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Vier Jahre ist es her, dass die Hamburger Songwriterin Anna Wydra ihr Augenmerk von ihren Dayjobs stärker auf die Musik lenkte und das Debüt-Album „The Absurdity Of Being“ veröffentlichte und damit ihren von vielen stilistischen Schlenkern durchsetzten, eklektischen Mix aus Power-, New Wave-, Grunge-, Psych- und Schrammel-Pop etablierte. Wenn es nun ganze vier Jahre dauerte, bis das zweite Album „Lonely Motherfucker“ erschien – mit dem sie das begonnene Experiment musikalisch munter fortsetzt –, dann hat das aber weniger damit zu tun, dass Anna nichts mehr eingefallen wäre, sondern damit, dass sie als beinharte Indie-Künstlerin, die fast alles alleine regelt, natürlich alle Hände voll zu tun hat, sich mit ihrer Musik, ihren Social Media-Aktivitäten und ihren Dayjobs über Wasser zu halten hat. Songwriting- und Produktions-Retreats sind da einfach nicht drin.
Ist das eigentlich heutzutage auch die größte Herausforderung für Künstler, die abseits des Mainstream-Zirkus nach eigenen Maßstäben agieren wollen? „Die größte Herausforderung ist die Sichtbarkeit“, meint Anna, „gerade wenn man sich Social Media anschaut, dann geht man da ja unter. Meine Stories schauen sich vielleicht 100 Leute am Tag an – das ist natürlich nur ein Bruchteil von den Menschen, die mir folgen. Man steht in ständigem Wettkampf mit anderen CreatorInnen – und muss dabei mehr sein als nur eine Musikerin. Das finde ich auch sehr schwierig. Ich habe das Gefühl, dass ich auf meinen Social Media-Accounts gar keine Musik mehr machen darf, sondern ganz viel von mir preisgeben muss, um irgendwie interessant gefunden werden zu können. Das ist schon eine Herausforderung – von der ich mich gerne auch mal ein paar Wochen zurückziehen würde.“
Das ist insofern interessant, als dass Annas Album auch als solches funktioniert – und gar nicht so auf den schnellen Durchlauf auf Social Media ausgerichtet erscheint. Ist das denn auch so konzipiert worden? „Nee, überhaupt nicht“, gesteht Anna, „im Nachhinein denke ich zwar schon, dass das Album einen roten Faden hat – also jedenfalls für mich – und die Themen auch irgendwie ineinander passen, aber so hatte ich das überhaupt nicht geplant. Das Album wurde auch von verschiedenen Leuten ’superzerstückelt‘ produziert. Es sind dann teilweise neue Sachen hinzugekommen und andere habe ich gelöscht, weil ich davon frustriert war. Der Prozess war – ehrlich gesagt – ziemlich chaotisch.“
Das hört man dem Album eigentlich gar nicht so richtig an, denn das Ergebnis klingt ja brillant – auch wenn es stilistisch ziemlich wild zugeht. Interessanterweise scheinen die Songs sogar in einem Spannungsbogen angerichtet zu sein, an dessen Anfang die druckvollen Up-Tempo-Hits stehen (darunter auch der Titeltrack) und an dessen Ende eher kontemplative, transzendente, atmosphärische Songs stehen. „Ich habe mich mit verschiedenen Leuten hingesetzt und überlegt, wie ich das Album ‚zusammenflicken‘ kann, damit es Sinn ergibt“, berichtet Anna, „tatsächlich wurden die Songs am Ende, die ein bisschen ruhiger sind, eher mit der Band im Studio aufgenommen (im Gegensatz zu den durcharrangierten Studioproduktionen). Ich fand es dann aber auch schön, dass es zum Ende hin introspektiver wird. Mir war es auch wichtig, dass das Album mit ‚An Act Of Romance‘ endet, weil der Song für mich einen schönen, hoffnungsvollen Endpunkt darstellt; denn für mich fängt das Album eher mit Zerrissenheit und Verdrängung an. Die Songs sind musikalisch nach außen hin zwar happy – aber inhaltlich geht es darum, dass ich gar nichts mit negativen Sachen zu tun haben möchte – und nur die guten Sachen fühlen wollte. Ich wollte keinen Raum für das Unangenehme zulassen. Der Mittelteil des Albums beschäftigt sich dann aber mit unangenehmen Aspekten und am Ende komme ich zu der Einsicht, dass ich jemanden lieben oder positive Sachen fühlen kann – auch wenn gleichzeitig Traurigkeit verspüren kann.“
