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„Ich habe nie große Erwartungen“, sagt Sorry-Frontfrau Asha Lorenz im Gespräch mit Gaesteliste.de. „Ich bin einfach glücklich, dass wir die Chance haben, Musik zu machen. Ich bin auch froh, dass nichts zu festgefahren ist, denn das gibt uns die Gelegenheit zur Veränderung.“ Wie das gemeint ist, kann man nun auch auf dem aufregenden neuen Album ihrer einst gemeinsam mit Louis O’Bryen in London gegründeten Band hören. In echter Shapeshifter-Manier widmen sich Sorry auf „Cosplay“ unberechenbar und in ihrer grenzenlosen Experimentierfreude am Ende doch allumfassend einem beeindruckenden Klang-Kaleidoskop, das eklektisch und exzentrisch zugleich ist und sich mit Schlagwörtern wie Indierock, Post-Punk, Art-Pop oder Trip-Hop nur ansatzweise beschreiben lässt.
Mit „Cosplay“ laden uns Sorry ein zum Maskenball. Auf ihrem spektakulär waghalsigen dritten Album gönnt sich die in Nord-London beheimatete Band zwischen unbändiger Kreativität und bemerkenswertem Eigensinn jede erdenkliche künstlerische Freiheit und trifft dabei perfekt den Sweetspot zwischen Kunst und Rock’n’Roll. Das gilt auch für Asha Lorenz. Die Sängerin, Gitarristin, Co-Songwriterin und Co-Produzentin von Sorry, die zudem auch für Videoclips von der Band verantwortlich zeichnet, ist gerade aufgestanden und braucht erst mal eine Zigarette, als unser Videocall gegen 12.00 Uhr mittags im dritten Anlauf klappt. Aber Sorry sind eben eine alles andere als gewöhnliche Band.
Eines wird beim Hören des neuen Albums schnell deutlich: „Cosplay“ hält, was der Titel verspricht, denn Sorry schlüpfen hier praktisch für jeden der elf Songs in völlig neue Kostüme. Wer allerdings glaubt, dass der Name des Albums der Band von Anfang an als konzeptioneller Richtungsweiser gedient hätte, liegt voll daneben. „Den Titel haben wir erst am Ende ausgewählt“, gesteht Asha. „Das Witzige ist: Beim letzten Album, ‚Anywhere But Here‘, hatte ich als ersten Song ein Lied mit genau diesem Titel geschrieben, und es war von Anfang an klar, dass das der Albumtitel sein würde – auch wenn der Song es am Ende doch nicht auf die Platte geschafft hat. Dieses Mal war es anders.“ Für „Cosplay“ schrieben Asha und Louis eine Vielzahl unterschiedlichster Songs, die sie anschließend in allen erdenklichen Formen und Versionen aufnahmen, bevor sie sich am Ende in langwieriger Kleinarbeit die besten Parts und Elemente für die finalen Fassungen herauspickten.
„Ich war lange Zeit ziemlich unglücklich, weil ich nicht herausfinden konnte, was eigentlich los war“, erinnert sich Asha. Erst nach einer ganzen Weile wurde ihr bewusst, was das verbindende Element der Songs war. „Ich denke, der rote Faden ist, dass dieses Mal alles unterschiedlich sein durfte“, sagt sie und fügt hinzu: „Es gibt eine Menge verschiedener Elemente auf dem Album, aber hoffentlich zeichnet sich der Sound trotzdem durch ein ganz bestimmtes Gefühl aus, das alles verbindet.“
So frustrierend der langsame Entstehungsprozess des neuen Albums bisweilen auch war – letztlich ist Asha doch froh, sich die Zeit genommen zu haben, denn mit keinem Sorry-Album war sie bislang so glücklich wie mit „Cosplay“. „Ich habe über die Jahre gelernt, dass die Dinge, die mir wirklich etwas bedeuten, ihre Zeit brauchen“, sagt sie. „Natürlich gibt es Ausnahmen, aber am Ende dauert es so lange, wie es eben dauert. Wenn ich selbst etwas nicht verstehe, wie soll es dann das Publikum begreifen?“
Der Albumtitel dient dabei gewissermaßen als sinnstiftendes Element, eine Klammer, die alles zusammenhält. „Cosplay“ wird so zu einem Spiel mit verschiedenen Rollen und Identitäten, bei dem nichts in vorgefestigte Formen gegossen wird. Allein die Ideen und Emotionen geben die Richtung für die klangliche Ausgestaltung der einzelnen Lieder vor. Alles kann und nichts muss in diesem Spielzimmer für popkulturelle Geister – und das nicht nur bei der vor Dringlichkeit geradezu berstenden ersten Single „Echoes“, mit der uns Sorry in die Echokammer mitnehmen, in der Realität und Fiktion verschwimmen.
