Share This Article
Wer hat an der Uhr gedreht?
Seien wir mal ganz ehrlich: The Wedding Present als eines der Top-10-Konzerte des Jahres 2025 hatten wir definitiv nicht auf unserer Bingokarte, but here we are! Passend zum 40. Bandgeburtstag stürmt Mastermind David Gedge gemeinsam mit seiner zum x-ten Mal umbesetzten Band bei der Rückkehr in die Essener Zeche Carl mit so viel Spaß, Enthusiasmus und Verve durch ein handverlesenes Greatest-Hits-Set, dass sich selbst die Fans verwundert die Augen reiben, die sich noch an den allerersten Auftritt der englischen Schrammel-Pop-Kultband in der Region (1986 im Old Daddy in Oberhausen) erinnern können. Wow!
Ein kurzer Blick zurück: Sage und schreibe 33 Jahre ist es her, seit The Wedding Present zum letzten Mal auf der Bühne der Zeche Carl gestanden haben. Damals war die Band gerade auf dem Weg ins Guinness Buch der Rekorde, denn zwölf Top-40-Singles in den britischen Charts in einem Jahr, das war zuvor nur einem gewissen Elvis Presley geglückt!
Gegründet 1985, erschien noch im selben Jahr die erste Single „Go Out And Get ’Em, Boy!“, doch schon zwei Jahre später wurde die Band unsterblich, denn ihr Debütalbum „George Best“ schlug nicht nur daheim in England hohe Wellen.
Kurz darauf wurde die Band prompt vom Majorlabel RCA – immerhin die alte Heimat von Elvis Presley und David Bowie! – unter Vertrag genommen. Ein Schritt, der auf dem Album „Bizarro“ von 1989 auch klangliche Spuren hinterließ und die halsbrecherisch schnellen Jangle-Indie-Pop-Songs der Band in ein anderes Licht rückte. Im Jahr danach produzierte der unvergessene Steve Albini den Nachfolger „Seamonsters“, 1992 folgte der Weltrekord mit zwölf Single-Hits binnen Jahresfrist.
Seitdem ist viel passiert, jede Menge Personal kam und ging, eine kleine Verschnaufpause Ende der 90er gab es auch, aber irgendwie sind The Wedding Present dann doch nicht nur unverwechselbar, sondern auch unkaputtbar.
Für das Konzert in Essen (und zugegeben, für die komplette stolz von Gaesteliste.de präsentierte Jubiläumstournee durch Deutschland) haben sich Gedge und seine aktuelle Gang – Rachel Wood an der Gitarre, Stuart Hastings am Bass und Christopher Hardwick am Schlagzeug – etwas ganz Besonderes ausgedacht: Im Programm des Abends geht es – übrigens dankenswerterweise ohne Supportact – chronologisch rückwärts!
Los geht es deshalb gleich mit einem Song aus der wenige Stunden nach dem Konzert offiziell erscheinenden EP „Maxi“, dem programmatisch betitelten „Two For The Road“, mit dem der Wedding-Present-Vordenker einmal mehr unterstreicht, dass sein untrügliches Gespür für eingängige Melodien ohne Höllentempo vielleicht sogar noch besser zur Geltung kommt.
Es folgt „I Am Not Going To Fall In Love With You“ von 2022, doch wer denkt, die Band nutze die neuen Nummern zum Warmspielen, darf miterleben, wie sich die vier mit voller Wucht in den Song werfen, die Gitarren immer wieder in den Bühnenhimmel reißen und die Nummer mit allen Rock’n’Roll-Tugenden der Welt in ein siebenminütiges Monster verwandeln, das die alles andere als schlechte Studioversion meilenweit hinter sich lässt.
Schon diese Nummer macht deutlich, dass der heimliche Star des Abends Gitarristin Rachel Wood ist, die praktisch die ganze Zeit quer in der Luft liegt und Gedge den ganzen Abend über immer wieder zu energiegeladenen Duellen in der Bühnenmitte anstachelt, die man mit dieser Intensität und Freude schon lange nicht mehr auf einer Wedding-Present-Bühne erlebt hat. „Puh, das war erst der zweite Song“, ruft Gedge im Anschluss dem Publikum lachend zu, als sei er über diese Energieleistung selbst ein wenig verwundert. „Wir sollten es vielleicht ein bisschen ruhiger abgehen lassen?“
Auch sonst kann er die Freude über den Auftritt nur schwer verhehlen, wenn er viel auf Deutsch redet, mit einem breiten Grinsen im Gesicht kindische Scherze über das Alter seiner Gruppe macht („Wenn ihr mich so seht, fragt ihr euch bestimmt, wie es die Band schon 40 Jahre geben kann – ich habe sie mit fünf gegründet!“) oder sein Können als Gitarrist durch den Kakao zieht.
In der Folge gibt es praktisch aus jedem Studioalbum der letzten 30 Jahre eine Nummer zu hören – herausragend dabei immer noch „Interstate 5“, das vielleicht emotionalste und erschütterndste Lied der gesamten Bandkarriere! -, bevor die zweite Hälfte dann den Songs vorbehalten ist, die der Großteil der Menschen in den besten Jahren, die sich im erstaunlich gut besuchten Saal tummeln, aus ihrer Jugend in den späten 80ern und frühen 90ern kennt.
Dass zur Songmitte wie ein Düsenjet abhebende „Dalliance“ – zugegebenermaßen eine Beschreibung, die an diesem Abend gleich für ein halbes Dutzend Songs zutrifft! – ist genauso dabei wie „Brassneck“ und „Kennedy“, die es damals sogar via MTV ins Fernsehen geschafft hatten, bevor gleich drei Songs aus dem sagenumwobenen Debüt „George Best“ das rasante Finale einläuten. Danach endet es dort, wo vor vier Jahrzehnten alles angefangen hat: in Leeds, mit „Go Out And Get ‚Em, Boy!“
Eine Zugabe – das hat bei The Wedding Present Tradition – gibt es nicht. Aber nach diesen elektrisierenden 100 Minuten ist ein Nachschlag auch wirklich nicht nötig!





















