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Poesie, Pop und pure Freude
Dass die englische Songwriterin Ruth Lyon ausgerechnet den befreundeten Poeten Sam Telford als „Anheizer“ für die Shows ihrer ersten Headliner-Tour in unseren Breiten mitgebracht hatte, erschien zunächst mal ungewöhnlich – machte im Kontext dann aber schon Sinn. Denn der Titel von Ruths Debüt-Album heißt schließlich „Poems & Nonfiction“ – und steht somit für die beiden Bookends, zwischen denen sie sich als Künstlerin und Mensch bewegt. Die Gedichte etwa symbolisieren ihre künstlerische Ader (und die Art, in der sie ihre Songtexte angeht) und die Sachbuch-Kategorie steht für ihr faktisches Alltagsleben. Außerdem macht der Song „Books“ deutlich, dass Ruth Lyon es ernst meint, mit dem Printmedium und dessen Kategorien.
Sam Telford präsentierte sein Material dann geradlinig und ohne Schnörkel – aber mit einem humorigen Augenzwinkern; ließ dabei aber keinen Zweifel daran, dass er sein Metier als Dichter sehr ernst nimmt. Neben eigenem Material (re)präsentierte er auch Robert Frost und referenzierte die italienische Poetin Patrizia Cavalli. Und außerdem erzählte er von den verwilderten Wellensittichen, die sich von London aus inzwischen bis in den Norden Englands ausgebreitet haben – nicht ahnend, dass es in Köln ein ganz ähnliches Problem mit verwilderten grünen Papageien gibt.
Abgesehen von einem Support-Slot für Zaho de Sagazan war Ruth Lyon 2023 zum letzten Mal in Köln zu Gast gewesen – damals allerdings als Vokalistin des Ensembles Holy Moly & The Crackers, dem sie inzwischen nicht mehr angehört. Als Headlinerin mit eigener Band spielte Ruth Lyon demzufolge auf jeden Fall zum ersten Mal in Köln auf. Ziemlich spät – aber mit großer Vorfreude – fuhr die gehbehinderte Musikerin mit ihrem Scooter direkt vor die zum Glück flache Bühne des Blue Shell Clubs und stürzte sich dann mit den Songs „Stone“ und „Wool“ von ihrer Debüt-EP „Direct Debit To Vogue“ (deren restlichen drei Tracks ebenfalls gespielt wurden) in die aus 16 Tracks plus Zugaben bestehende Setlist.
Dem Umstand, dass ihre Debüt-LP allenthalben als Folkpop-Projekt ausgelobt worden war, setzte sie dann mit den Kook- und Art-Pop-Arrangements ihrer elektrisch agierenden Band dann ein schlagkräftiges Argument entgegen – und das obwohl sie selbst gleich zu Beginn der Show zu ihrer Geige griff, die sie im Folgenden immer wieder einsetzte – und das dann tatsächlich mit folkiger Note. Im Zentrum stehen bei Ruth Lyon aber eben nicht die Folk-Elemente ihres Materials, sondern die mit starken Melodiebögen versehenen Refrains von Songs wie „Wickerman“, „Books“ oder „Ceasar“, die oft von nonverbalen Mitsing-Elementen wie „uhuhuhuus“ oder „ohohohuus“ versehen sind, die den ansteckenden Reiz des Songs nochmals unterstreichen.
Zwischen den Songs erzählte Ruth aus ihrem ereignisreichen Leben, ihrem andauernden Kampf um Inklusion und nicht zuletzt von den Hintergründen ihrer Songs und deren Inspirationsquellen (wie z.B. dem Horror-Film „Wickerman“, der aber beim Publikum nicht so präsent gewesen zu sein schien). Dazu gehörte dann auch der Song „Hospital Beds“ von der Band Cold War Kids, den sich Ruth als Cover-Version zu Eigen machte, weil sie selbst viel Zeit in Krankenhausbetten verbringen musste. Immer wieder zeigte sich Ruth Lyon begeistert vom Zuspruch des Kölner Publikums (das sich vollkommen anders zusammensetzte als die anderen Veranstaltungen an gleicher Stelle) und machte deutlich, dass sie in der Rolle als Bandleaderin in eigener Sache außerordentlich wohl fühlte.
Musikalisch gefiel die Show durch die engagierte Art, in der sich die Musiker einbrachten. Insbesondere der Keyboarder Calum Howard prägte den Sound mit seinem Wurlitzer-Piano-Setting und dem jazzigen Spiel, während Gitarrist Tim Bloomer sein Instrument durch eine Menge Effekt-Pedale jagte und öfters auch mit einem E-Bow traktierte. Ruth selbst griff – wie gesagt – öfter zu ihrer Geige, betätigte sich aber auch als Perkussionistin und setzte bei dem Song „Perfect“ auch einen Synthesizer ein. Nach der Show gab es dann auch noch ausreichend Gelegenheit, im erfreulich niedrigpreisigen Merch-Angebot zu stöbern und mit der Künstlerin ins Gespräch zu kommen. Ruth selbst scheint der Schritt, sich als namensgebende Bandleaderin selbständig zu machen, außerordentlich gut getan zu haben, denn sie präsentierte sich mit jener Art von echter, jugendlich anmutenden Begeisterung für ihr Tun, die ansonsten Nachwuchskünstlern vorbehalten scheint, die erstmals den Rausch eines mitreißenden Live-Auftrittes feiern.



























