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Tröstliche Melancholie
An diesem Abend sind Amber & The Moon und Deer Anna an genau dem richtigen Ort. Das Rabbit Hole Theater ist eher ein geräumiges Wohnzimmer als ein Theatersaal klassischer Prägung, aber das passt ganz hervorragend zu dem, was uns an diesem Abend musikalisch erwartet. Unterwegs mit kleinem Besteck, nähern sich die beiden in Hamburg heimischen Acts dem Indie-Folk-Universum aus unterschiedlichen Richtungen, treffen sich aber genau da, wo herbstliche Melancholie und ein Hauch von Gemütlichkeit für die besondere Note sorgen.
Weil das Rabbit Hole Theater in der Essener Innenstadt in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Rock-Schuppen Nord, Don’t Panic und Turock beheimatet ist, räumt Amber-&-The-Moon-Mastermind Ronja Pöhlmann zur Sicherheit noch vor dem ersten Ton etwaige Missverständnisse aus. „Ich habe gehört, dass hier in der Gegend viele Rock-Konzerte stattfinden – damit können wir leider nicht dienen“, sagt sie mit einem Lächeln und stimmt damit auf einen Abend der leisen Töne ein, an dem die Intimität der Performance, die Emotionalität der Songs und die Kunst der Reduktion in den Fokus rücken. Der Dank des Publikums ist andächtige Stille während der Songs.
Auf ihrem just erschienenen feinen neuen Album „Are We Alright?“ haben Amber & The Moon ihre Songs mit komplettem Band-Instrumentarium plus Piano und Streichern ausstaffiert, auf der laufenden Tournee präsentieren Ronja und Jonathan Riedel (Gitarre, Harmoniegesang) die Lieder nun aber in ihrer ursprünglichsten Form – so, wie sie bei einem zweiwöchigen Aufenthalt in einem Tiny House in der Pampa zwischen Wäldern und Wiesen Form angenommen haben. Die Ruhe und Konzentration, die Amber & The Moon dort begleiteten, hallen nun, organisch und handgemacht, auch auf der Konzertbühne nach.
Auch auf dem Album sind die Lieder trotz der oft großen Besetzung nie überladen, sondern stets ganz auf die Essenz des Songs fokussiert, und deshalb haben die beiden auf der Bühne auch ohne ihre Rhythmusgruppe – „Unser Bassist und unser Schlagzeuger haben Hausarrest in Hamburg“, erklärt Ronja mit einem Augenzwinkern – keine Mühe, ihren Liedern ganz zart und mit einem Anflug von Wehmut Leben einzuhauchen. Den klassischen Folk-Elementen schenken sie dabei mehr Beachtung als dem dezenten Pop-Appeal, der sich auf dem Album hier und da einschleicht.
Das wird besonders deutlich, als es um die beiden Songs des neuen Albums geht, mit denen sich Ronja den ambivalenten Gefühlen von Nähe und Loslassen widmet. Auf der Setlist stehen beide Optionen – „Draw Me In“ und „Cavale“ – nebeneinander, in Essen entscheidet sie sich aber für die wehmütigere Variante.
Obwohl die grüblerischen neuen Songs wie „How It Feels“ oder „Our House“ mit ihrer tröstlichen Melancholie natürlich im Mittelpunkt stehen, vergessen Ronja und Jonathan auch ihre Vergangenheit nicht. Mit „El Dorado“ steht die allererste Single von Amber & The Moon programmatisch am Anfang und mit „Howling“ und „Morpheus“ finden sich auch Lieder des 2023er-Debüts „Things We Have In Common“ im knapp einstündigen Set wieder. Bei der Zugabe „While Everything Else Was Quiet“ kommt dann nicht nur Deer Anna als Special Guest auf die Bühne, sogar das Publikum darf mitsingen…
Während man bei Amber & The Moon bisweilen das Gefühl hat, die Indie-Folk-Welt durch die Augen von Joni Mitchell zu sehen, nähert sich Anna Hirschgänger alias Deer Anna dem gleichen Kosmos eher mit ähnlichen Mitteln wie einst Julien Baker. Oft scheinen ihre Songs um ernste, ja, manchmal geradezu bedrückende Dinge zu kreisen, klanglich dürfen aber eine gewisse Leichtigkeit und ein in viel Hall getauchter Hang zur Eingängigkeit nicht fehlen.
Auch Deer Anna ist nicht mit kompletter Band nach Essen gekommen, muss aber trotzdem nicht allein auf der Bühne stehen, weil sie von Jonathan – mit neuem Hemd und neuem Instrument – am Bass begleitet wird und auf einem herrlich altmodischen Kassettenrekorder bei einigen Liedern „für mehr Schwung“ auch noch Beats aus der Konserve abspielt – aus gutem Grund übrigens: „Meine Mutter sagt immer, ich soll mal schnellere Lieder schreiben!“, verrät sie. Die wunderbar gedämpfte Atmosphäre des Auftritts von Amber & The Moon tauscht Anna so gegen einen spürbar lebhafteren Vibe ein und lässt zwischen all der Melancholie auch noch viel Platz für selbstironischen Humor.
Denn freien Tag vor dem Konzert in Essen hat Anna bei lieben Verwandten in Wuppertal verbracht, und die Tatsache, dass sie deshalb erst um vier Uhr morgens ins Bett gekommen und dementsprechend müde ist, sorgt dafür, dass es zwischen den Songs viel Kabelsalat und andere technische Missgeschicke gibt und sie sich bei den Ansagen ungeniert um Kopf um Kragen redet. Den Schlafentzug sieht sie allerdings nicht negativ. „Das ist gut, denn dann bin ich emotionaler und fragiler“, gesteht sie. Das stimmt – und genau das passt natürlich glänzend zu ihrer Musik.
Neben den Songs ihres 2023er-Debütalbums „Sometimes I’m Dizzy When I Scream“ und der im vergangenen Jahr erschienenen EP „Sit And Rest“ – als besonderes Highlight empfiehlt sich an diesem Abend „Flowers On Your Floor“ – spielt Anna auch einen noch nicht komplett fertiggestellten neuen Song ohne Titel, den sie nie veröffentlichen will. Ohne eine Miene zu verziehen, sagt sie dazu: „Ich hoffe, er gefällt euch nicht, damit ihr euch nicht danach sehnt!“
Mit „In The Clouds“ hat sich Anna dann einen ihrer schönsten Songs für die Zugabe aufgespart, und mit Ronja zurück auf der Bühne darf man sagen: Ein schöneres Finale hätte man sich kaum wünschen können.




















