Share This Article
Mit Bowie an der Hand
„Where Are You?“ ist der erste Song, den The Chameleons im Kulturzentrum Faust spielen. Eigentlich eine Frage an eine geliebte Frau, aber auch eine Frage, die sich mancher Fan in den letzten Jahrzehnten gestellt haben mag. 1981 in Middleton bei Manchester gegründet, hat sich die englische Post-Punk-Band immer mal wieder getrennt. Zuerst 1987, Reunion 2000, erneute Auflösung 2002, Comeback 2021. Sänger und Bassist Mark Burgess sowie Gitarrist Reg Smithies sind seit den Anfangstagen dabei, Schlagzeuger John Lever verstarb 2017, Gitarrist Dave Fielding hatte irgendwann keine Lust mehr auf die Band. Immer ein wenig unter dem Radar gelten die Chameleons dennoch als Inspiration für zahlreiche Indie-Formationen wie Editors oder Interpol.
Den Abend eröffnen White Rose Transmission, ein Projekt des niederländischen Sängers und Songwriters Carlo van Putten, der zusammen mit Thomas Marcin an der Gitarre ein Akustik-Set bietet. Mit der Weißen Rose, der Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus, im Namen überrascht es nicht, dass van Putten vor den letzten zwei Stücken noch einmal um Aufmerksamkeit bittet, da große Teile des Publikums dem Vortrag eher wenig Aufmerksamkeit schenken. Auch wenn nach dem Konzert das Interesse an Tonträgern am Devotionalienstand größer ist, als man zuvor erwartet hatte. Van Putten ist ein Frontmann mit Ausstrahlung und Präsenz. Die feingewobenen Songstrukturen, die das Album „Happiness At Last“ prägen, bleiben in der kargen Instrumentalisierung allerdings auf der Strecke.
Bei den Chameleons braucht es eine Weile, bis die Stimmung unter den 350 Besuchern richtig hochkocht. Das Pop-Outfit von „Lady Strange“ vom neuen Album „Artic Moon“ leidet unter einem nicht optimal austarierten Sound, aber auch darunter, dass die Band live gern auf ihre Punk-Wurzeln rekurriert. So wirkt Todd Demmas zupackendes Schlagzeugspiel mitunter überpräsent und Burgess‘ Stimme geht im Gitarrengewitter ein wenig unter. Vor allem der unschlagbare Zugabenblock versöhnt jedoch. „Monkeyland“ beginnt mit einem Keyboard-Fiepen und dräuender Kreiselgitarre, bis der Refrain sich Bahn bricht. „It’s just a trick of the light“ ertönt es aus vielen Kehlen. Allzeit-Favorit „Second Skin“ mit den U2-artigen Gitarrenlinien fließt hypnotisch und Burgess singt mit zu Flügeln ausgespannten Armen: „No wonder I feel like I’m floating on air“. Und kurz eingefügt: „Last night I said these words to my girl“ aus „Please Please Me“, der zweiten Single der Beatles. Auch beim finalen „Don’t Fall“ gibt es eingefügte Zitate – The Doors‘ „Light My Fire“ und Bowies „Rebel Rebel“. David Bowie ist einer der Helden der Briten und „David Bowie Takes My Hand“ eines der Highlights vom neuen Album. Nur der Songtitel offenbart, wer es ist, der das lyrische Ich aus einem Strudel der Angst ziehen soll. Doch dies können heute eben nur noch die Lieder des Meisters.
Stephen Rice und Reg Smithies spielen ihre Twin-Guitars oft mit Delay- und Hall-Effekten. Songs wie „Soul In Isolation“ reißen schon mal die 10-Minuten-Grenze. Auch typisch für den Sound der Engländer ist der Jingle-Jangle-Klang der Gitarren. Danny Ashberry fügt gern Keyboard-Flächen hinzu, greift mitunter zur Akustikgitarre oder nimmt Burgess den Bass ab. Zwischen den Düster-Combos Joy Division und The Cure („Swamp Thing“ erinnert an die Kollegen), aber auch zwischen den Pop-affinen Echo & The Bunnymen und den Simple Minds haben The Chameleons einen Schattenplatz eingenommen, doch die Sonne der Charts schien dort eher spärlich.
Burgess kann immer noch wütend werden, denn unsere Welt ist in Gefahr. „Tick tock, tick tock, tick tock, bang“ singt der inzwischen 65-Jährige in „Feels Like The End Of The World“. Die Schöpfung wird permanent mit den Füßen getreten und hinab schaut der „artic moon“. Passend dazu und in Anlehnung an das etwas kitschige Cover des aktuellen Albums ist auf der Bass-Drum ein Mädchen mit Gasmaske zu sehen, das mit einem Ölzweig eine weiße Friedenstaube zu berühren versucht. Und weiter heißt es in dem Song: „All of us can read the signs of the sky and the earth. How is it that we can’t read the signs of the times?“ Mögen dies hier die letzten Worte sein.






























