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Gandalf – der Herr der Soli
Mick Box hat sich entschieden. 55 Jahre nach Gründung von Uriah Heep soll Schluss sein mit den Welttourneen. Zwei bis drei Jahre solle die Abschiedstour „The Magician’s Farewell“ dauern, danach werde man die Band nur noch auf ausgewählten Festivals sehen. Box ist das einzige noch lebende Mitglied der klassischen Besetzung der ersten Hälfte der 1970er Jahre und bis auf drei Songs stammen alle Stücke, die sie im Capitol auf der Setlist haben, aus dieser Zeit. Werden die Briten damit zu einer Cover-Band ihrer selbst? Das wäre ungerecht. Bereits seit 1986 fegt Phil Lanzon über die stilprägende Orgel und ist Bernie Shaw der singende Frontmann. Man hat weiter Platten aufgenommen und das aktuelle Album „Chaos & Colour“ erklomm in Deutschland noch einmal die Chartposition 4 – was immer das heutzutage wert ist. Für ihre Abschiedstour haben sich Uriah Heep mit April Wine und Heavy Pettin formidable Gäste eingeladen.
Heavy Pettin, die zur New Wave of British Heavy Metal der 80er-Jahre gehörten, eröffnen den Abend mit soliden Rocksongs, die mit mehrstimmigem Gesang die Melodie nicht vergessen. Nach langer Pause hat der Vokalist Stephen „Hamie” Hayman vor acht Jahren die Band reanimiert. Ganz so frisch wie früher klingen Songs wie „In And Out Of Love“ aber nicht mehr.
Als zweiter Support überrascht die kanadische Hard-Rock-Band April Wine, verdient sie doch durchaus einen Headliner-Gig. Die Gruppe ist nur wenig jünger als Uriah Heep und feierte vor allem auf dem nordamerikanischen Kontinent große Erfolge. Nach allerlei Personalwechseln ist Gitarrist Brian Greenway inzwischen am längsten dabei. Auf eigenen Wunsch verließ Mastermind Myles Goodwyn vor drei Jahren die Band und starb kurze Zeit später. Marc Parent übernahm seinen Part als Leadsänger und Gitarrist und zeigt gleich beim Auftaktsong „I Like To Rock“, dass dies kein leeres Versprechen ist – unterstützt durch drei posende Gitarristen aufgereiht an der Rampe. April Wine klingen zupackender als Heavy Pettin, die Riffs geraten angenehm kantig, bei „Big City Girls“ überzeugt der dreistimmige Gesang, „Just Between You And Me“ ist und bleibt eine wunderschöne Ballade und der Boogie „Roller“ rollt und rockt als Abschluss einer kurzweiligen Dreiviertelstunde.
Uriah Heep beginnen mit zwei neueren Titeln, doch bereits mit „Shadows Of Grief“, einem eher weniger bekannten Song der klassischen Phase, bricht Phil Lanzons Orgel hervor und befeuert die Stimmung unter den 1.200 Fans im nicht ganz ausverkauften Capitol. „Sweet Lorraine“ preist Mick Box als Partysong und Shaw betet Lorraine an, dass die Party nie enden möge. In Hannover ist zwar nach 90 Minuten Schluss, aber „Stealin‘“ und der unverwüstliche Partykeller-Knaller „Easy Livin‘“ kommen zuvor Shaws Flehen nach. „Gypsy“ besticht mit Box‘ prägnantem E-Gitarren-Riff, aus dem sich Lanzons Orgel herausschält. Dann ein Break, nur begleitende Orgel und Gesang: „I was only 17, I fell in love with a gypsy queen. She told me: ‘Hold on‘.“ Denn da ist der über die Tochter wachende Papa, der den jungen Mann alsbald mit einer Peitsche vertreibt; harte Gitarrentöne unterstreichen die martialische Abfuhr.
„The Magician’s Birthday“ kündigt Shaw als Progressive Rock an. Box beginnt mit sägender Gitarre, baut später ein etwas zu lang geratenes Solo ein, lässt die Hände über das Griffbrett schweben und über die Saiten kreisen oder bewegt sie beschwörend in horizontalen und vertikalen Linien. Box, der Saiten-Magier und mit seinen langen weißen Haaren der Gandalf der Rockmusik. Auch „July Morning“, eine der schönsten Kompositionen der Band, passt ins Genre wie auch „The Wizard“ mit Box an der akustischen Gitarre. Zu dieser greift er erneut bei der letzten Zugabe, die natürlich „Lady In Black“ heißt. Nur zwei Akkorde hätten zum Hit gereicht, wundert sich Shaw eher bewundernd als despektierlich. Man mag mit allen Nachfolgern des alkoholkranken Ur-Sängers David Byron hadern, Shaw hat sich über die Jahre jedoch gut in seine Rolle hineingefunden. Zudem ist der 69-Jährige ein agiler Frontmann, der das Publikum mitzunehmen weiß, nicht nur beim „Ah, ah-ah, ah-ah, ah-ah/Ah, ah-ah, ah-ah“-Refrain der Dame in Schwarz. Ja, Folk hätten Uriah Heep eben auch drauf, erklärt Shaw grinsend.
Die Rhythmus-Sektion mit Davey Rimmer am Bass und Schlagzeuger Russell Gilbrook fügt sich bestens ein. Trotz aller Routine und einer erklecklichen Anzahl von Songs, die, will man sich keinen Fan-Unmut einhandeln, aus der Setlist kaum zu tilgen sind, strahlen Mick Box und seine Mitstreiter immer noch Freude an ihrem Spiel aus. Doch für den 78-Jährigen kündigt sich nun „The Magician’s Farewell“ an. Gandalf sagt Lebewohl.







