Aus Loops, Field Recordings, althergebrachten Drumsounds und Klangfetzen bauen sich Sorry ihre ebenso bunte wie schräge Welt zusammen und zeigen mit Tracks wie „Love Posture“, wie ernst es ihnen mit der Idee ist, freigeistig und kompromisslos zu Werke zu gehen: Der Weg von der Störgeräusche-Ballade zum heimlichen Pop-Hit ist hier ganz kurz. In „Waxwing“ sorgen derweil Darkwave-Synthesizer dafür, dass der Cheerleader-Chant aus Toni Basils 1982er-Hit „Mickey“ nun den Rahmen für ein finsteres Psychodrama bildet. Die ebenso simple wie brillante Idee dahinter: Die ursprüngliche Definition, die Ausprägung von Pop ist inzwischen so sehr verwässert, dass man sie bedenkenlos in neue Zusammenhänge bringen kann.
„Ich habe das Gefühl, dass viele Leute sich ein bisschen verloren fühlen und sich deshalb damit begnügen, andere zu kopieren“, sagt Asha. „Ich dagegen wollte Dinge so offensichtlich kopieren, dass das Nachahmen zu einer neuen Kunstform wird.“
Doch auch wenn Sorry mit diesem Album vom ersten Ton an neue Wege gehen, vergessen sie darüber doch ihre Vergangenheit nicht vollends. Wenn sie zwischen gut getimten Anspielungen, cleveren Zitaten und falschen Fährten neuen Herausforderungen auf der Spur sind, verfolgen sie mit anderen Mitteln letztlich doch das weiter, was bereits ihr Debüt „925“ vor fünf Jahren und 2023 den bereits erwähnten Nachfolger „Anywhere But Here“ ausgezeichnet hatte. Trotz aller Veränderungen haben Sorry so die Essenz ihrer Band immer fest im Blick.
Von Asha und ihrem früheren Mitschüler Louis noch im Teenageralter Mitte des letzten Jahrzehnts aus der Taufe gehoben und inzwischen durch Schlagzeuger Lincoln Barrett, Bassist Campbell Baum und Keyboarder Marco Pini zum Quintett erweitert, hatten Sorry auf ihren ersten beiden Platten noch zu den Extremen geneigt. Das ändert sich nun. „Für das erste Album hatten Louis und ich nicht nur den Großteil der Songs geschrieben, sondern auch noch die Produktion übernommen“, sagt Asha rückblickend. „Bei der zweiten Platte war uns dagegen wichtig, dass alle mehr live spielen, und dieses Mal haben wir eine Balance zwischen den beiden Herangehensweisen gefunden. Beim letzten Album haben wir es mit dem Live-Aspekt ein bisschen zu sehr übertrieben, und deshalb sind die Feinheiten – von denen es auf der ersten Platte vielleicht zu viele gab – ein wenig verloren gegangen. Es war schön, jetzt ein Gleichgewicht herstellen zu können.“
Zur Seite stand Sorry dieses Mal auch der sagenumwobene Speedy-Wunderground-Gründer Dan Carey, den Asha als alten Freund und sehr inspirierend bezeichnet, „weil er immer große Ideen hat“, wie sie sagt. Allerdings war Carey für Sorry letztlich kein Produzent im klassischen Sinne, sondern eher jemand, der der Band am Ende half, das verbindende Element zu finden, nachdem Asha und Louis die Songs in Eigenregie produziert hatten. Dabei hätte er eigentlich zunächst eine aktivere Rolle übernehmen sollen.
