Platte der Woche KW 47/2025
Mit 17 stieg die englische Sängerin und Songwriterin Ella Eyre ins Pop-Geschäft ein und landete über ihre gesangliche Beteiligung des Songs „Waiting All Night“ vom Projekt Rudimental auch gleich einen soliden Hit, der ihr einen Plattenvertrag bei einem Major Label bescherte und 2015 stand ihre gefeierte Debüt-LP „Feline“ in den Startlöchern – während sie nebenher mit einer Reihe von weiteren Kollaborationen ihre Nische entdeckte. Damals war sie gerade mal 21 – und es stand ihr eine glänzende Zukunft als „neue Amy Winehouse“ offen. Diese potentielle Karriere wurde allerdings ausgebremst, als sich Ella Eyre in der ausbrechenden Pandemie während einer Lockdownphase einer Stimmband-Operation unterziehen musste, wodurch sie Monate lang weder sprechen noch singen konnte und sich nach einer langen Rehabilitation ihren Job als Sängerin sozusagen neu erlernen musste.
Wie so oft in solchen Fällen führte das dann dazu, dass die Künstlerin neu positionierte. So trennte sie sich von ihrem damaligen Label, nahm das bisher erarbeitete Material für das zweite Album mit, evaluierte dieses neu und kam zu dem Schluss, dass dieses nicht mehr ihren Vorstellungen entsprach. In eigener Regie fing sie dann – mit einem neuen Ansatz – ganz von vorne an. Mit einer Reihe von Singles und Kollaborationen lenkte sie dabei ihren Sound in einer experimenteller Richtung, während sie inhaltlich die autobiographischen Elemente stärker berücksichtigte. Das Ergebnis ist dann das neue Album „Everything, In Time“, das Ella Eyre – sozusagen unter dem Motto ‚Gut Ding will Weile haben‘ – mit einer betont kämpferischen Attitüde in Eigenregie auch als Statement in Sachen Empowerment realisierte.
Musikalisch äußert sich das dadurch, dass der Mix aus Soul-, R’n’B-, Gospel- und Hip-Hop-Pop den versöhnlichen Mainstream-Dance-Pop-Appeal ihrer Anfangstage hinter sich lässt und mit einer fast schon explosiven Urgewalt aus den Boxen quillt, die nicht nur Ellas musikalische Inspirationsquellen offenlegt, sondern auch mit überraschenden eigenen Ideen in Grenzbereichen überzeugt. Das liegt vor allen Dingen daran, dass sich Ella Eyre – anders etwa als etwa Amy Winehouse – hemmungslos den poppigen Qualitäten ihres Materials gegenüber öffnet und nicht so sehr auf ein bestimmtes Genre (wie z.B. Jazz oder Blues) fixiert. Leisten kann sie sich das, weil sie – anders als viele Kolleginnen, die wie sie aus der Dancepop-Ecke kommen – ihre Stücke selbst schreibt und nun eben auch bei den Arrangements einen eigenen Weg gehen konnte.
Das führt zu erstaunlichen musikalischen Kombinationen. Der Titeltrack „Everything In Time“ kombiniert etwa Retro-Soul-Grooves mit psychedelischen Gitarrenlicks und Girlypop-Harmoniegesang zu einer mitreißenden Melange, in der Ella Eyre ihre eigene Geschichte zum Thema macht. In dem Crossover-Empowerment-Track „Loiverman“ sind es Gospel-Chöre, Hip-Hop-Beats und fette Soulbläser, die den Charakter des Songs unberechenbar machen. Der Breakup-Track „Space“ spielt mit den Versatzstücken von orchestralem 60s-Wall-Of-Sound und gesampelten Bläsern (ohne dabei bei Klischees hängen zu bleiben). Der selbstironische Song „Hell Yeah“ – mit dem Ella das Herz über den Kopf stellt – geht sogar noch weiter und kombiniert New-Wave-Vibes mit Disco-Rhythmen und einem unwiderstehlichen Refrain zu einem faszinierenden Stück Pop-Kunst. Der Track „What About Me“, in dem Ella ihre Selbstbestimmung einfordert, kommt als bluesige Gospelnummer mit Hip-Hop-Flair daher. Rappen tut Ella Eyre nicht selber – trägt aber über die Duette mit Tiggs, Da Autor und Jay Prince dafür Sorge, dass auch dieser Aspekt nicht zu kurz kommt.
Was aber das Wichtigste ist, ist der Umstand, dass alle Tracks mit ausformulierten Melodiebögen und starken Refrains daherkommen und dabei ganz ohne die Manierismen und Klischees auskommen, mit denen insbesondere die US-Produktionen oft belastet sind. Auch der Umstand, dass Ella Eyre als Songwriterin mit einer deutlichen Empowerment-Note ihre eigene Geschichte erzählt und sich eben nicht auf generische Herzschmerz-Themen setzt, wirkt sich für eine Scheibe, die sich so hemmungslos (und intelligent) zur Pop-Musik bekennt, erfrischend förderlich aus. Unter dem Strich ist dabei eine brillante, modern klingende, kurzweilige Crossover-Soul-Pop-Scheibe entstanden. Nicht weniger – aber zuweilen sogar mehr.
„Everything, In TIme“ von Ella Eyre erscheint auf PIAS.




