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Langsam, aber gewaltig
„Oh, kein Vorhang!“, sagt ein Zuschauer beim Betreten des Saals der Schorndorfer Manufaktur an diesem sommerlichen Donnerstagabend. Übersetzt heißt das so viel wie: Es wird voll beim Konzert von King Hannah, und auf zusätzliche Raumtrenner kann getrost verzichtet werden. Überraschend ist das natürlich nicht, denn spätestens seit der letztjährigen Veröffentlichung ihres zweiten Albums, „Big Swimmer“, und seiner herrlich nostalgischen Melange aus Indie-Rock, Dream-Pop und Americana sind Hannah Merrick und Craig Whittle längst aus dem Schatten ihrer Idole herausgetreten. Diesen Sommer sind sie ausgiebig in Europa auf Tour, allein Deutschland beglücken sie mit rund einem Dutzend Auftritte.
King Hannah lassen sich Zeit. Das gilt am Merchstand genauso wie auf der Bühne. Als sei es eine Selbstverständlichkeit, steht Hannah Merrick schon vor der Show eine halbe Stunde lang bereit, um Platten zu signieren, Small Talk zu führen oder einfach nur die Hände von langjährigen Fans zu schütteln. Denn viele der Anwesenden erleben die herrlich eigenwillige Band aus Liverpool heute nicht zum ersten Mal.
Doch auch musikalisch lassen King Hannah der düster-hypnotisierenden Magie ihrer Lieder alle Zeit der Welt. Obwohl sich das britische Duo, das auf der Bühne ergänzt um Bassist Conor O’Shea und Schlagzeuger Jake Lipiec ein Quartett ist, zwischen den Songs nicht mit langen Ansagen aufhält und sich ganz der Musik hingibt, passen in Schorndorf gerade einmal zwölf Songs in das knapp 90-minütige Set.
Eigentlich ist genau das seit Jahren ein Markenzeichen von King Hannah, aber ausgerechnet an diesem Abend ist Merrick das Ganze nicht geheuer. Nachdem die Band mit den schleppend langsamen, rabenschwarzen Songs „Somewhere Near El Paso“ und „Milk Boy (I Love You)“ in den Abend gestartet ist, wendet sich die Sängerin und Gitarristin, die auch an diesem Abend wieder das knallrote Rüschenkleid aus dem „Big Swimmer“-Video trägt, an das Publikum: „Ich möchte euch wissen lassen: Wir haben auch Songs, die glücklicher klingen. Als ich die beiden Lieder eben gesungen habe, dachte ich: Oh mein Gott, vielleicht ist es keine so gute Idee, das Konzert damit zu beginnen!“
Vielleicht sagt sie das jeden Abend, um das Eis zu brechen, aber wenn nicht, wäre es ein weiteres Beispiel dafür, dass King Hannah es nicht eilig haben, denn immerhin stehen diese Lieder nun schon mehr als ein Jahr ganz vorn auf der Setlist…
Mit dem augenzwinkernden „Go-Kart Kid (Hell No!)“ setzt sie ihr Versprechen dann zwar gleich in die Tat um, doch danach folgen noch eine ganze Reihe Downer-Songs, mit denen sich Merrick als intelligente Chronistin des Absurden positioniert, wenn sie in den Liedern von „Big Swimmer“ einen Blick auf die Schattenseite des amerikanischen Traums wirft, mit denen King Hannah auf ihrer ersten USA-Tournee praktisch täglich konfrontiert waren.
Während Merricks Gesang – lasziv, unterkühlt und doch stets emotional – oft ein Gefühl von Unnahbarkeit und Entrücktheit vermittelt, sorgt Whittle mit seinen gerne Feedback-getränkten Soli im Geiste Neil Youngs immer wieder für erdige Intensität in diesen dramatisch an- und abschwellenden Songs. Geprägt sind die Lieder deshalb von viel Dynamik und Merricks rezitativem Konversationsmodus, doch auch wenn das verdeutlicht, dass King Hannah inzwischen ihre eigene Identität gefunden haben, wissen die beiden natürlich, auf wessen Schultern sie stehen, und scheuen sich nicht, das auch zu zeigen. Mit „John Prine On The Radio“ oder dem Bill Callahan gewidmeten „Suddenly, Your Hand“ verneigen sie sich vor ihren Vorbildern.
Viel Raum für alte Lieder bleibt an diesem Abend nicht. Das bereits erwähnte „Go-Kart Kid (Hell No!)“ stammt aus dem ersten Album, das immer noch unverzichtbare Schlussstück „Crème Brûlée“ bleibt der einzige Rückgriff auf die Debüt-EP. Lieber blicken King Hannah stattdessen nach vorn. Mit „Leftovers“ gibt es eine kürzlich veröffentlichte Single zu hören, und bei der Zugabe gibt es sogar noch eine verheißungsvolle neue Nummer, die erst drei Tage zuvor in München ihre Weltpremiere gefeiert hatte.
Ganz am Ende dieses Konzertabends, an dem King Hannah oft mehr wie eine Band aus New York oder Nashville als eine aus Merseyside geklungen haben, spielen Merrick und Whittle zu zweit noch eine Coverversion. „Ich kann nicht aufhören, dieses Lied zu singen“, verrät Merrick, und tatsächlich ist die inbrünstige Version von Gillian Welchs wunderbarem „Look At Miss Ohio“ trotz vieler Glanzlichter zuvor so etwas wie das heimliche Highlight des gesamten Sets. Dass sich gleich danach eine lange Schlange am Devotionalienstand bildet, beweist: In Schorndorf haben King Hannah alles richtig gemacht.