Es geht da also um Gefühle? „Ja, die Koexistenz von Gefühlen wurde mir zuletzt immer bewusster“, führt Anna aus, „und ich habe das dann auch zugelassen. Gefühle können gleichzeitig existieren und das ist auch okay. Es gibt ja auch eigentlich keine negativen Gefühle – eher also unangenehme Gefühle. Die haben aber eine Berechtigung und einen Grund, warum sie da sind. Die darf und sollte man dann auch fühlen. Sonst bleiben sie am Ende immer da und verwandeln sich am Ende gar in Depressionen.“
Das Leben ist ja nun mal ziemlich vielschichtig und komplex. Vielleicht heißt es deswegen ja auch in der aktuellen Anna Wydra Bio, dass „Lonely Motherfucker“ eine „Ode an die Komplexität“ sei. Gilt das dann auch gleich musikalisch? „Also, ich würde nicht sagen, dass ich mir das vorgenommen habe, aber ich kann mich immer mehr mit dem Begriff ‚Komplexität‘ identifizieren – eben weil ich so viele Einflüsse habe und so viele Interessen und mich auch so vieles fasziniert. Ich möchte mich nicht eingrenzen lassen, sondern Dinge ausprobieren und neugierig bleiben. Ich finde es ja auch bei anderen Artists immer dann langweilig, wenn jedes Album gleich klingt.“
Eine gewisse Komplexität bedingt ja eigentlich einen bestimmten Plan, oder? „Hmmm“, zögert Anna, „das ist unterschiedlich. Manchmal habe ich überhaupt keinen Plan – da kommt das einfach raus und dann habe ich Puls und will das gleich umsetzen. Ich denke dann nicht darüber nach und lasse es einfach passieren. Manchmal plane ich aber schon Dinge. Ich würde sagen, das ist dann auch ein Mix. Es gibt zum Beispiel den Song ‚High 5‘ auf dem Album, den ich in 15 Minuten geschrieben habe – kurz bevor ich mich mit dem Produzenten Florian Brügge getroffen habe – und dann haben wir den Song in ein paar Stunden fertig gemacht. Da habe ich nicht viel drüber nachgedacht. Erst nachher ist mir dann aufgefallen, dass der Song gar nicht so fröhlich und leichtfüßig ist, wie ich dachte. Es steckt da eine tiefgreifendere Bedeutung für mich hinter – und im Nachgang wurde es dann komplexer, als es ursprünglich geplant war.“
Okay – wie kam denn der Titeltrack „Lonely Motherfucker“ ausgerechnet als Country-Nummer zustande? „Das war tatsächlich sehr komplex, oder zumindest komplexer als bei anderen Songs“, schmunzelt Anna, „den Song habe ich nämlich mit einer Band im Studio aufgenommen. Der Song wurde von meinem langjährigen Freund und Produzenten der ersten Platte – Sebastian Genzink – von vorne bis hinten durcharrangiert. Der hat sich wirklich hingesetzt und mit seinem klassischen Hintergrund die Sache durchdacht. Er hat das coole Country-Arrangement gemacht und auch die Sachen gepfiffen. Ich hatte mich aber nicht hingesetzt, um einen Country-Song zu schreiben. Wenn ich Songs schreibe, setze ich mich mit der Gitarre und einem Text, den ich zuvor geschrieben habe, hin und versuche eine Melodie zu finden – und dann ergibt sich so etwas aus dem Moment heraus. Das mache ich also nicht, dass ich mir etwa sage: ‚Heute schreibe ich mal ein Jazz-Stück’.“
Das mit dem Jazz ist kein Witz. Auf ihrem Debüt-Album arbeitete Anna noch stärker mit jazzigen Akkorden und Harmonien – auf dem neuen Werk ist es ein Klarinettensolo der Jazzmusikerin Samantha Wright, die Anna über ihren Gastbeitrag des Projektes Karwendel kennengelernt hatte, das den Song „Only I Know“ verziert.
Die neue Scheibe ist ja stilistisch nicht so ganz einfach zu greifen. Sie klingt aber betont modern und ist auch überraschend produziert. Gibt es eigentlich konkrete musikalische Roots, auf die Anna Wydra als Musikerin aufsetzt – oder aufgesetzt hat? „Das ist eine richtig spannende Frage“, überlegt Anna, „mein großes Idol früher war Sarah Connor. Das darf man heute ja eigentlich gar nicht mehr erwähnen – weil das doch so ganz anders ist. Ich habe dann aber auch einen kleinen Exkurs in Richtung Punk-Rock gemacht. Dann hatte ich eine Rock-Phase und habe auch ein bisschen Metal gehört. Ich hatte auch eine Phase, in der ich viel Fiona Apple gehört habe – und kam dann auch zum Jazz. Es ist also schwer zu sagen. Heute betrachte ich mich als Pop-Künstlerin.“
Sagen wir mal so: Für den Zuhörer bietet das nur Vorteile, denn „Lonely Motherfucker“ geriet auf diese Weise zu einer der abwechslungsreichsten, vielschichtigsten und abwechslungsreichsten Indie-Pop-Scheiben der jüngeren Vergangenheit.
„Lonely Motherfucker“ von Anna Wydra erscheint auf La Pochette Surprise Records/SPV.