„Ganz zu Anfang hatten wir begonnen, die Platte gemeinsam mit Dan zu produzieren“, verrät Asha. „Das hat aber überhaupt nicht funktioniert, weil wir noch keine Songs hatten. Das war ziemlich frustrierend, weil ich wusste, dass wir eigentlich noch nicht bereit waren. Das Schöne allerdings war, dass Louis und ich so die Chance hatten, die Songs in vielen anderen Zusammenhängen aufzunehmen und auf unserem Weg ein bisschen verlorenzugehen. Am Ende haben wir die Lieder dann mit Dan abgemischt und den Gesang neu aufgenommen, um so eine stärkere klangliche Verbindung zwischen den Liedern zu schaffen.“
In den bisweilen fragmentarisch anmutenden, nicht selten betont mehrdeutigen Texten streifen Sorry Themen wie Besessenheit, Selbstzerstörung und die geradezu allgegenwärtige existenzielle Verwirrung. „Das Schreiben von Songtexten ermöglicht es mir, das zu verarbeiten, was in meinem Kopf vorgeht, sei es etwas aus meinem Leben oder etwas, das ich durch die Dinge verstehe, die ich lese“, erklärt Asha. „Für mich ist das wie ein Tagtraum. Vielleicht ist es etwas, worüber ich nachgedacht habe, oder eine Idee, die in mir keimt. Vielleicht bin ich unterwegs und jemand sagt etwas, das wie eine Sammlung kleinerer Farbtöne plötzlich alle Farben zum Vorschein bringt.“
Trotzdem wird natürlich nicht aus jeder Idee, jedem Gedanken, jedem Anstoß gleich ein Song. Gibt es da eine Richtschnur? „Ich glaube, wenn etwas fertiggestellt werden muss, spürt man das irgendwie“, antwortet Asha. „Das Filtern passiert bei mir erst gegen Ende. Wenn du ein Album zusammenstellst, überlegst du dir: ‚Was ist die Idee dahinter? Was ist das verbindende Element? Was bedeutet das alles?‘ Das ist der Punkt, an dem du Songs rauswirfst, denn es geht ja darum, dass das Album als Ganzes Sinn ergibt. Aber auch wenn ein Song gerade noch nicht fertig ist oder passt, heißt das nicht, dass man ihn später nicht verwenden kann.“
Tatsächlich wünscht sich Asha für die Zukunft, dass Sorry mehr und schneller neue Songs und Platten veröffentlichen als bisher, aber auch für die Konzerte ihrer Band hat sie klare Vorstellungen. Zwar standen Sorry in den vergangenen Jahren immer mal wieder als Support für große Namen wie zuletzt Fontaines D.C. auf der Bühne. Das Gefühl, dass ihre Band gut in die Mehrzweckhallen dieser Welt passt, kam bei Asha allerdings nur selten auf.
Mit der neuen Platte im Rücken wollen sich Sorry deshalb lieber auf ihre eigenen, wenngleich kleineren Headline-Shows konzentrieren. Bereits Mitte November sind Asha und Louis für erste „Sorry Stripped Back: Cosplayography“-Duo-Konzerte in Paris und Berlin zu Gast, im März des kommenden Jahres geht es dann auf große Bandtournee.
„Ich möchte gerne mehr interessante Shows spielen und dabei visuelle Elemente stärker einbinden“, erklärt sie – und verrät auch gleich noch die Inspiration dazu. „Ich schaue mir nicht mehr so viele Konzerte an wie früher, aber es gibt da ein Kollektiv namens Life Is Beautiful. Deren Performance schließt Poesie und Theater mit ein, gleichzeitig sind die Mitglieder aber auch großartige Musikerinnen und Musiker. Vielleicht proben sie einmal für ihre Auftritte, aber vor allem fühlt sich alles unglaublich ursprünglich an. Das ist die erste Show, die ich gesehen habe, bei der ich dachte: ‚Das ist Rock’n’Roll, aber gleichzeitig total ernsthaft!‘ Ich mag, wie ungezwungen dort alles ist.“
Während Life Is Beautiful bei ihren Happenings in und um London und ihren oft in Kleinstauflagen erscheinenden Veröffentlichungen komplett auf der DIY-Schiene unterwegs sind, ist Ashas zweite Inspiration in Sachen Live-Visuals dann doch ein paar Nummern größer. „Wir haben im Sommer beim Latitude Festival gespielt und eigentlich wollte ich nach unserem Auftritt schnell weg, weil ich so müde war, aber weil einige Freundinnen und Freunde von mir dort waren, bin ich geblieben, und haben uns Fat Boy Slim angeschaut – und der hatte die verrücktesten Visuals!“, erinnert sie sich lachend. „Das waren genau die Sachen, die ich auch für uns im Kopf hatte, und als ich das sah, wusste ich: ‚Das wäre schon cool!‘ Das muss auch gar nicht übertrieben sein, aber wenn ich Videos mache, gibt es ja auch visuelle Hooks, die den Song zum Leben erwecken, und es wäre einfach interessant, damit auch bei den Live-Shows zu experimentieren. Ich denke, dass Visuals bei unseren Konzerten das Ganze für uns etwas lebendiger machen würden und eine neue kreative Energie freisetzen könnten.“
Dass es dabei vor allem um künstlerische Weiterentwicklung und nur bedingt um ein kommerzielles Vorankommen geht, versteht sich praktisch von selbst. Denn auch wenn Asha sich natürlich darüber im Klaren ist, dass Sorry gemessen an ihrem ambitionierten Sound durchaus erfolgreich sind: Auf Teufel komm raus dem Ruhm nachzujagen, kommt für sie nicht infrage. „Um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass ich gut damit zurechtkommen würde, wenn wir viel erfolgreicher wären“, gesteht sie abschließend und muss lachen. „Ich bin schon gerne auf Tournee, aber pausenlos würde ich das nicht machen wollen. Ich möchte lieber ständig neue Dinge machen und kreativ sein.“
„Cosplay“ von Sorry erscheint auf Domino/GoodToGo.




