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Neu (und) erfolgreich
Sharon Van Etten erfindet sich neu – und das zahlt sich nun auch an der Konzertkasse aus. Vor drei Jahren fand das damals bereits vorsichtshalber vom Grünspan in den Mojo Club herunterverlegte Konzert der amerikanischen Indie-Folk-Ikone noch in einem halbleeren Saal statt, dieses Mal ist Van Ettens einziges Deutschland-Gastspiel im ungleich größeren Astra in Berlin bereits Wochen im Voraus ausverkauft. Grund dafür ist nicht zuletzt die klangliche Neuausrichtung hin zum Zeitgeist auf ihrer aktuellen LP „Sharon Van Etten And The Attachment Theory“, deren Songs natürlich auch an diesem Abend im Mittelpunkt stehen.
Die perfekte Einstimmung auf das, was uns Sharon Van Etten später kredenzen sollte, gibt bereits der Supportact, der bereits zehn Minuten vor der angekündigten Zeit um 19.50 Uhr auf der Bühne steht. Den Namen Nabihah Iqbal dürften viele im Saal heute zum ersten Mal gehört haben, ein unbeschriebenes Blatt ist die Londoner Musikerin aber keinesfalls. Seit mehr als zehn Jahren veröffentlicht sie bereits auf renommierten Labels wie Ninja Tunes regelmäßig Musik und ist dabei inzwischen bei einer Melange aus Shoegaze, Electronica, Indie-Pop und Post-Punk angekommen, die sich als Schwester im Geiste von Van Etten ausweist.
Angetreten mit einem Sidekick an der Gitarre und Backings aus der Konserve, kann Iqbal nicht nur musikalisch überzeugen, sondern sorgt auch mit ihren freimütigen, mal mehr, mal weniger freiwillig lustigen Ansagen für gute Stimmung im Saal. Bisweilen wirkt die 36-Jährige dabei wie ein aufgeregtes Schulmädchen, wenn sie freudestrahlend von den ersten Tourneetagen mit Van Etten oder ihren sportlichen Aktivitäten abseits der Bühne erzählt und dabei bisweilen fast das Wesentliche vergisst – zum Beispiel den Titel eines der beiden neuen Songs, die sie in ihr 40-minütiges Set eingebaut hat… Ein besonderes Schmankerl hat sie für die Berliner auch noch bereit, den erstmals auf dieser Tournee spielt sie auch eine Coverversion, noch dazu eine, die sich perfekt in das Soundbild ihrer eigenen Lieder einfügt: „A Forest“ von The Cure, komplett mit dem langen Synth-Intro!
Sharon Van Etten ist danach anzumerken, wie sehr sie es genießt, inzwischen auch hierzulande größere Säle bis auf den letzten Platz zu füllen. Mit der gleichen Band – plus Tourgitarristin – im Rücken, mit der sie auch die neue LP gemeinsam geschrieben und aufgenommen hat, spiegelt der leicht unterkühlte Auftritt die Nähe zu den Cocteau Twins und Siouxsie And The Banshees wider, die schon in den oft Synth-lastigen Arrangements auf der LP unüberhörbar war. Live geht Van Etten sogar noch einen Schritt weiter, denn selbst bei den wenigen Rückgriffen auf die Vergangenheit krempelt sie „Every Time The Sun Comes Up“, „Taking Chances“ und das David Lynch gewidmete „Tarifa“ so um, dass sich die Songs klanglich nahtlos in die in Bühnennebel und violette Lichtblitze gehüllten Highlights der letzten Jahre einfügen und einen ähnlichen 80s-Electro-Pop-Charme versprühen wie „Anything“, „Southern Life“ und der heimliche Superhit „Seventeen“.
Doch so beeindruckend Van Ettens Transformation von der traurigen Indie-Folk-Sängerin zu einer formidablen Rock-Frontfrau auch ist: Die heitere Leichtigkeit, mit der sie in der Vergangenheit bisweilen im Stile eines Stand-up-Comedians durch ihre Shows geführt hatte, und die Spontaneität, die zuvor auch schon mal Publikumswünsche möglich machten, sind jetzt einer perfektionierten, bis ins letzte Detail durchdachten Show gewichen, in der die Ansagen zwar weiterhin herzlich, aber dennoch spürbar ernster sind – und das nicht nur, wenn sie kurz auf die politischen Umwälzungen in den USA zu sprechen kommt. Doch auch wenn aus dem Blickwinkel langjähriger Fans vielleicht nicht jede Veränderung zwangsläufig ein Schritt nach vorn ist, beweist die euphorische Reaktion des entzückten Publikums, dass Sharon Van Etten bei ihrer Metamorphose am Ende doch alles richtig gemacht hat.