstand, dass sie nicht nur weiß, was ein Omnichord ist, sondern es auch spielte. Und filmreife Videos hat sie obendrein im Angebot.
Mit filmreifen Videos kann natürlich auch Kings Elliot dienen – was aber eher von Interesse war, war die Frage, wie sie denn die elaborierten, opulenten und orchestralen Arrangements und Chorsätze ihrer Studioproduktionen im Live-Setting umsetzen würde. Die Antwort darauf ist: Dankenswerterweise gar nicht. Wie auch schon bei den Auftritten in der Pandemie-Edition des Reeperbahn Festivals, wo sich Kings Elliot erstmals in unseren Breiten als Live-Künstlerin vorgestellt hatte, setzte sie auch bei ihrer Tour ganz auf organisches Handwerk. Es wäre ja ein Leichtes gewesen, die besagten Arrangements, die im Studio mit organischen Keyboards, gesampelten Instrumenten und Field-Recordings, Computertechnik und Live-Musikern realisiert werden, von der Harddisk einzuspielen. Stattdessen präsentierte sich Kings Elliot mit einer dreiköpfigen Band – wobei insbesondere die Gitarristin Sabina Brunner mit einem überraschend druckvollem – fast schon rockigen Sound überraschte – gleichwohl eher der Multiinstrumentalist Peter Khoo hinter seinem Keyboard den Löwenanteil der Klanggestaltung übernahm – allerdings auch hier eher durch live gespielte Keyboard-, Bass- und Gitarren-Sounds als vorformatierte Samples.
Mit Bezug auf ihre Bühnen-Persona (die nach eigener Aussage ziemlich dicht an der Privatperson ist) blieb sich Kings Elliot in Sachen Theatralik und Dramatik als Performerin natürlich treu und unterlegte ihren Vortrag mit entsprechend effektiven Gesten – aber auf eine zugängliche Weise und trotz einstudierter Szenarien (wie z.B. ein arrangiertes Telefongespräch zur Einleitung des hedonistischen Party-Songs „Whisky And Wine“ auf eine einnehmende Art). Dabei vermittelte sie den Fans auf authentische Weise, ein Teil der Show zu sein – sei es, indem sie das Publikum zum Schunkeln, Klatschen zur Video-Session oder zum Handy-Schwenken animierte – oder eine Zuschauerin einlud, eine motivierende psychologische Erfolgsstory (als Teil des therapeutischen Programms des Abends) zum Besten zu geben… und mit einem Fächer zu belohnen. Als Konzession an die zahlreichen „ausländischen Fans“ im Auditorium parlierte sie dabei allerdings überwiegend auf Englisch.
Musikalisch arbeitete Kings Elliot natürlich überwiegend das Programm des Debüt-Albums „Born Blue“ und der vorangegangenen EPs ab – sorgte aber dabei für Abwechslung. Nicht nur, weil die meisten Tracks mit deutlich mehr Punch und weniger Opulenz als bei den Studioproduktionen dargeboten wurden, sondern auch weil sie das Programm mit einer Akustik-Session („Love And Landslides“ und „Cigarette Smoke In My Eyes“) anreicherte, und einen unveröffentlichten Song namens „Born Blue“ präsentierte – wobei man sich dann fragen konnte, warum ausgerechnet dieser nicht auf dem gleichnamigen Album zu finden ist.
Für den Zugabenblock zog sich Kings dann im Backstage-Kabuff noch ein Mal um und präsentierte sich optisch als Hollywood-Diva, die die Zugaben-Songs dann mit entsprechender Grandezza – wie soll man sagen – auslebte. Hier gab es dann noch den Track „Lost Again“ (aus dem Soundtrack zum Computerspiel „The Callisto Protocol“) zu hören, der so oder ähnlich auch jeden James Bond Film bereichert hätte – und abschließend noch „Call Me A Dreamer“, mit dem das offizielle Programm dann musikalisch ausklang. Das inoffizielle Programm bestand dann darin, dass sich Kings Elliot bei der Hälfte des Publikums im persönlichen Gespräch noch ein Mal ausführlich als Therapeutin betätigte.
Noch eine kleine Randnotiz: Das Publikum sah genauso aus, wie es Kings Elliot zuvor beschrieben hatte: Ganz vorne standen die jungen weiblichen Fans, die Kings als ihre Ersatzmutter anhimmeln, dahinter dann die Young Adults (die teilweise ihre Boyfriends angeschleppt hatten) und im Hintergrund eine recht erkleckliche Anzahl älterer Herrschaften – die wohl einfach die Musik von Kings Elliot gut finden (und sich am Retro-Charme des Materials ergötzen können, der ja für die jungen Fans vollkommen neu klingt). Und da wir in Köln waren, darf davon ausgegangen werden, dass sich auch eine ganze Menge queerer Fans im Auditorium befand. Kurz gesagt: Kings Elliot hat es mit ihrer Musik offensichtlich geschafft, tatsächlich ganze Generationen zu überbrücken bzw. anzusprechen.